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Linke setzt auf Karlsruhe

Kay-Alexander Scholz30. Juni 2012

Mit Spannung wird das Urteil der obersten deutschen Richter erwartet, ob ESM und Fiskalpakt verfassungsgemäß sind. Ein halbes Dutzend Klagen dagegen sind bisher eingegangen, vorn dabei ist die Linkspartei.

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Pressekonferenz der Linken (foto:dpa)
Die Linke PK 30.06.2012Bild: picture-alliance/dpa

Eine aufregende Woche in Deutschland neigt sich ihrem Ende. Vieles (einiges allerdings auch nicht: wie die Unbesiegbarkeit der Italiener beim Fußball) hat sich verändert. Die harte Schale der Eisernen Kanzlerin ist durch die Gipfel-Ereignisse in Brüssel aufgebrochen. Der Bundesrat hat erleben müssen, dass es auch am späten Freitagabend noch Sitzungen geben kann. Und der in juristischen Dingen unbewanderte Bürger erfuhr, dass es beim Einleiten rechtlicher Schritte auf die Minute ankommen kann. Noch vor Mitternacht erreichten die ersten Klagen zum gerade im Bundestag beschlossenen ESM-Vertrag und Fiskalpakt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

"Um 22:43 Uhr hat das Gericht unsere Klage gefaxt bekommen", gab der Prozessbevollmächtigte der Linksfraktion im Bundestag, Professor Hans-Peter Schneider bei einer Pressekonferenz zu ungewohnter Zeit am Samstagmittag (30.06.2012) im Reichstag bekannt. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, begründete den eiligen Eilantrag damit, einer möglichen Schnellunterzeichnung durch den Bundespräsidenten zuvor kommen zu wollen.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht schon vor Tagen Bundespräsident Joachim Gauck gebeten hat, mit der Unterzeichnung der Gesetze zu warten, hatte es nicht nur die Linksfraktion eilig mit der Klage-Einreichung. Auch der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler ließ gegen Mitternacht seine Verfassungsbeschwerde von einem Boten an der Gerichtspforte abgeben. So kann nun der ESM-Vertrag nicht wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten - und sein Vorläufer, der weniger üppig ausgestattete EFSF-Rettungsschirm bleibt bis auf weiteres im Einsatz. "Das Geld darin reicht für Spanien und Zypern", beruhigte Gysi. "Allerdings nicht für mögliche Hilfsgelder in Milliardenhöhe an Italien", gab Schneider zu Bedenken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht am Freitag (29.06.2012) im Bundestag in Berlin ans Rednerpult (foto:dpa)
Schwere Tage für die Kanzlerin nach dem Brüsseler GipfelBild: picture alliance / dpa

"Schwelle zum Bundesstaat Europa überschritten"

Finanzhilfe zu verhindern, darum geht es den Klägern allerdings nicht. Die 75 Bundestagsabgeordneten der Linkspartei sehen eine "Entmachtung des Bundestags, wie sie im Grundgesetz nicht vorgesehen ist", so Gysi. "Beim ESM wird in Europa bereits die Schwelle zu einer Bundesstaatlichkeit überschritten, wie sie zum Beispiel Australien hat", sagte Jurist Hans-Peter Schneider. Die Hauptkritikpunkte am ESM-Vertrag, so fasste er die Klageschrift zusammen, seien seine Unkündbarkeit, dass sich Zweck und Ziel ändern könnten, Deutschland für Schulden anderer Staaten haften solle und die Institution freischwebend, also ohne demokratische Kontrolle sei.

Gysi nachdenklich vor der Presse in Berlin (foto:dpa)
Gysi nachdenklich vor der Presse in BerlinBild: dapd

Die obersten deutschen Richter müssen nun beraten, ob sie der geforderten einstweiligen Verfügung stattgeben, der Ratifizierungsprozess also offiziell gestoppt wird. Selbst für diese Entscheidung werden die Verfassungsrichter wohl einige Tage, wenn nicht Wochen benötigen. Danach müssen sie entscheiden, ob die Hauptklagen zugelassen werden - davon sind am Tag eins nach den parlamentarischen Abstimmungen insgesamt sechs beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingegangen. Darunter ist die gewichtige Klage des Vereins "Mehr Demokratie", der sich 12.000 Bürger und die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) angeschlossen haben. Schwer zu sagen, wann mit einem Urteil zu rechnen ist. Linken-Fraktionschef Gysi jedenfalls hofft auf eine Entscheidung im Spätherbst.

"Sozialstaatkürzungen durchboxen"

Auch der zum 1. Januar 2013 geplante Fiskalpakt, der Schuldensünder zu mehr Haushaltsdisziplin erziehen soll, wird von der Linkspartei grundlegend kritisiert. "Der Fiskalpakt ist ein Eingriff Europas in die Haushaltsrechte der Nationalstaaten", sagte Professor Andreas Fisahn als zweiter Prozessbevollmächtigter der Linksfraktion. Beim Überschreiten einer Defizitgrenze solle die EU zukünftig Mitspracherechte in eigentlich autonomen Haushaltsfragen bekommen. Damit wolle man dann Kürzungen des Sozialstaates durchboxen, ohne dass die jeweiligen Länderparlamente etwas dagegen machen könnten, befürchtet Fisahn. "Wie sollen wir den Bürgern mit diesem Sozial- und Demokratieabbau ein Zusammenwachsen in Europa eigentlich noch schmackhaft machen", fragte Gregor Gysi.

Vertreter der Regierungsfraktionen versuchen derweil in Presse-Interviews, die Gemüter zu beruhigen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle hält, ohne der Entscheidung des Gerichts vorgreifen zu wollen, ESM und Fiskalpakt für vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Bundesregierung habe das vorher geprüft. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) wies den Vorwurf zurück, dass Steuergeld leichtfertig für marode Banken eingesetzt werden könne. Das letzte Wort habe immer der Bundestag, zu einem Selbstbedienungsladen werde der ESM mit der deutschen Regierung nicht werden.

Auch Wolfgang Bosbach (CDU), ein Kritiker der Euro-Rettungspolitik, rechnet nicht damit, dass die Beschlüsse gestoppt werden. Allenfalls werde Kritik geübt, in Bausch und Bogen verworfen würden ESM und Fiskalpakt wohl nicht.