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Neues Gesetz: Frankreich will Fast Fashion eingrenzen

Lisa Louis aus Paris
8. April 2024

Frankreich arbeitet an einem Gesetz, um das Wachstum der Fast Fashion zu bremsen. Experten und Umweltaktivisten jubeln, obwohl manche ein anderes Vorgehen bevorzugt hätten.

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Massenhaft billige Kleidungsstücke in einer Primark Filiale in München
Billige Kleidungsstücke in einem Geschäft der Modekette Primark (hier in München) Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Dass in Frankreichs Nationalversammlung Einigkeit herrscht, ist dieser Tage eher selten. Die Regierung hat im Parlament keine absolute Mehrheit und stößt häufig auf heftigen Widerstand der Opposition. Aber hinter dem "Gesetz zur Begrenzung der Umweltbelastung der Textilindustrie" standen alle Fraktionen.

Umweltminister Christophe Béchu sprach von einem "großen Schritt nach vorne", der Frankreich "zum ersten Land der Welt macht, das die Exzesse der Fast Fashion durch ein Gesetz begrenzt". Dessen endgültige Version steht noch nicht fest. Ab Mitte April berät der Senat darüber. In Kraft treten könnten die neuen Regeln in den nächsten Monaten. Doch schon jetzt freuen sich Modeexperten und Umweltaktivisten über das Gesetz. Auch wenn nicht jeder die geplante Vorgehensweise begrüßt.

Die neuen Regeln sollen Mode-Unternehmen betreffen, die täglich eine gewisse Mindestanzahl an Produkten auf den Markt bringen. Diesen Schwellenwert will man später per Verordnung definieren. Gemeint sind damit vor allem Fast-Fashion-Riesen wie der Produzent Shein und die Online-Verkaufsplattform Temu, beide in China ansässig. Solche Firmen sollen künftig gut sichtbar auf ihren Seiten auf die Umweltbelastung der Mode hinweisen und dazu anhalten, Artikel zu recyceln - sonst müssen sie Strafen von bis zu 15.000 Euro zahlen.

Shein App auf einem Mobiltelefon
Treibt Fast Fashion auf die Spitze: Der chinesische Online-Händler SheinBild: Jakub Porzycki/NurPhoto/picture alliance

Mithilfe eines neuen Ökopunktesystems sollen schlecht bewertete Unternehmen künftig zunächst eine Abgabe von bis zu fünf Euro und 2030 bis zu zehn Euro pro Artikel zahlen. Ab 2025 soll außerdem Werbung für Fast-Fashion-Unternehmen oder deren Produkte verboten sein. Andernfalls drohen den Firmen Strafen von bis zu 100.000 Euro.

"Wir haben einen Kulturkampf gewonnen"

Für Julia Faure ist der Gesetzesentwurf "eine super Neuigkeit". Sie ist Modeschöpferin und Co-Präsidentin der Bewegung En Mode Climat, zu der rund 600 Firmen gehören, die nachhaltig Mode produzieren. "Wir haben einen Kulturkampf gewonnen", sagt sie gegenüber der DW. "Fast Fashion ist eine Katastrophe in ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht und macht wie eine Dampfwalze alles außer dem Luxussektor platt."

So sei es ein klares Signal, wenn lokal produzierte Mode aus Wolle eine gute Ökobewertung und weit weg produzierte Mode aus synthetischen Stoffen eine schlechte Bewertung bekomme. "Trotzdem müssen wir aufpassen, dass die Regierung den Schwellenwert, durch den sie die Fast-Fashion-Unternehmen definiert, nicht zu hoch ansetzt", warnt sie.

Filiale der spanischen Fast Fashion-Kette Zara, hier in Warschau (Polen)
Filiale der spanischen Fast Fashion-Kette Zara, hier in Warschau (Polen) Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Philippe Moati, Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris Cité und Gründer des Pariser Marktforschungsinstituts ObSoCo, macht sich indes Sorgen, dieser Schwellenwert könne zu niedrig ausfallen und somit auch französische Unternehmen betreffen. Auch sonst ist der Experte eher skeptisch, was das Gesetz angeht. "Dadurch stigmatisiert man die Käufer dieser Mode, die laut einer Studie, die wir gerade durchführen, aus der Arbeiterklasse kommen und ein relativ niedriges Einkommen haben", erklärt er im DW-Interview. "Sich etwas leisten zu können gibt ihnen das Gefühl, zur Gesellschaft zu gehören." Moati schätzt, dass "Ultra-Fast Fashion", wie er sie nennt, etwa drei Prozent des Modemarktes in Frankreich ausmacht - genaue Zahlen gibt es nicht.

"Es ist die Zuspitzung des Trends der Fast Fashion, den Marken wie Zara oder H&M in den 1990er Jahren eingeführt haben. Anstatt zweimal im Jahr bieten sie seitdem jede Woche neue Kollektionen an, was viele anderen Unternehmen übernommen haben", erklärt er. "Die Ultra-Fast-Fashion-Firma Shein bringt inzwischen täglich rund 7200 Artikel auf den Markt."

Der Experte meint, die Regierung müsse das eingrenzen - allerdings indem sie bereits existierenden Regelungen durchsetze. Dazu gehöre eine gesetzliche zweijährige Garantie auf Kleidung, das Verbot, unter Selbstkosten zu verkaufen, und die Verpflichtung, einen realistischen Referenzpreis bei Rabatten anzusetzen. "Zudem sollten wir Importzölle nicht mehr wie bisher ab einem Wert von 150 Euro, sondern auf alle Kleidungseinfuhren erheben", sagt der Ökonom und fügt hinzu, dass Ultra-Fast-Fashion auch gute Seiten habe. "Diese Unternehmen produzieren sehr kleine Serien - und haben so kaum nicht verkauften Bestand."

Auf Anfragen der DW haben weder Shein, noch Temu, Zara oder H&M geantwortet.

Logo der schwedischen Modekette H&M
Logo der schwedischen Modekette H&M, hier in Riga (Lettland) Bild: Ints Kalnins/REUTERS

Frankreich Vorreiter für Europa?

Gildas Minvielle, Direktor der Wirtschafts-Beobachtungsstelle der Pariser Modeschule Institut Français de la Mode, glaubt, dass sich zeigen wird, ob die Methode der Regierung die richtige ist. "Dies ist gesetzliches Neuland - man muss schauen, was funktioniert", sagt er zu DW. "In jedem Fall sollte man Konsumenten auf die verheerenden Umweltauswirkungen der Fast Fashion aufmerksam machen."

So sei es bezeichnend, dass fast alle Parlamentarier hinter dem Text stünden. "Die neuen Regeln sind eine Reaktion auf die tiefe Krise, in der der Prêt-à-Porter-Sektor seit 2022 steckt. Zahlreiche Marken haben Konkurs angemeldet. Fast Fashion hat die Krise noch verstärkt und die Konkurrenz weiter verschärft", meint Minvielle. "Frankreich, das Land der Mode, hat ein wegweisendes Gesetz herausgebracht. Allerdings sollte man die neuen Regelungen auf Europa ausweiten - schließlich ist auch der Markt ein europäischer."

Eine der wenigen zumindest leicht abweichenden Stimmen im Parlament ist Antoine Vermorel-Marques, Abgeordneter für das mittelfranzösische Département Loire der konservativen Republikaner. "In meinem Heimatbezirk haben Textilfirmen in den 1980er Jahren rund 10.000 Leute beschäftigt. Dann haben viele Unternehmen ihre Produktion nach Asien verlagert, so dass inzwischen nur noch 2000 Menschen in dem Sektor arbeiten", sagt er zu DW.

Blick in eine Halle mit Textilproduktion in Bangladesch
In riesigen Fabriken wie hier in Bangladesch wird die billige Mode hergestelltBild: Joy Saha/ZUMA Press Wire/picture alliance

"Diese Unternehmen hatten gerade wieder angefangen, Leute einzustellen, weil es eine Tendenz zu lokal produzierter Ware gibt. Dann kam die Fast Fashion und setzte die Industrie erneut unter Kosten-Druck - da müssen wir gegensteuern." Allerdings sei ein Werbeverbot nicht der richtige Weg. "Es behindert den Markt anstatt ihn zu regulieren - wir sollten uns auf ein Ökopunktesystem beschränken, durch das man negative Externalitäten wie Umweltverschmutzung durch Produkte in den Preis integrieren kann", findet Vermorel-Marques.

Nötig, um Pariser Klimaabkommen zu respektieren

Doch für Pierre Condamine, Sprecher der Vereinigung Stop Fash Fashion, zu der mehrere Nichtregierungsorganisationen gehören, die sich für Umweltschutz einsetzen, gehen die Regeln nicht weit genug. "Man sollte schon im Gesetz den Schwellenwert für Fast Fashion so definieren, dass er auch französische Marken wie den Sporthändler Decathlon umfasst", fordert er gegenüber der DW.

"Und Unternehmen sollten bei einer negativen Ökobewertung eine Mindestabgabe pro Produkt zahlen, was bisher nicht der Fall wäre. Außerdem sollten Fast-Fashion-Unternehmen ihre Verkaufszahlen in Frankreich veröffentlichen müssen - so wissen wir endlich, womit wir es zu tun haben. Das wird uns auch dabei helfen, das Pariser Klimaabkommen zu respektieren. Schließlich dürfte dafür jeder Bürger nur fünf Kleidungsstücke pro Jahr kaufen - und nicht 50, wie das gerade der Fall ist."