1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nationalelf vergibt Matchball

Joscha Weber, derzeit in Mailand16. November 2013

Das deutsch-italienische Gipfeltreffen war eher etwas für Taktikliebhaber als für Fußball-Schöngeister. Die wieder neu sortierte DFB-Elf versuchte viel, hielt gut dagegen - und verschenkte am Ende den Sieg.

https://p.dw.com/p/1AIdc
Andrea Pirlo (l.) im Duell mit Mario Götze (r.) (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)
Bild: Getty Images

Freundschaftsspiel? Wer hat hier behauptet, dass Fußball etwas mit Freundschaft zu tun hat? Jedenfalls nicht im Falle von Italien gegen Deutschland. Selbst dann nicht, wenn der Ball noch ruht. Die deutsche Nationalhymne wurde gnadenlos niedergepfiffen von vielen Tifosi im Guiseppe-Meazza-Stadion. Kein gutes Signal, was da von den Rängen auf das Spielfeld gesendet wurde. Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches: Die italienischen Nationalspieler klatschten während der Hymne des Gegners Applaus und damit bewusst gegen die Pfiffe an - viele Fans schlossen sich an.

Das war es dann aber auch schon an netten Gesten. Denn das 1:1 (1:1) zwischen Italien und Deutschland war "ein Spiel voller Nickligkeiten", wie es Thomas Müller beschrieb. Kollege Philipp Lahm war etwas ratlos, wer von beiden Seiten die Schärfe in die Partie gebracht habe und Jérôme Boateng fasste die 90 Minuten mit der simplen Erkenntnis zusammen, dass es gegen Italien nun mal keine Freundschaftsspiele gebe.

Taktik-Fuchs Prandelli doch ausrechenbar?

Weder freundschaftlich, noch besonders ansehnlich war das, was die 49.000 Zuschauer im längst nicht ausverkauften Mailänder Fußballtempel sahen - wie so oft in diesem Duell. Taktisches Geplänkel, überraschend viele Fouls, aber auch Fehler im Spielaufbau prägten auf beiden Seiten das Bild. So schlug Italiens Auswahlcoach Cesare Prandelli nach der Partie selbstkritische Töne an: "Es hat uns etwas Geschwindigkeit gefehlt. Außerdem müssen wir bis zur WM noch an dem Übergang zwischen Mittelfeld und Angriff arbeiten." Vor allem Regisseur Andrea Pirlo - inzwischen 34 Jahre alt - ist nicht mehr der Schnellste. Vieles ist auf ihn zugeschnitten im italienischen Spiel, "da dürfen wir nicht zu ausrechenbar werden für den Gegner", warnt Prandelli.

Sein Gegenüber Joachim Löw betonte vor der Partie die taktische Überlegenheit Italiens und versuchte mit zwei Maßnahmen, deren Tauglichkeit weiter überprüft werden muss, dagegenzuhalten: Das Spiel ohne Stürmer und das Herauslösen von Philipp Lahm aus der Abwehr. Ersteres scheint ein neues Faible Löws zu sein, Zweiteres ist wohl eher ein Akt aus einer gefühlten Not heraus. Mario Götze als "falschen Neuner" im Sturm aufzustellen hat den Charme von noch mehr spielerischer Qualität in der Spitze, schließlich hat Löw das Luxusproblem von zu vielen Offensivkünstlern für eine Startelf. Der Nachteil: Es fehlt eine Anspielstation für hohe Bälle. Die Positionen auf dem Papier solle man nicht so ernst nehmen, entgegnete nach der Partie Mario Götze: "Wir sind flexibel. Man kann sich fallen lassen und die Position tauschen. Ich denke, das macht unser Spiel aus."

Höhere Mathematik: Falscher Neuner, Umgeschulter Sechser

Lahms Intermezzo als "Sechser" vor der Vierer-Abwehrkette dürfte dagegen eher den Verletzungen von Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan geschuldet sein - oder schaut sich der Bundestrainer doch etwas bei Bayern-Coach Pep Guardiola ab? Der stellt Lahm mittlerweile gerne ins defensive Mittelfeld. Der Betroffene selbst ist sich jedenfalls sicher, dass Löw in Zukunft "mit mir als Rechtsverteidger plant". Der DFB-Coach wäre auch gut beraten, schließlich ist die Abwehr derzeit die einzige wirkliche Schwachstelle im System.

André Schürrle (r.) im Duell mit Ignazio Abate (Foto: OLIVIER MORIN/AFP/Getty Images)
Umkämpfter Ball, umkämpfte Partie: Beide Seiten teilten aus, beide Seiten mussten einsteckenBild: Olivier Morin/AFP/Getty Images

Das zeigte sich beispielsweise in der 28. Minute auf dem Rasen des Guiseppe-Meazza-Stadions: Ignazio Abate führte Bundestrainer Joachim Löw deutlich vor Augen, dass ein schneller Doppelpass reicht, um die nach wie vor instabile deutsche Abwehr zu überlisten. Seinem platzierten Schuss ins lange Eck konnte Manuel Neuer nur hinterherschauen. Mehr Grund zur Freude hatte der Bundestrainer in der achten Minute, als Mats Hummels wie aus dem Nichts zur Führung einköpfte. Ein Tor, dass gut getan haben muss, nach der zum Teil herben Kritik an ihm - übrigens auch von Joachim Löw.

Gegentore? Kein Problem, ist man ja gewohnt

Auch das 1:1 von Abate fiel ziemlich ansatzlos, nachdem zuvor vor allem die Deutschen, angetrieben von Neu-Spielmacher Toni Kroos, Akzente setzten. Doch die deutsche Mannschaft ist Gegentore längst gewöhnt, könnte man es ketzerisch formulieren. Positiver ausgedrückt: Sie ließ sich nicht beeindrucken. André Schürrle hatte nach einer guten halben Stunde gleich doppelt die Chance zur erneuten Führung und hämmerte nach einem italienischen Abwehrschnitzer einen 30-Meter-Schuss an die Latte. Insgesamt drei Mal knallte der Ball ans Gestänge des Tores von Keeper Gianluigi Buffon. Es hätte also durchaus klappen können mit dem ersten deutschen Sieg gegen Italien seit 18 Jahren. Genauer gesagt: klappen müssen. Denn nach einem Pfostentreffer von Benedict Höwedes in der Nachspielzeit wollten sowohl Marco Reus als auch Lars Bender freistehend den Abpraller verwerten - und behinderten sich dabei gegenseitig.

Und was machte eigentlich das personifizierte deutsche EM-Trauma Mario Balotelli? Er fiel hauptsächlich auf, in dem er fiel. Mehrfach. Meist nur nach geringem Körperkontakt. Doch Schiedsrichter Olegario Benquerenca aus Portugal lies in der Regel weiterlaufen - zum Unmut der Anhänger der Squadra Azzura. Torgefahr ging jedenfalls von dem so gefürchteten Mittelstürmer an diesem Abend keine aus.

"Große Chance verpasst"

Und so endete dieser Härtetest gegen einen WM-Favoriten für die deutsche Mannschaft mit einem durchaus passablen Remis, das dem Bundestrainer aber zu wenig war: Man habe "eine große Chance verpasst", Italien endlich zu schlagen und die Vokabel "Angstgegner" streichen zu dürfen. Die nächste Chance kommt bestimmt, vielleicht schon in Brasilien.