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Mein Europa: Mostar - gespaltene, zusammenwachsende Stadt

9. November 2023

Am 9. November 1993 wurde die berühmte Brücke von Mostar zerstört - ein Symbol für das Zusammenleben von Kulturen und Religionen in Bosnien und Herzegowina. Heute wächst Mostar erst langsam wieder zusammen.

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Brücke über einem Fluss, darauf Menschen
Die Stari Most, die Alte Brücke in MostarBild: AP

Mostar, die Hauptstadt der Region Herzegowina in Bosnien und Herzegowina, ist eine Stadt der Extreme. Als ich eines Julimorgens 2005 um sieben Uhr zur Arbeit in das Regionalbüro des Hohen Repräsentanten ging, zeigte das Thermometer 31 Grad Celsius im Schatten. Nachmittags wurden es 46 Grad.

Mostar ist bekannt als die heißeste Stadt im ehemaligen Jugoslawien. Aber auch politisch, religiös, im Fußball und während des Krieges waren und sind die Extreme präsent. Im Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 war es das erklärte Ziel der kroatischen Seite, die Stadt ethnisch zu teilen. Deshalb wurden die Bosniaken, die im Ostteil die Mehrheit stellen, aus dem kroatisch dominierten Westteil vertrieben. Der Krieg in Mostar war weitaus grimmiger als in anderen Regionen, denn hier bekämpften sich die Gegner aus kurzer Distanz.

Am 9. November 1993 zerschossen kroatische Panzer die 1566 erbaute Stari Most, die Alte Brücke, die beide Teile der muslimischen Altstadt verband. Die Nachricht ging durch die Weltöffentlichkeit und schockierte sie. Denn die Brücke war nicht nur ein einzigartiges, meisterliches Bauwerk aus der osmanischen Zeit - sie war auch das Symbol für das friedliche Zusammenleben von Kulturen und Religionen in der Region und in Europa.

Keine Mauer, aber eine imaginäre Barriere

Die apokalyptischen Zerstörungen schockierten mich während meines ersten Besuchs 1996. Nur die durch serbische Artillerie in Schutt und Asche gelegte kroatische Donaustadt Vukovar hat während der vier jugoslawischen Erbfolgekriege ähnlich gelitten wie Mostar. Die Kriegsfolgen waren allgegenwärtig, obwohl zwischen 1994 und 1996 bereits hunderte Millionen Mark zum Wiederaufbau durch die EU bereitgestellt worden waren. Der ehemalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnick koordinierte während dieser Zeit als Verwalter Mostars den Wiederaufbau. Keine Mauer hatte die beiden Seiten getrennt, doch die Frontlinie, die sich mitten durch die Stadt entlang der Hauptstraße Bulevar zog, stellte eine imaginäre Barriere dar. 

Hängebrücke über einem Fluss, im Hintergrund zerstörte Gebäude
Die zerstörte Brücke von Mostar in einer Aufnahme vom Winter 1996, im Hintergrund die zerstörte Altstadt im bosniakischen Teil MostarsBild: Lehtikuva Oy /Bos-41/dpa/picture-alliance

Zu seinem Amtsbeginn 2002 hatte der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Lord Paddy Ashdown, die Wiedervereinigung Mostars zur Priorität erhoben. Da sich die Parteien nicht auf eine Kommunalverfassung einigen konnten, beschloss er diese mittels seiner exekutiven Vollmachten in Kraft zu setzen. Dies war das Fundament zur Vereinigung der ethnisch und politisch geteilten Stadt.

Ist Mostar immer noch geteilt?

Eine Einheit von zwei Dutzend Mitarbeitenden, deren stellvertretender Direktor ich war, sollte die Bestimmungen umsetzen. Dies erforderte Zeit, denn Wunden von zehn Jahren Krieg und Teilung ließen sich natürlich nicht per Dekret heilen. Der Bosnien wohlgesonnene britische Lord wurde ungeduldig. Nach der Vereinigung der Verwaltungen stockte der Prozess, wobei man insgesamt dennoch von einem Meilenstein der Friedensarbeit auf dem Balkan sprechen kann.

Baugerüst an der Alten Brücke in Mostar
Wiederaufbau der Alten Brücke in Mostar im Jahr 2003Bild: AP

Die spektakuläre Einweihung der neu aufgebauten Alten Brücke - die bei der Zerstörung in den Fluss Neretva gestürzten Steine waren soweit wie möglich wieder verwendet worden - durch Prinz Charles verschaffte uns im Juli 2004 eine Atempause. Mit den Kommunalwahlen wurden Ende 2004 ein Bürgermeister, der Kroate Ljubo Beslic von der Partei HDZ BiH, und als Stadtratspräsident der Bosniake Murat Coric von der SDA gewählt. Verschiedene Bereiche, die teils nicht der Stadt obliegen, wie Gesundheit, Elektrizität und Bildung, haben immer noch ethnisch getrennte Strukturen, was Beobachter oftmals folgern lässt, Mostar sei nach wie vor geteilt. Tatsächlich jedoch muss man die Fragen "Ist Mostar geteilt?" oder "Ist Mostar vereint?" jeweils eher mit einem "Ja, aber" beantworten. 

"Wettbewerb" der Religionen

Eine Negativspirale begann 2008, als das bosnische Verfassungsgericht entschied, dass das komplizierte, auf einem Proporz der drei Volksgruppen Bosniaken, Kroaten und Serben basierende Wahlsystem diskriminierend sei. Die Kompromissunfähigkeit der Parteien machte es den Bürgerinnen und Bürgern zwölf Jahre lang unmöglich, ihr Wahlrecht auszuüben. Während dieser Zeit führte Amtsinhaber Beslic die Stadtgeschäfte kommissarisch weiter. Dass die ohnehin mangelhaften städtischen Dienstleistungen wie die Müllabfuhren, die an das Chaos Neapels erinnern, noch schlechter wurden, überrascht wenig. Dann endlich, im Sommer 2020, nach immensem internationalen Druck, einem Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und Marathonverhandlungen, einigten sich HDZ und SDA auf Reformen. Als Ergebnis der Wahl wurden HDZ und SDA wiederum stärkste Kräfte und stellten somit, wie zuvor, den Bürgermeister und Stadtratspräsidenten.

Minarett und Glockenturm Mostar
Turm einer katholischen Kirche (li.) und Minarett in MostarBild: DW

Polarisierend wirken im Alltag religiöse Auswüchse. Seit Kriegsende befinden sich einige Katholiken und Muslime in einem Wettbewerb um die Frage, wer mehr, höhere oder größere religiöse Objekte bauen kann. Die Ruinen der Franziskanerkirche mussten einem Zement-Riesen Platz machen, dessen 107 Meter hoher Kirchturm in keiner Relation zum riesigen Kirchenschiff liegt. Ziel war es, dass der Kirchturm jedes Minarett aus jedem Blickwinkel der Stadt überragt. Von muslimischer Seite wurden Moscheen im Akkord gebaut, auch mit Geldern von der arabischen Halbinsel. "Ausgeglichen" wird die Überzahl von Moscheen durch omnipräsente Kreuze. Die "Krönung" der Provokationen ist ein 33 Meter hohes, nachts angestrahltes Aluminiumkreuz auf dem Berg Hum, das über der muslimischen Altstadt "thront". Von hier aus zerschossen kroatische Panzer im Krieg die Alte Brücke. Die überschaubare serbische Gemeinde hat sich an diesem irrwitzigen "Wettbewerb" nie beteiligt.

Kriegstreiber haben verloren

Extrem gewalttätige Ausschreitungen nach einem Fußballspiel brachten Mostar 2006 an den Rand des Abgrunds. Etwa 2000 kroatische Nationalisten wollten vom Westen der Stadt in den Ostteil gelangen. Einige clevere Polizisten der multiethnischen Polizei retteten die Stadt, in dem sie ihre Streifenwagen als Blockade auf die Brückenmitte stellten. So hielten sie den Mob auf, bis Sondereinheiten eintrafen, die die Gewalttäter zurückdrängten.

Wären die Polizeisperren durchbrochen worden, hätte es ein Blutbad gegeben. In dieser Nacht wurden zwei Menschen auf dem Bulevar durch Schüsse verletzt. Patrouillen der Polizei und der EU-Friedenstruppe EUFOR/Althea wurden verstärkt. Deren professionelles Agieren hat die Stadt gerettet. Der versöhnlichen politischen Führung Beslics und Corics ist es zu verdanken, dass sich die Lage nachhaltig beruhigte. Trotz des noch folgenden Beschusses einer Moschee mit einer Panzerabwehrrakete, verloren die Kriegstreiber, denn die Angst vor und Ablehnung eines neuen Konflikts war deutlich. 

Trotz all des Leids, das die Bewohner dieser faszinierenden Stadt während des Krieges und durch die Teilung erfahren mussten, ist die Situation unvergleichlich besser als in der heute leider wirklich geteiltesten Stadt Europas - Mitrovica in Kosovo, in der die Serben im Norden und die Albaner im Süden der Stadt in zwei verschiedenen Welten und in nahezu vollständiger Separation leben. Insofern hat die internationale Gemeinschaft viel Positives in Mostar erreicht.

Alexander Rhotert ist Diplom-Politikwissenschaftler, Autor und Westbalkan-Experte. Er forscht seit 1991 zum ehemaligen Jugoslawien und arbeitete in verschiedenen Positionen u.a. für die UNO, die NATO, die OSZE sowie den Hohen Repräsentanten (OHR) in Bosnien und Herzegowina.

Porträt eines Mannes im Anzug mit Brille vor weiß-beigem Hintergrund
Alexander Rhotert Diplom-Politikwissenschaftler, Autor und Westbalkan-Experte