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Meditieren mit Alpenblick

Regina Mennig11. August 2012

Im Westen heißt Buddhismus oft: Dalai Lama. Die meisten Buddhisten in Deutschland haben aber ein anderes Oberhaupt: den Karmapa Thaye Dorje. Die DW hat ihn und seine Anhänger im Allgäu getroffen.

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Der Karmapa spricht vor großem Publikum beim Buddhistentreffen im Allgäu (Foto: Matt Balara/Buddhistischer Dachverband "Diamantweg")
Bild: Matt Balara

Wenn im Sommer auf Wiesen in Süddeutschland weiße Festzelte aufgeschlagen werden, dann trifft man darin meist auf Menschen in Trachten-Dirndl und Lederhosen, auf den Duft von Bratwurst und Kartoffelsalat, und auf eine Blaskapelle, die deutsche Schunkel-Lieder von der Bühne schmettert. Doch in einem dieser weißen Zelte ist von süddeutscher Folklore keine Spur. Statt auf Bierbänken lassen sich die Menschen dort auf bunten Kissen im Schneidersitz nieder. Einige murmeln leise Mantren vor sich hin, andere sind in einem endlosen Bewegungskreislauf von Aufrichten und Verbeugen versunken. Kleine Gruppen scharen sich um ergraute Lehrer: Auf Englisch, Deutsch oder Französisch geben die ihre Meditationserfahrungen weiter.

Sie alle sind Anhänger der buddhistischen Karma-Kagyü-Linie - sie gehört zu einer der vier Schulen des tibetischen Buddhismus. Aus allen Ecken Deutschlands und Europas strömen jedes Jahr rund 3000 Karma-Kagyü-Buddhisten ins Allgäu zum so genannten Sommerkurs. Höhepunkt des diesjährigen Treffens (30.07. bis 12.08.2012) war für die meisten Teilnehmer eine Meditation, die niemand Geringeres als das spirituelle Oberhaupt anleitete: der 17. Gyalwa Karmapa Trinley Thaye Dorje aus Tibet.

Ein junger Buddhist meditiert mit einer Schale voll Reis (Foto: Regina Mennig/DW)
Ungewohnter Anblick im Bierzelt: Meditation statt FolkloreBild: DW/Regina Mennig

Zwischen Hirschgeweih und Drachenfresken

"Dies ist ein wundervoller Ort, um zu meditieren. So schön, dass er von der Meditation fast ablenkt", sagt der Karmapa schwärmerisch über den Schauplatz des Sommerkurses hoch über dem Alpsee bei Immenstadt. Diesen Platz in der bayerischen Provinz baut der "Buddhistische Dachverband Diamantweg" (BDD) derzeit zu einem Europazentrum für die Karma-Kagyü-Buddhisten aus. Zu dem weitläufigen Gelände gehört auch ein Gutshof. Das Bauwerk spiegelt inzwischen einen eigentümlichen Stilmix aus asiatischen und alpenländischen Einflüssen wider: Außen am Giebel prangt ein imposantes Hirschgeweih - drinnen zieren Fresken mit Drachenfiguren die Wände, und Buddha-Statuen stehen in den Ecken.

Der Karmapa sitzt in einem Sessel, hüllt die Hände in seinen dunkelroten Umhang und spricht mit sanfter Stimme über das Zusammenspiel von westlicher Lebensweise und fernöstlicher Religion. Dass buddhistische Meditation in Ländern wie Deutschland längst zum Lifestyle-Spielzeug geworden ist und sich in Fitness-Studios oder Managerseminaren wiederfindet, bekümmert den 29-jährigen Lama offenbar nicht: "Meditation ist gesund, egal in welchem Zusammenhang sie praktiziert wird." Außerdem könnten solche leichten Angebote die Menschen neugierig machen, sich dem "harten Kern des Buddhismus" zu nähern, meint der Karmapa.

Gut Hochreute im Allgäu: Europa-Zentrum des "Buddhistischen Dachverbands Diamantweg" (Foto: Regina Mennig/DW)
Gut Hochreute im Allgäu: Europazentrum des "Buddhistischen Dachverbands Diamantweg"Bild: DW

"Little Buddha" sorgte für Zulauf

Beim Blick über das Sommercamp in den Allgäuer Bergen mag die Masse der Buddhisten immens erscheinen - mit 0,3 Prozent ist ihr Anteil in der deutschen Bevölkerung aber gering. "Seit 40 Jahren wächst die Zahl der Buddhisten langsam, aber doch stetig", erzählt Holm Ay vom BDD. "In den 1990er Jahren gab es einmal einen Wachstumssprung - als der Film 'Little Buddha' mit Keanu Reeves in den Kinos lief und Lama Ole Nydahl in einer beliebten deutschen Talkshow zu Gast war."

Karmapa Thaye Dorje (Foto: Volen Evtimov/Buddhistischer Dachverband "Diamantweg")
Der Karmapa Thaye Dorje, spirituelles Oberhaupt der größten buddhistischen Linie in DeutschlandBild: Volen Evtimov

Der Däne Ole Nydahl gilt als einer der wenigen so genannten Westler, die von tibetischen Meistern den Auftrag bekamen, buddhistische Meditationsformen außerhalb Asiens zu verbreiten. Seit den 1970er Jahren reist Nydahl im Dienste des Karma-Kagyü-Buddhismus um die Welt und hat inzwischen über 650 "Diamantweg"-Zentren gegründet, 145 davon gibt es allein in Deutschland. Dort ist Nydahl im Kreis der unterschiedlichen buddhistischen Gruppierungen allerdings eine Reizfigur.

Umstritten sind nicht nur seine pauschalen Äußerungen über den Islam - "es ist auch seine unkonventionelle Art, Buddhismus zu interpretieren und zu lehren, die bei anderen Buddhisten auf Kritik stößt", sagt Professor Martin Baumann von der Schweizer Universität Luzern. "Nydahl hat buddhistische Lehren an ein westliches Publikum angepasst und Rituale teilweise sehr komprimiert. Der Anspruch seines Karma-Kagyü-Buddhismus ist, auf dem Weg zur Erleuchtung vergleichsweise schnell voranzukommen", erklärt der Religionswissenschaftler.

Meditieren zwischen Schule und Fernsehgucken

Der Karma-Kagyü-Linie kritisch gegenüber steht etwa die buddhistische Gelugpa-Schule, der auch der Dalai Lama angehört: Sie legt Wert auf die Mönchstradition, auf intensives Studium buddhistischer Schriften, und die Ermächtigung zum Lehren setzt bei den Gelugpas eine langjährige Ausbildung voraus. Deutsche, die zum Buddhismus übergehen, entscheiden sich häufig gerade für die Karma-Kagyü-Linie. Warum, darauf gibt zum Beispiel Sommerkurs-Besucher Maurice Köster eine Antwort: "Ich kann zu Hause in Bremen ja nicht wie ein Mönch leben", sagt der 17-Jährige. "Aber ich kann nach der Schule eine Stunde meditieren, oder nach dem Fernsehgucken." Kurzweilig wird sein Weg zur Erleuchtung wohl trotzdem nicht werden. 111.111 Mal müssen Karma-Kagyü-Buddhisten allein die vier Grundübungen wiederholen, dafür brauchen viele von ihnen Jahre. Und Maurice hat gerade erst damit angefangen - im Meditationszelt hoch über dem Alpsee bei Immenstadt.

Zeltlager mit Alpenblick (Foto: Regina Mennig/DW)
Das Sommercamp der Karma-Kagyü-Buddhisten im AllgäuBild: DW/Regina Mennig