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Mit Marx und Gesangbuch ins Amt

Bernd Gräßler5. Dezember 2014

Bodo Ramelow ist der erste Ministerpräsident der Linken in einem Bundesland: Im ostdeutschen Thüringen ist der einstige Westimport populär. Unter seinen Genossen gilt der Kirchgänger als Exot.

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Bodo Ramelow als Ministerpräsident gewählt (Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach)
Bild: Reuters/R. Orlowski

Ramelow sei der "etwas andere Genosse", schrieb die Berliner "Tageszeitung" (taz). Nicht nur, weil er eifriger Kirchgänger und damit ein Exot in der Führungsriege der Linken ist. Man könnte auch sagen, Bodo Ramelow ist vor allem Bodo Ramelow. Einer, der von sich selbst sagt, dass er keiner Ideologie, sondern vor allem seinem Gerechtigkeitssinn folgt. Der dabei keinem Streit aus dem Weg geht und leicht aufbrausen kann. Manche nennen ihn einen "Wossi", die sprachliche Mischform aus Ossi und Wessi. So heißen Westler, die im Osten heimisch geworden sind. Schon kurz nach dem Mauerfall ging der gelernte Kaufmann und damalige hessische Gewerkschaftsfunktionär Ramelow in den Osten und half, neue Gewerkschaften aufzubauen. 1993 war er dabei, einen legendären Streik ostdeutscher Kali-Kumpel gegen die Schließung ihres Bergwerks im thüringischen Bischofferode zu organisieren.

Dauerfehde mit dem Verfassungsschutz

Hartnäckig prozessierte er gegen den bundesdeutschen Verfassungsschutz, der ihn bereits im Westen, in seiner hessischen Heimat, jahrzehntelang beobachtet hatte. Der Grund: In den 1980er-Jahren hatte sich Ramelow mit einem Postbeamten solidarisiert, der wegen seiner Zugehörigkeit zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurde. Er stehe heute auch noch zu seiner damaligen Haltung, sagte Ramelow der DW. "Nicht, weil ich selbst Kommunist war, sondern weil ich das Grundgesetz ernst nehme und weil die freie Meinungsäußerung auch für einen Kommunisten gestattet sein muss". 2014 siegte er vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Verfassungsschutz und schlug damit eine entscheidende Bresche in die geheimdienstliche Beobachtung von linken Parlamentariern.

Thüringens Staatskanzlei in Erfurt
In Reichweite für die Linke: Thüringens Staatskanzlei in ErfurtBild: picture-alliance/dpa/Jan Woitas

Trotzig kann Ramelow auch den eigenen Genossen gegenüber sein. Auf dem Linken-Parteitag im Juni 2013 stimmte er als einer der ganz wenigen Delegierten gegen das gesamte Bundestags-Wahlprogramm, weil ihm nicht gefiel, wie der Passus zu "Glauben und Religion" zu mitternächtlicher Stunde durchgepeitscht wurde. Da habe seine Seele rebelliert, erklärte Ramelow später. Anfang des Jahres hatte er als Gast in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin gepredigt. Wirtschaft und Finanzpolitik sollten sich stärker an der Bibel orientieren, forderte er da. Denn das Alte Testament verbiete überhöhte Zinsen und die Ausbeutung armer Menschen." In den Medien wird Ramelow zum Reformflügel seiner Partei gerechnet, Regierungsbeteiligungen der Linken sind für ihn kein Verrat an der sozialistischen Sache.

Kümmern, kümmern, kümmern

Der 58-Jährige, verheiratet mit einer gebürtigen Italienerin und Vater zweier Kinder, ist einer, der ein Ziel nicht deshalb aufgibt, weil es aussichtlos scheint oder nicht populär ist. So hat er sich seit seinem Eintritt in die thüringische Politik vor zwei Jahrzehnten hartnäckig durchgeboxt bis zu dieser verheißungsvollen Aussicht, gemeinsam mit Sozialdemokraten und Grünen seine neue Heimat zu regieren. Im Wahlkampf glänzte er durch Detailwissen und präsentierte sich den Bürgern als zupackender Macher mit den "drei K" als Motto: "Kümmern, kümmern, kümmern". Die Arbeit vor Ort ist ohnehin die Stärke der Linkspartei in Ostdeutschland.

Neben der bisherigen Ministerpräsidentin Lieberknecht ist Ramelow der bekannteste Politiker Thüringens. "Ein-Mann-Opposition" nannten manche den scharfzüngigen Redner im Erfurter Landtag, wo er lange Zeit einer übermächtigen CDU gegenüberstand, die im Notfall zum Regieren auch auf die SPD zählen konnte. Nun hat sich der Wind gedreht und Ramelow ist am Ziel.