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GesellschaftAsien

Wenig Akzeptanz für Homosexualität in Indien

Manasi Gopalakrishnan
18. April 2023

Ein schwuler Sohn? Für viele indische Eltern ein Albtraum. Da hilft es auch nicht, dass vielleicht bald die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt wird. Beim Thema Gleichberechtigung hat Indien noch einen langen Weg vor sich.

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Ein Mann mit einer Sonnenbrille steht in einer Menge von Menschen und hält ein Schild hoch, auf dem auf Englisch steht: Habe ich über Ihre Ehe abgestimmt?
Homosexuelle Ehen - auch Thema bei der Queer Pride Parade in Neu Delhi im Januar 2023 Bild: Kabir Jhangiani/Zuma/IMAGO

In Indien ist Homosexualität zwar legal, doch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften werden bislang noch nicht anerkannt. Das könnte sich bald ändern: Am 18. April 2023 beginnen die letzten Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof des Landes. Danach wollen die Richter entscheiden, ob Homosexuelle offiziell heiraten dürfen.

Bei Themen wie Adoption, Erbe und Unterhaltszahlungen treffen gleichgeschlechtliche Paare in Indien nach wie vor auf Widerstand. Die Unterschiede zu heterosexuellen Paaren werden auf vielen Ebenen deutlich.

Der Autor Kanav Sahgal, der sich für einen Think Tank mit dem Namen "Vidhi Center for Legal Policy" mit den Belangen Homosexueller befasst, berichtet zum Beispiel, dass Krankenhäuser ihre Patientenformulare mit Fragen nach Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern (Ehepartner, Mutter Vater usw.) nicht angepasst haben und Homosexuelle ihre Partner unter "andere" angeben müssen. Ähnlich sieht es bei der Eröffnung eines Bankkontos aus: "Das Gesetz geht immer von einem Partner vom anderen Geschlecht aus", so Sahgal gegenüber der DW.

Ein junge Mann mit Bart in einem schwarzen T-Shirt, auf dem ein Regenbogen zu sehen ist.
Kanav Sahgal, Kommunikationsbeauftragter in einem Think Tank in Neu DelhiBild: privat

Homosexualität im heutigen Indien

Einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen desselben Geschlechts steht in Indien seit 2018 nicht mehr unter Strafe. Die bahnbrechende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs fiel im Fall "Navtej Johar gegen Union of India". "Homosexualität wird in vielen Teilen des Landes nicht gern gesehen", so Kanav Sahgal. "Trotz der Entscheidung im Fall Navtej 2018, der das Sodomiegesetz (Anmerk. der Redaktion: Verbot von Homosexualität) zu Fall brachte, und trotz der Streaming-Plattformen, die LGBT-Charaktere auf positive Weise abbilden, gibt es immer noch wenig Bewusstsein zu dem Thema", erklärt er.

Gleichgeschlechtliche Paare finden mehr Akzeptanz in Metropolen wie Mumbai, wo LGBT-Guppen wie Gay Bombay und LABIA schon seit Jahrzehnten aktiv sind. In Kleinstädten und Dörfern findet man wenig zu Queerness und verwandten Themen. "Für Familienmitglieder ist es schwer, ihre eigenen Kinder zu akzeptieren, wenn sie sich als queer outen", so Sahgal. 

Verzweifelte Eltern hoffen auf Umwandlung

"Die Liebe der Eltern für die Kinder ist nicht bedingungslos, denn sie ist an Cisgender- und heterosexuelle Normen geknüpft. In dem Moment, wo du sie überschreitest, gibt es ein Problem." Tatsächlich ist der Druck, heterosexuell zu sein, so groß, dass manche Eltern ihre Kinder zur Therapie schicken - in der Hoffnung, deren sexuelle Orientierung "korrigieren" zu können.

In ihrem Artikel "Decriminalizing homosexuality in India" ("Homosexualität in Indien entkriminalisieren"), der 2019 bei der American Psychological Association erschien, wies Rebecca Clay darauf hin, wie sich die Mentalität langsam ändert. Sie wählte dafür das Beispiel der in Bangalore praktizierenden Psychologin Lata Hemchand. 

Hemchand bot jahrelang diese Art der "Umwandlungstherapie" an. In Clays Artikel erinnert sie sich, dass ihre homosexuellen Patientinnen und Patienten so viel Angst davor hatten, ihre Familien und ihren sozialen Status zu verlieren, dass sie sagten: "Ich will hier raus." Die Therapeutin zeigte den Patientinnen und Patienten erotische Fotos von Menschen ihres Geschlechts und verpasste der Patientin oder dem Patienten dabei einen kleinen Elektroschock - mit dem Ziel, dass diese mit der Zeit eine Aversion gegen Mitglieder des eigenen Geschlechts entwickelten. Doch nach einem Studienaufenthalt zum Thema Sexualität und Kultur an der Universität von Amsterdam im Jahr 2000 wurde Hemchand eine der LGBTQ-freundlichsten Therapeutinnen Indiens. 

In Stein gehauene erotische Darstellungen zeigen Männer und Frauen beim Sex
Relief aus dem Khajuraho-TempelBild: Imago Images/Alimdi

Homosexualität in der Geschichte Indiens

Jahrhundertelang gab es auf dem indischen Subkontinent kulturelle Zeugnisse von Homosexualität. Sahgal erwähnt unter anderem die Khajuraho-Tempel im Zentrum des Landes, die im 9. Jahrhundert von Chandela-Herrschern errichtet wurden und in denen zahlreiche Skulpturen sexuelle Handlungen darstellen, auch homosexuellen Verkehr.

Auch das berühmte Kamasutra - ein Lehrwerk über Erotik - behandelt das Thema, und in alten Hindu-Texten gibt es Hinweise auf Gender Fluidity. Vishnu, der Bewahrer, verwandelt sich in eine Frau und verführt Shiva, den Gott der Zerstörung.

Akademikerinnen wie Ruth Vanita, Expertin für Postkolonialismus, haben eine große Rolle dabei gespielt, der Homosexualität ihren verdienten Platz in der kulturellen Geschichte Indiens zurückzugeben. In "Homosexuality in India: Past and Present" ("Homosexualität in Indien: Vergangenheit und Gegenwart"), einem Essay aus dem Jahr 2008, bezeichnet Vanita jede Behauptung, Homosexualität sei ein Import aus dem heutigen Europa oder dem mittelalterlichen Vorderen Orient, als "Irrtum", denn gleichgeschlechtliche Liebe sei nie gründlich erforscht worden. Viele Gelehrte hätten in der Vergangenheit homoerotische Bezüge in älteren Texten ignoriert oder sie als heterosexuelle Begebenheiten fehlinterpretiert.

Aktivistinnen und Aktivisten halten ein Plakat mit dem Bild einer indischen Transsexuellen und der Aufschrift "Das ist keine westliche Kultur" hoch.
Queeres Leben - kein Einfluss aus dem Westen, sondern eigenes kulturelles ErbeBild: Kabir Jhangiani/Zuma/IMAGO

Zusammen mit dem Historiker Saleem Kidwai hat Vanita 2008 den Band "Same-Sex Love in India" ("Gleichgeschlechtliche Liebe in Indien") herausgegeben, der homoerotische Referenzen aus dem 10. Jahrhundert erwähnt. Sie entwickelten sich mit den Sufi-Traditionen im Norden Indiens, als muslimische Herrscher dort ihre Einflussbereiche vergrößerten.

Das Buch behandelt auch persische und Urdu-Poesie im Mittelalter, die zwischen der Rolle der Ehefrau und des Liebhabers unterschied und gleichgeschlechtliche Sexualität zelebrierte.

Die Autoren erwähnen auch, wie Homosexualität lange von indischen Gemeinschaften über Generationen toleriert wurde, weil es für Unverheiratete leichter war, mit jemandem vom gleichen Geschlecht zu leben, ohne Verdacht zu erregen.

Ein Clash der Kulturen?

Trotz dieser jahrhundertealten kulturellen Tradition herrscht in Indien eine konservative Haltung gegenüber Homosexualität vor. Doch die Hoffnungen der LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten ist groß, dass das Oberste Gericht jetzt die  gleichgeschlechtliche Heirat legalisiert, auch wenn die reine Legalisierung vielleicht noch keine soziale Akzeptanz bedeutet. Sahgal zieht Parallelen zu Brasilien, wo homosexuelle Paare Gewalt und sozialem Druck ausgesetzt sind, obwohl es dort die Homo-Ehe schon seit 2013 gibt.

"Wenn die gleichgeschlechtliche Ehe rechtens wird, werden Eltern ihre Söhne unter Druck setzen, Frauen zu heiraten und behaupten, dass sich trotz der Legalisierung nichts ändert", so Sahgal.

Egal, was der Oberste Gerichtshof entscheiden wird - ein Großteil der Bevölkerung unterstützt gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht. Sahgal: "Es ist immer noch ein weiter Weg."

Adaption aus dem Englischen: Philipp Jedicke