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USA streiten um Rassenfrage

Gero Schließ, San Francisco25. Juli 2013

Der Fall des erschossenen schwarzen Teenagers Trayvon Martin lässt das Land nicht los: In den USA wird die Rassenfrage neu gestellt. Präsident Obama hat mit einer persönlich geprägten Rede dazu beigetragen.

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Schwarze Menschen demonstrieren am 20.07. in Washington DC gegen den Freispruch von George Zimmerman. (Foto: NICHOLAS KAMM/AFP/Getty Images)
USA Trayvon Martin ProtesteBild: Nicholas Kamm/AFP/Getty Images

Proteste, Demonstrationen, Rufe nach politischer Intervention und eine heftige Debatte über Rassendiskriminierung zeugen davon, wie aufgewühlt viele Menschen von dem Freispruch George Zimmermans sind, der den unbewaffneten Trayvon Martin in Notwehr erschossen haben will.

"Wir sind immer noch sehr tief gespalten in der Rassenfrage", sagt Reverend Roland Stringfellow der Deutschen Welle. Der afro-amerikanische Pastor aus San Francisco kennt viele, die in den letzten Tagen auf die Straße gegangen sind. Er hat das Urteil "mit gebrochenem Herzen" aufgenommen und ist heute pessimistischer in der Rassenfrage als noch vor wenigen Wochen.

"Viele Leute weisen auf die Fortschritte hin, die Afro-Amerikaner in diesem Land gemacht haben, insbesondere in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts", sagt Stringfellow. "Vor wenigen Jahren, ja man kann sagen vor wenigen Tagen, haben wir allerdings gesehen, dass viele dieser Fortschritte wieder zurückgedreht wurden."

Reverend Roland Stringfellow. (Foto: Gero Schließ, DW, Mai 2013)
Roland Stringfellow: Rassenfrage spaltet die USABild: DW/G. Schließ

Die Demonstrationen in vielen amerikanischen Städten waren zumeist friedlich, auch im Zentrum San Franciscos, dem Civic Center. Im benachbarten Oakland hingegen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Reverend Stringfellow kann die Wut der jungen Afro-Amerikaner nachvollziehen, lehnt Gewalt aber strikt ab.

Nicht alle denken so. Unweit des Civic Center, auf der Market Street, der Hauptverkehrsader San Franciscos, steht eine Gruppe schwarzer junger Männer. Sie tragen archaisch-kriegerische Kostüme, trommeln und rufen, wollen provozieren.

"Ich bin für Gewalt"

"Die beste Art, seine Wut zu äußern, ist Gewalt", sagt der Jüngste unter ihnen, der nicht fotografiert werden will. "Demonstrieren ändert gar nichts. Ich bin für Gewalt." Die Männer sind überzeugt, dass es ein unfairer Prozess war. "Es war Rassismus. Sie sprachen sich für Zimmerman aus, weil er ein sogenannter Weißer ist. Dass Schwarze von der Polizei getötet werden, passiert andauernd. Aber dieser Fall ist jetzt mal in den Nachrichten."

Die Demoskopen bestätigen das Bauchgefühl: Der Freispruch für George Zimmerman spaltet das Land. Er hat bei Weißen und Schwarzen völlig unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. In einer aktuellen Umfrage für die Washington Post sagten 86 Prozent der Afro-Amerikaner, sie seien mit dem Urteilsspruch überhaupt nicht einverstanden. Ganz anders sehen es die weißen Amerikaner: 51 Prozent von ihnen stimmen dem Urteil zu und nur 31 Prozent sagen, sie seien dagegen.

Anwalt: Keine Gleichheit vor dem Gesetz

Und der Riss geht noch tiefer: 86 Prozent der Schwarzen sagen der Umfrage zufolge, sie würden vor dem Gesetz nicht gleich behandelt. Von den Weißen sehen nur 41 Prozent ihre schwarzen Mitbürger benachteiligt.

Clinton Woods, Anwalt. (Foto: DW/Gero Schließ)
Woods: Urteile gegen Afro-Amerikaner sind oft ungerechtBild: DW/G. Schließ

Der Rechtsanwalt Clinton Woods, der von seinem Büro im feinen Financial District einen großartigen Blick auf die Stadt hat, macht kein Hehl daraus, dass afro-amerikanische Bürger vor Gericht ungleich behandelt würden. "Was man immer und immer wieder sieht, sind schärfere Urteile für Afro-Amerikaner. Bagatellen werden mit relativ hohen Strafen belegt. Und die Todesstrafe wird zu einem überproportional hohen Anteil verhängt."

Obama bekennt Farbe

Schwarze und Weiße hat der Prozess plötzlich wieder weit auseinander gebracht. Genau das mag Präsident Barack Obama zu seinen jüngsten, sehr persönlichen Bemerkungen veranlasst haben. Anders als seine ersten Worte direkt nach der Urteilsverkündung waren sie nicht ausgleichend und unverbindlich, sondern hatten einen eigenen Standpunkt.

Wenn man so will, hat Amerikas erster afro-amerikanischer Präsident erstmals Farbe bekannt: Er hat sich selbst, seine Identität als Afro-Amerikaner, zum Ausgangspunkt seiner Botschaft gemacht. Oder, wie der Kommentator des landesweiten "National Public Radio" es formulierte, er hat versucht, das schwarze Amerika dem weißen Amerika zu erklären. "Es gibt eine Tradition der Ungleichbehandlung der Rassen bei der Anwendung unserer Strafgesetze – von der Todesstrafe bis zu den Drogengesetzen." Das ist so ein Satz, der Position bezieht.

Der in San Francisco lebende Bürgerrechtsaktivist John Lewis zeigt sich bewegt von Obamas Worten, "weil er seine eigene Geschichte als Afro-Amerikaner erzählt hat“, wie Leute ihn in Geschäften misstrauisch beäugt haben aus Furcht er könne etwas stehlen oder wie sie ihre Autotüren verriegelten, wenn er an ihren Autos vorbeiging. Lewis ist überzeugt davon, dass es gerade die öffentlich gemachten "persönlichen Wahrheiten" sind, die große Debatten voranbringen.

U.S. Präsident Barack Obama auf einer Pressekonferenz zum Fall Trayvon Martin am 19.07. im Weißen Haus. (Foto: REUTERS/Larry Downing)
Obama über Travon Martin: "Das hätte ich vor 35 Jahren sein können."Bild: Reuters

Rechtsanwalt Woods sieht noch einen anderen Verdienst Obamas: "Viele Leute geben vor, dass es Rassismus in den USA nicht gibt. Es war deshalb bemerkenswert, dass der erste afro-amerikanische Präsident aufgestanden ist und gesagt hat, welchen Problemen afro-amerikanische Männer täglich ausgesetzt sind. Egal ob sie Politiker, Geschäftsleute oder Jugendliche sind, die auf der Straße aufwachsen."

Empörung und bissige Kommentare

Vergleichbar vielleicht nur mit der breiten gesellschaftlichen Debatte um die gleichgeschlechtliche Ehe diskutieren die Amerikaner jetzt auch wieder das Rassenthema: Im Büro, beim Happy-Hour-Drink an der Bar, in Predigten in der Kirche und natürlich in den großen Fernsehsendern. Auch die sozialen Medien sind voll von Empörung.

In den Leserbriefspalten des San Francisco Chronicle finden sich jedoch auch kritische Kommentare der anderen Seite. Wo denn die Demonstranten gewesen seien, als der schwarze Superstar O.J. Simpson von der Mordanklage an seiner weißen Frau freigesprochen wurde, fragt eine Leserin. Ein anderer zeigt sich verwundert, warum es keine Proteste gebe, wenn sich junge schwarze Männer gegenseitig umbrächten. Aber auch das: Ein Mann mit lateinamerikanischem Namen schreibt, er habe genug und sei frustriert von seinem gesellschaftlichen "Anderssein".

Doch Amerika wäre nicht Amerika, gäbe es nicht auch einen unerschütterlichen Glauben an eine bessere Zukunft. Der Gesundheitsmanager Stuart Gaffney, der auf eine der ersten Demonstrationen in San Franciscos ging, artikuliert etwas von diesem ungebrochenen Optimismus: "Das Tolle an den Kundgebungen im ganzen Land war, dass Menschen aus allen unterschiedlichen Teilen unserer Gesellschaft zusammenstanden. Ich war stolz, mit Menschen verschiedener Rassen und Klassen zusammen zu sein und zu sagen, dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan wurde."