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Politik

Können China und die USA den Ukraine-Krieg beenden?

27. März 2023

Wenn China wollte, könnte es Russland enorm unter Druck setzen. Gleichzeitig macht sich in den USA Kriegsmüdigkeit breit. Dabei könnten die beiden großen Rivalen für einen Frieden zusammenwirken.

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Joe Biden und Xi Jinping schauen sich an, im Hintergrund die Flaggen ihrer Staaten
Globale Rivalen China und USA: Präsidenten Xi Jinping und Joe Biden im November beim G20-Gipfel auf BaliBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Wahrscheinlich der einzige Mensch weltweit, der wirklich Einfluss auf Wladimir Putin hat, ist sein selbsterklärter Freund Xi Jinping. Xi ließ sich von seinem Besuch in Moskau auch nicht dadurch abhalten, dass Putin per Haftbefehl des UN-Strafgerichtshofs zur Fahndung ausgeschrieben ist.

Chinas Einfluss in Moskau ergibt sich aus diplomatischen Entscheidungen und wirtschaftlicher Abhängigkeit: China, die zweitwichtigste Volkswirtschaft der Welt, hat die russische Invasion in der Ukraine bis heute nicht verurteilt. Und während der Westen Russland mit immer schärferen Sanktionen belegt, tut China das Gegenteil und weitet seinen Handel mit Moskau aus.

Gemeinsames Ziel: die Vorherrschaft des Westens brechen

"Eigentlich ist Russlands brutaler Angriffskrieg nicht im chinesischen Interesse", so Henning Hoff, Executive Editor des "Internationale Politik Quarterly", gegenüber der Deutschen Welle. "Der Krieg stört Chinas wirtschaftliche Erholung nach drei 'Zero-Covid'-Jahren. Und angesichts des Kriegsverlaufs droht Peking, auf der Seite des Verlierers zu stehen." Doch China versuche, "seinen ökonomischen Nutzen aus dem Krieg und seinen Folgen zu ziehen", zum Beispiel indem es verbilligtes Öl und Gas aus Russland kauft. Umgekehrt kann China seine Ausfuhren nach Russland in einer Zeit steigern, da die Handelsbeziehungen zum Westen schwieriger werden. Die USA mutmaßen, dass auch zivile technische Ausrüstung dazu gehört, die militärisch nutzbar ist.

Als Folge wird Russland immer abhängiger von China. Daher hat Peking einen Einfluss auf Moskau, den sonst niemand hat. Xi könnte Putin zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges überreden, wenn er das wollte. Bisher hat Xi dem russischen Präsidenten nur in einem Punkt eine rote Linie aufgezeigt: Ein Einsatz von Atomwaffen kommt für China nicht infrage.

Raketenstart vor verschneiter Tundra
Rote Linie aus Peking: Atomwaffenfähige russische Langstreckenrakete SarmatBild: Russian Defence Ministry/REUTERS

Doch es gibt ein übergeordnetes chinesisches Interesse, das größer ist als der Krieg: China braucht Russland als Partner, um eine Weltordnung ohne westliche Dominanz durchzusetzen. Deshalb darf Russland aus chinesischer Sicht den Krieg nicht verlieren. Schlecht für Xi wäre es auch, sollte das System Putin scheitern, denn das wäre ein Rückschlag für das autoritäre Herrschaftsmodell, dem er sich ebenfalls verschrieben hat.

Russlands Abhängigkeit ist im chinesischen Interesse

Nach außen versucht China, im Ukraine-Krieg als Friedensvermittler aufzutreten. Ein Friedensplan, den ein chinesischer Regierungsvertreter bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar vorstellte, fiel allerdings bei den westlichen Regierungen durch. Zu vage war er, und ihm fehlte die Forderung eines russischen Truppenabzugs aus der Ukraine, der für Kiew und den Westen unabdingbar wäre.

Xis Moskau-Besuch wurde in den chinesischen Medien von viel Friedensrhetorik begleitet, auch wenn Xi dort öffentlich den Krieg gar nicht erwähnte. Und Putin schien ein Stück weit mitzuspielen: "Russland ist offen für eine Beilegung der Ukraine-Krise mit politisch-diplomatischen Mitteln", schrieb er kurz vor dem Besuch in einem Beitrag für die chinesische "Volkszeitung". Darin pochte Putin jedoch darauf, dass Kiew mit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 und vier ukrainischer Regionen im vergangenen Jahr "neue geopolitische Realitäten" anerkennen müsse. Immerhin, kein Wort mehr davon, die Ukraine sei gar kein richtiger Staat, von Nazis beherrscht und müsse an Russland angegliedert werden.

Xi und Putin drücken sich leicht lächelnd die Hand
Xi am 21. März beim "lieben Freund" Putin in Moskau: Russland ist Juniorpartner in dieser BeziehungBild: SERGEI KARPUKHIN/AFP

Was ist bei der Suche nach einem Frieden überhaupt von China zu erwarten? Im Moment nicht viel, glaubt Wolfgang Ischinger, der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. In einem DW-Interview sagte Ischinger vor wenigen Tagen: "Wegen der gegenwärtig angespannten Atmosphäre zwischen den USA und China hat China im Moment kaum Anreize, seine Nähe zu Russland zu verringern." Wenn sich der Krieg noch länger hinziehe und damit Russland militärisch, wirtschaftlich und politisch noch weiter geschwächt werde, werde Russland noch abhängiger von China. "Aus chinesischer Sicht wäre das vielleicht gar keine schlechte Entwicklung", so Ischinger.

Wachsende Kriegsangst in Deutschland

Der Druck zu einer Friedenssuche zwischen Russland und der Ukraine geht also derzeit nicht von China aus, auch nicht von den Kriegsparteien selbst. In ihrem Stellungs- und Abnutzungskrieg glauben offenbar beide Seiten nach wie vor, militärisch entscheidend zu gewinnen.

Völlig zerstörtes großes Wohngebäude
Zerstörungen im heftig umkämpften Bachmut: Beide Seiten hoffen auf einen militärischen SiegBild: Yevhen Titov/AP Photo/picture alliance

Der Druck kommt eher von den westlichen Unterstützerländern der Ukraine. Ihre Bevölkerungen bekommen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in Form von Energieknappheit, Inflation und angespannten öffentlichen Haushalten deutlich zu spüren, wodurch die Staaten weniger Geld für andere Dinge haben. 

In Deutschland nimmt außerdem die Kriegsangst zu. In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage der R+V-Versicherung fürchtet eine große Mehrheit von 63 Prozent, dass Deutschland nicht verteidigungsfähig ist, und 55 Prozent der Befragten haben Sorge, dass Deutschland in einen Krieg verwickelt wird, ein Anstieg von 13 Punkten gegenüber 2022.

Bidens Zusage an die Ukraine ist politisch riskant

In den USA, dem mit großem Abstand wichtigsten Unterstützer der Ukraine, nimmt unterdessen die Bereitschaft ab, dem europäischen Land weiterhin so großzügig zu helfen, wenn es kaum Aussichten auf Frieden gibt, in der Bevölkerung insgesamt und im Kongress bei den Republikanern. Das macht es für Präsident Joe Biden längerfristig politisch riskant, der kürzlich in Kiew der Ukraine Unterstützung "so lange wie nötig" zusagte.

Der deutlich kleinere ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im braunen Parka umarmt Joe Biden  im schwarzen Anzug
Innenpolitische Bürde: Joe Bidens Zusagen an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in KiewBild: Dimitar Dillkoff/AFP

Stephen Walt schreibt im Magazin "Foreign Policy", Biden habe sein politisches Schicksal damit an den Ausgang des Krieges gebunden. "Gemessen an dem, was er versprochen hat, wird alles, was weniger als ein vollständiger Sieg ist, nach einem Scheitern aussehen." Und falls China Russland noch stärker unterstütze, werde sich Biden möglicherweise gezwungen sehen, weitere Sanktionen gegen China zu verhängen, was wiederum die wirtschaftliche Erholung in den USA gefährde. Und dann, schreibt Walt, würden sich mögliche republikanische Präsidentschaftsbewerber "die Finger lecken" und auf einen Sieg 2024 hoffen.

Die Kriegsmüdigkeit in den USA hat offenbar bereits Auswirkungen auf die Biden-Administration: Befragt von einem republikanischen Abgeordneten im Kongress deutete Außenminister Antony Blinken jetzt erstmals an, dass die Ukraine möglicherweise nicht das ganze russisch besetzte Territorium werde zurückerobern können. Es war ein Tabubruch.

Die Idee einer US-chinesischen Friedensinitiative kommt aus Europa

Sowohl für Washington als auch für Peking ist der Ukraine-Krieg letztlich nur Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen ihnen und zwischen zwei Systemen, einem demokratischen und einem autokratischen System. Und in dieser wachsenden Konfrontation, meint Henning Hoff, "werden sich Deutschland und Europa stärker positionieren müssen - und in mehr Fragen als bisher den Schulterschluss mit den Amerikanern suchen". Eine weitere Folge dieser Konfrontation für die Europäer sei der "dringend nötige größere europäische Beitrag in Sachen militärischer Sicherheit, auch damit sich die US-Amerikaner stärker auf den Indo-Pazifik konzentrieren können".

Die USA haben als der wichtigste Unterstützer den größten Einfluss auf die Ukraine und China hat den größten, wahrscheinlich sogar den einzigen Einfluss auf den Kreml. Es war kürzlich bei einem EU-Gipfel ausgerechnet Xavier Bettel, der Ministerpräsident des kleinen Luxemburg, der Joe Biden aufforderte, zusammen mit Xi Jinping einen Friedensplan zur Ukraine auszuhandeln. Das würden die anderen Staaten akzeptieren, sagte Bettel.

Putins Augenpartie im Rückspiegel
Wäre Putin zu einem gesichtswahrenden Frieden bereit? Höchstens Xi könnte ihn wohl überredenBild: Russia President Press Office/TASS/dpa/picture alliance

Das dürfte vielen EU-Staaten wohl am liebsten sein: dass die beiden Großen der Weltpolitik das Problem Ukraine-Russland untereinander lösen - und damit auch für die Europäer.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik