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NATO Russland

Roman Goncharenko23. März 2012

Beim NATO-Gipfel im Mai wird Russland nicht dabei sein. Offiziell ist von Terminproblemen die Rede. Tatsächlich belastet der Streit um die Raketenabwehrpläne der NATO das Verhältnis.

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US-Raketenabwehrsystem "Patriot" (Foto: dpa)
US-Raketenabwehrsystem "Patriot"Bild: picture-alliance/ZB

Es klingt wie eine letzte Warnung. "Der Dialog geht weiter, keine Türen sind geschlossen", sagte am Freitag (23.03.2012) der scheidende russische Präsident Dmitri Medwedew in Richtung NATO. Noch gebe es Gelegenheit, sich über den umstrittenen Raketenschutzschirm in Europa zu einigen, doch die Zeit laufe ab.

Dass es diese Einigung noch vor dem NATO-Gipfel im Mai in Chicago gibt, ist inzwischen wohl unwahrscheinlich. Indiz dafür ist die Nachricht, die am Donnerstag aus Brüssel kam. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen teilte mit, am Rande des NATO-Gipfels werde es kein Treffen mit Russland geben. Der Grund seien Terminprobleme des zukünftigen russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bereits früher hatte Rasmussen erklärt, der Gipfel mit Russland werde nur dann stattfinden, wenn sich beide Seiten über den Raketenschutzschirm in Europa verständigen.

"Für mich ist es keine Überraschung, weil sich NATO und Russland im Bezug auf den Raketenschutzschirm nicht einigen konnten", sagt Alexander Rahr, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Putin habe nicht anders reagieren können, als den Chicago-Gipfel abzusagen, so Rahr. Sonst hätte der neue Kremlchef seine Präsidentschaft mit einem Gesichtsverlust beginnen müssen. Der von den USA vorangetriebene NATO-Raketenschutzschild werde installiert, glaubt der Berliner Experte. Auf russische Befindlichkeiten werde dabei wohl keine Rücksicht genommen. Unter solchen Umständen hätte "Putin auf dem Gipfel praktisch die Entscheidung des Westens einfach abnicken müssen", was einer außenpolitischen Niederlage gleichgekommen wäre.

DGAP-Experte Alexander Rahr
DGAP-Experte Alexander RahrBild: DW-TV

Will Putin die US-Präsidentenwahl abwarten?

Steven Pifer, Rüstungsexperte beim Brookings-Institut in Washington, bedauert die Entscheidung Putins. Aber damit sei zu rechnen gewesen. Als ein großes Hindernis bezeichnet Pifer die Tatsache, dass Russland von den USA juristisch verbindliche Garantien verlangt habe, damit der Raketenschutzschirm nicht gegen Russland gerichtet werden kann. Die Administration von US-Präsident Barack Obama sei aber nicht in der Lage, die von Moskau gewünschten Garantien zu geben, glaubt Steven Pifer: "Es gibt keine Chance, dass dies vom US-Senat ratifiziert würde". Die Frage des US-Raketenschutzschirms sei "bedauerlicherweise sehr politisch geworden".

Die Verhandlungen mit Russland würden durch den Wahlkampf in den USA zusätzlich erschwert, meint Pifer. Es könne sein, dass Wladimir Putin zunächst ein halbes Jahr abwarten wolle, bis der nächste Präsident der Vereinigten Staaten feststeht, mutmaßt der US-Experte. In diesem Jahr hält Pifer deshalb eine Einigung zwischen Moskau und Washington für unwahrscheinlich. Er schließt aber nicht aus, dass dies später möglich sein werde.

Russische Raketen für Kaliningrad

Der Streit zwischen Russland und den USA um die Raketenabwehr dauert bereits mehrere Jahre. Washington begründet seine Pläne damit, dass es sich und seine NATO-Verbündeten in Europa vor Raketen aus Staaten wie dem Iran oder Nordkorea schützen will. Moskau sieht sich durch die Stationierung von Radaranlagen und Raketen entlang seiner Grenzen bedroht. Der Konflikt eskalierte im Herbst 2011: Präsident Medwedew drohte für den Fall, dass es keine Einigung gibt, mit der Stationierung von Kurzstreckenraketen vom Typ "Iskander" im Kaliningrader Gebiet an der Grenze zur Europäischen Union. Experten in Moskau bezeichneten den NATO-Russland-Gipfel in Chicago bereits als eine Art Deadline für die Einigung. Nachdem dieser nun abgesagt wurde, ist es möglich, dass der neue Präsident Putin die russischen Raketenpläne umsetzt.

Medienberichten zufolge bereiten sich die russischen Streitkräfte schon seit einigen Monaten auf die Stationierung der Iskander-Raketen vor. Ihre Verlegung nach Kaliningrad an der Ostsee könnte bereits in der zweiten Jahreshälfte 2012 erfolgen. Hans-Henning Schröder von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) meint, eine solche Entwicklung würde die Beziehungen zwischen Russland und der NATO weiter erschweren. "Die Nicht-Teilnahme Putins am Chicago-Gipfel ist eine Warngeste", meint Schröder. Putin habe damit gezeigt, dass er an einem Dialog mit der NATO momentan nicht interessiert sei. Die Verlegung von Iskander-Raketen nach Kaliningrad würde eine weitere Eskalation bedeuten. Schröder bezweifelt allerdings, dass diese Stationierung schnell erfolgen kann.

SWP-Experte Hans-Henning Schröder
SWP-Experte Hans-Henning SchröderBild: SWP

"Eine vorsichtige Eskalation"

Doch sollte es so kommen, dürften sich diejenigen NATO-Staaten bestätigt fühlen, die immer noch an eine russische Bedrohung für die Allianz in Europa glauben, sagt Steven Pifer vom Brookings-Institut. Er nennt explizit die baltischen Staaten und Polen, an deren Grenze Russland seine Kurzstreckenraketen stationieren würde.

Alexander Rahr von der DGAP in Berlin glaubt, dadurch könnte sogar "die Spirale der Aufrüstung wieder in Gang gesetzt werden". Doch die Gefahr eines neuen Kalten Krieges sieht Rahr nicht. Sowohl Russland als auch die USA seien nicht daran interessiert. "Man wird eine Eskalation sehr vorsichtig betreiben, so dass man sie auf der nächsten Stufe wieder beenden kann", vermutet der Berliner Experte.

US-Präsident Obama mit Russlands Premier Putin (Foto: AP)
US-Präsident Obama mit Russlands Premier Putin (2009)Bild: AP

Vieles werde nun von einem persönlichen Treffen zwischen US-Präsident Obama und seinem künftigen russischen Kollegen Putin abhängen, meint der US-Experte Pifer. Am Rande des G8-Gipfels in Camp David bei Washington soll es im Mai zu einem solchen Treffen kommen. Dieser Termin wurde bisher nicht abgesagt.