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PolitikMali

MINUSMA-Einsatz in Mali - ein Desaster mit Ansage

Antonio Cascais
5. Juli 2023

Auf ausdrücklichem Wunsch der malischen Militärregierung beschloss der UN-Sicherheitsrat den Abzug der MINUSMA-Blauhelme bis Ende des laufenden Jahres. Wie geht es nun in Mali weiter?

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Soldaten mit blauen Helmen mit der Aufschrift "UN", bewaffnet mit leichten Gewehren", marschieren bei einer Militärparade
Ivorische Soldaten der UN-Friedensmission in MaliBild: SIA KAMBOU/AFP

Der UN-Sicherheitsrat hat Ende Juni auf ausdrücklichen Wunsch der malischen Militärregierung den Abzug der MINUSMA-Blauhelme beschlossen. Das wird Folgen haben - für Mali, für die Sahelregion und für die Länder, die Soldaten entsendet haben, unter anderem Deutschland.

Überraschend kommt der Abzug der circa 13.000 MINUSMA-Blauhelm-Soldaten nicht: Seit dem Militärputsch vom Mai 2021 hatten sich die internationalen Beziehungen des westafrikanischen Landes zu wichtigen internationalen Partnern zunehmend verschlechtert.

Der Staatsstreich unter Führung des damaligen Übergangs-Vizepräsidenten, General Assimi Goïta, rief internationale Kritik hervor. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS verhängte Sanktionen gegen Mali und auch die Beziehungen zu Frankreich erreichten bald einen Tiefpunkt: Frankreich, das - nach der mit der Rebellion der Tuareg 2012 einhergehenden Sicherheitskrise - Truppen nach Mali geschickt hatte, um den Terrorismus, vor allem im Zentrum und Norden des Landes, zu bekämpfen, wurde bald von der neuen malischen Führung gedrängt, diese wieder abzuziehen.

Assimi Goita in Uniform und grünem Barrett, umgeben von bewaffneten Soldaten; im Hintergrund stehen andere Militärs sowie Zivilisten
Malis General Assimi Goïta: Der Militärputsch vom Mai 2021 unter seiner Führung rief internationale Kritik hervorBild: Fatoma Coulibaly/REUTERS

Angesichts der zunehmenden diplomatischen Spannungen war auch das Ende der MINUSMA nur noch eine Frage der Zeit: Die Regierung Malis warf der UN-Blauhelmmission immer öfter und unverblümter Erfolgslosigkeit vor. Die UN-Blauhelme klagten ihrerseits über mangelnde Unterstützung und sogar Behinderungen ihrer Einsätze seitens der malischen Militärjunta. 

Gleichzeitig setzte die Militärführung in Bamako immer offener auf eine Militärkooperation mit Russland, das wiederum Wagner-Söldner und Militärausbilder ins Land schickte. Man wolle zukünftig selbst für seine eigene Sicherheit sorgen, hieß es seitens der malischen Militärführung.

"Eine Frage der nationalen Souveränität"

"Ich halte es für normal, dass Malis Regierung ihre Souveränität in Sicherheitsfragen geltend machen will. Niemand kann Mali dieses Recht streitig machen, denn Mali ist ein unabhängiger Staat", sagt Abdulaye Sounaye im DW-Interview. Der Sahel-Experte forscht am Leipniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin und lehrt außerdem an der Abdou Moumouni Universität in der nigrischen Hauptstadt Niamey. Andererseits sei es aber so, dass Mali erwiesenermaßen nicht in der Lage sei, alleine die Sicherheit aller Bürger im Land, vor allem im umkämpften Norden des Landes, sicherzustellen. Nicht einmal mit Hilfe von Söldnern der russischen Wagner-Gruppe sei es gelungen, diese Gebiete unter Kontrolle zu bringen. Wenn die internationale Friedenstruppe jetzt weggeschickt werde, bedeute das nichts Gutes für die Sicherheitslage in Mali, aber auch in angrenzenden Ländern des Sahel, so Sounayes Urteil. "Das Risiko ist groß, dass sich die militärische Lage mit dem Abzug der MINUSMA noch weiter verschärft."

Politologin Niagalé Bagayoko blickt in die Kamera
Politologin Niagalé Bagayoko: "Mali-Krise wird sich nicht durch Wagner-Söldner lösen lassen" Bild: Benjamin Reverdit

Niagalé Bagayoko, französische Sahel-Expertin mit malischen Wurzeln, sieht die Wurzel des Problems in den "mehr als angespannten" malisch-französischen Beziehungen: "Die Entscheidung der malischen Militärführung hat unmittelbar mit der zerstörten Beziehung zu Frankreich zu tun." Mali positioniere sich seit geraumer Zeit als Staat, der sich von der früheren Kolonialmacht Frankreich abgrenzen will, so Bagayoko weiter. Der Abzug der Franzosen und der MINUSMA-Mission zeige aber auch, dass es zunehmend schwerer werde, Konflikte und Kriege auf dem afrikanischen Kontinent auf den üblichen Wegen beizulegen. Doch dieser Krise könne man nicht dadurch begegnen, dass man russische Söldner anheuert, so Bagayokos Fazit.

Malische Bevölkerung: Zwischen Zustimmung und Skepsis

Bei der malischen Bevölkerung wird die Politik der Militärjunta in Bezug auf ausländische Truppen mit gemischten Gefühlen aufgenommen, wie ein vom DW-Korrespondenten auf den Straßen der malischen Hauptstadt gezeichnetes Stimmungsbild zeigt:  "Ich bin sehr zufrieden mit der Entscheidung unserer Regierung. Ich denke das Mandat der Blauhelme ist zurecht abgelaufen. Seitdem die ausländischen Soldaten ins Land gekommen sind gab es keine Verbesserung der Lage", sagt eine Frau im Zentrum Bamakos dem DW-Korrespondenten Mahamadou Kane.

Und ein Passant fügt hinzu: "Die Angriffe der Dschihadisten im Zentrum und im Norden des Landes hörten gar nicht auf, trotz oder gerade wegen der Anwesenheit der internationalen Truppen. Es gab immer wieder Anschläge, immer wieder Tote und Verletzte. Gut, dass die Blauhelme jetzt das Land verlassen müssen."

Andere Befragte äußern allerdings die Sorge, dass der MINUSMA-Abzug Nachteile für die Bevölkerung nach sich ziehen könnte. Einer drückt das so aus: "Was wird aus all den Projekten und Hilfsmaßnahmen, die die MINUSMA in Zentrum und Norden Malis organisierte? Was soll aus den Menschen dort werden, wenn die internationalen Truppen jetzt abziehen?"

Luftaufnahme der malischen Hauptstadt Bamako; im Hintergrund sind einzelne höhere Gebäude sowie der Fluss Niger zu sehen
Malis Hauptstadt Bamako: Gemischte Gefühle bei der Bevölkerung angesichts des Abzugs der MINUSMA-Soldaten Bild: Nicolas Remene/Le Pictorium/imago images

Eine Sorge, die der Leiter des Sahel-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako, Ulf Laessing, teilt: "Im Norden und im Zentrum habe ich viele Menschen getroffen, die die MINUSMA schätzen. Tausende finden Arbeit bei der Mission. Die Mission macht auch sehr viel im zivilen Bereich, zum Beispiel Qualifizierung von Arbeitslosen", sagt Laessing, der seit November 2021 in Bamako ist und auch den besonders instabilen Norden Malis bereist hat, was nur dank der MINUSMA-Friedenstruppen möglich gewesen sei. Laessing fügt hinzu: "Die MINUSMA arbeitet mit Frauen, baut Brunnen, macht Arbeit im Bereich der Gesundheit; eine ganze Palette an Projekten, die den Staat ersetzen, in den Regionen, in denen der Staat eher schwach ist."

Doch das sei bald vorbei. Nach Einschätzung von Laessing wird die Lage mit dem Abzug der UN-Truppen auch für Hilfs- und Entwicklungsorganisationen schwieriger. Sie seien etwa bei Reisen auf den Schutz der UN-Mission angewiesen. Auch für die Zivilbevölkerung werde sich die Sicherheitslage sicherlich nicht verbessern, ganz im Gegenteil, so Laessing: "Die Sicherheitslage wird sich vermutlich zumindest nicht verbessern."

Ulf Laessing, Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung, blickt in die Kamera
Ulf Laessing, Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung: "MINUSMA wird ein Vakuum hinterlassen"Bild: Privat

Die Regierung Malis werde versuchen, zusammen mit den russischen Partnern das von der MINUSMA hinterlassene Vakuum zu füllen, so Laessing. "Die Armee hat ja groß eingekauft: Neue Hubschrauber, Jets, Waffen. Sie werden jetzt versuchen, die MINUSMA zu ersetzen. Die bewaffneten Gruppen, die Dschihadisten, werden jetzt sicherlich auch versuchen, das Vakuum für sich auszunutzen", sagt der Sahel-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung, die der deutschen konservativen Partei CDU nahesteht.

Bundeswehr: Gelingt ein geordneter Abzug?

Mit der Ankündigung des Rückzugs der MINUSMA müssen nun über 13.000 Soldaten und Polizisten sowie ihre Ausrüstung, von Hubschraubern bis zu gepanzerten Fahrzeugen, organisiert zurückgezogen werden. Darunter auch etwa 1.100 Bundeswehrsoldatinnen und -Soldaten, für die der Einsatz in Mali früher als geplant endet. Das werde die Bundeswehr nach Einschätzung Laessings jedoch vor keine größeren Probleme stellen.

Gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr in Mali mit deutscher Flagge; im Vordergrund sind mehrere Soldaten zu sehen
Bis Ende 2023 müssen etwa 1.100 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Mali abgezogen seinBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Wir erinnern uns: Noch Ende Mai hatte der Bundestag das Mandat für die Beteiligung ein letztes Mal verlängert, beschloss aber auch ein Abzugsmandat - mit dem Zieldatum Ende Mai 2024. Dieses Datum muss nun vorgezogen werden.

Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete das Ende von MINUSMA nach der Abstimmung im Sicherheitsrat als "bittere Nachricht für die Menschen in Mali, denen die Mission Schutz und Hoffnung gab". Jedoch habe es die Militärregierung immer unmöglicher gemacht, weiter zu Sicherheit der Menschen in Mali beizutragen, schrieb sie auf Twitter.

Mehr als 300 Blauhelm-Soldaten sind im Laufe der UN-Mission MINUSMA ums Leben gekommen, Tausende Einheimische wurden in den zurückliegenden Monaten getötet. Aus europäischer Perspektive dürfte in Erinnerung bleiben, dass die regierende und mit russischen Wagner-Söldnern paktierende Militärjunta die Hilfsmission de facto aus dem Land geworfen hat. Zunächst muss nun der Abzug organisiert werden - doch danach wird es bei Truppenstellern wie Deutschland sicherlich um die Aufarbeitung des MINUSMA-Einsatzes gehen.

Malische Demonstranten halten ein Transparent mit der Aufschrift "Merci Wagner"
Bamako: Protest mit "Danke Wagner" Plakat im Februar 2022Bild: Florent Vergnes/AFP/Getty Images

Mitarbeit: Mahamadou Kane (Bamako), Brahima Tounkara, Frejus Quenum