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Mexikos Energiereform nimmt Fahrt auf

Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt13. August 2014

Rund 76 Jahre hatten staatliche Unternehmen in Mexiko das Monopol für Öl, Gas und Strom. Nun hat der Präsident eine umstrittene Reform unterzeichnet, und plötzlich geht alles nicht schnell genug.

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Energie Mexiko Pemex
Bild: picture-alliance/Zuma Press

Es ist das wohl am umfassendsten debattierte Gesetzesvorhaben in der Geschichte des mexikanischen Parlaments gewesen. Am Montag unterzeichnete Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto die umstrittene Energiereform und beendete mit seiner Unterschrift das 76 Jahre währende staatliche Monopol im Energiesektor. Künftig ist die Beteiligung in- und ausländischen privaten Kapitals bei der Erschließung und Förderung der mexikanischen Öl- und Gasvorkommen erlaubt. Der Staat erhofft sich davon Einnahmen in Milliardenhöhe, vor allem durch Ölbohrungen in der Tiefsee und die Schiefergasproduktion, das sogenannte Fracking.

Bereits in dieser Woche soll bekannt gegeben werden, welche Bereiche des Gas- und Ölsektors für private Investoren geöffnet werden - einen Monat früher als es der ursprüngliche Zeitplan vorsah. Nach monatelangen Diskussionen kann es nun nicht schnell genug gehen. Los geht es mit der sogenannten Runde Null (Ronda Cero), in der dem bislang staatlichen Energiekonzern Pemex die Fördergebiete zugewiesen werden, die er auch in Zukunft ohne Beteiligung privaten Kapitals ausbeuten darf. Pemex hatte zuvor entsprechende Vorschläge unterbreiten dürfen.

Konzerne in den Startlöchern?

Anschließend werden in Runde Eins (Ronda Uno) jene Öl- und Gasfelder bestimmt, für die sich private Unternehmen, allein oder zusammen mit Pemex, um Förderlizenzen bewerben können. Laut Peña Nieto sollen die ersten Ausschreibungen bereits im ersten Quartal 2015 über die Bühne gehen. Ausländische Unternehmen könnten sich "von jetzt an" darauf vorbereiten. Es heißt, internationale Energiekonzerne wie ExxonMobil oder BP hätten bereits Interesse bekundet.

Runde Null und Eins sind Teil eines Katalogs von zehn Sofortmaßnahmen, den Peña Nieto ankündigte, um die Umsetzung der Energiereform schnell in Gang zu bringen. Die sogenannten nachgeordneten Gesetze, die die Einzelheiten der Reform regeln, sollen demnach im Oktober veröffentlicht werden. Das gebe "den neuen Investitionen in dem Sektor volle Rechtssicherheit", so Peña Nieto. Er kündigte an, das Instituto Mexicano del Petróleo (IMP), eine staatliche Forschungseinrichtung, die mit technischen Lösungen für die Ölförderung beschäftigt ist, zu modernisieren.

Mexiko Energiereform
Präsident Nieto (Mitte) unterschreibt das Gesetz über die EnergiereformBild: picture-alliance/dpa

Noch vor Ende August will der Präsident dem Senat die Namen der Bewerber für die Spitzen der für den Energiesektors zuständigen Aufsichtsbehörden vorlegen. Experten haben gewarnt, dass die Unabhängigkeit dieser staatlichen Regulierungsbehörden in den Gesetzen nicht ideal verankert wurde, weshalb der Besetzung der Posten umso größere Bedeutung zukommt. Darüber hinaus hat die mexikanische Regierung versprochen, zeitnah Kandidaten für den Verwaltungsrat des Energiekonzerns Pemex sowie der Elektrizitätskommission (Comisión Federal de Electricidad, CFE) zu präsentieren. Letztere hat aufgrund der mexikanischen Verfassung ein weitreichendes Monopol für die Stromerzeugung und -verteilung. Beide bislang staatlichen Unternehmen erleben durch die Reform den größten Wandel ihrer Geschichte.

"Jahrzehnte des Stillstandes"

Um diese Zäsur zu verstehen, genügt ein kurzer Blick auf die Geschichte des mexikanischen Energiesektors. Dieser erklärt auch die heftigen Debatten rund um die Energiereform. Denn der Einstieg privaten Kapitals in den mexikanischen Energiesektor berührt gewissermaßen den Heiligen Gral nationaler Unabhängigkeit. So jedenfalls eine in Mexiko weitverbreitete Lesart. Am 18. März 1938 hatte der damalige mexikanische Präsident Lázaro Cárdenas alle ausländischen Energiekonzerne enteignet und Erdöl und Erdgas verstaatlicht. Bis zu der von Peña Nieto angestoßenen Reform hatte sich keine mexikanische Regierung - selbst die konservativsten - nicht getraut, dieses in der Verfassung verankerte Paradigma mexikanischer Energiepolitik anzutasten.

Er wolle mit der Reform "Jahrzehnte des Stillstands" überwinden und "Hindernisse beseitigen, die ein andauerndes und nachhaltiges Wachstum Mexikos verhindert haben", erklärte Peña Nieto. Die Energiereform gilt als die bedeutendste Strukturreform der letzten Jahrzehnte in Mexiko und als Kernstück seiner Wirtschaftspolitik. Sie werde für günstigere Gas- und Strompreise sorgen und neue Arbeitsplätze schaffen, so der Präsident.

Die Linke kündigt Widestand an

Das sieht die mexikanische Linke, vor allem in Gestalt ihrer parlamentarischen Vertretung, der PRD (Partido de la Revolución Democrática), anders. Die Reform organisiere den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes und schwäche somit die Souveränität Mexikos. Mit einem Referendum im kommenden Jahr will die PRD das Gesetzeswerk wieder rückgängig machen. Das aber erscheint – nicht zuletzt aufgrund der nun schnell geschaffenen Fakten - eher unwahrscheinlich.

Die symbolische Bedeutung der Reform - gerade für die PRD - wird deutlich an der Person von Parteigründer Cuauhtémoc Cárdenas. Der heute 80-Jährige ist der Sohn von Lázaro Cárdenas, der den mexikanischen Energiesektor verstaatlicht hat, und so etwas wie die graue Eminenz der Partei und ihr moralischer Führer. Die nun in Kraft getretene Energiereform beerdigt quasi das Erbe seines Vaters. "Cárdenas ha muerto", Cárdenas ist tot, überschrieb Germán Martínez Cázares, der frühere Parteivorsitzende der PAN, denn auch triumphierend einen Artikel in der großen mexikanischen Tageszeitung Reforma. Von "Tagen der nationalen Schande", sprach dagegen Cárdenas. Die heftigen Debatten dürften also auch nach der Unterzeichnung des Gesetzes weitergehen.