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Kuhhandel um die Kohleförderung

Sabine Teller6. Juni 2002

Der deutsche Steinkohlebergbau wird wider Erwarten mindestens bis zum Jahr 2010 subventioniert. Ein geglückter "Kuhhandel" in der Europäischen Union verhindert den schnellen Abschied vom Kohlestrom.

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Die Schlote können weiter rauchenBild: AP

Prinzipiell haben Kohlesubventionen und Mineralölsteuer-Erstattungen nichts miteinander zu tun. Beides sind schwierige Begriffe aus komplexer Materie, und gäbe es nicht die Europäische Union, niemand käme auf die Idee, sie auch noch mit einem Kuhhandel in Verbindung zu bringen. Doch diesmal ist es anders. Anlass ist der auslaufende EU-Vertrag für Kohle und Stahl (EGKS).

Nach 50 Jahren Fördergeschichte von Kohle und Stahl sollen alle EU-Länder ab diesem Sommer normalen Beihilferegeln unterworfen werden. Damit würden bisher übliche milliardenschwere Subventionen gestrichen, ein Zustand, den neben der britischen auch die deutsche Regierung für unerträglich hält. Und so berichteten diplomatische Kreise diese Woche von einem Geschäft, wonach Deutschland vor einigen Wochen in Brüssel der Verlängerung der Mineralölsteuer-Befreiung für das Transportgewerbe in Frankreich, Italien und den Niederlanden zugestimmt habe. Im Gegenzug sollen sich diese Mitgliedsstaaten nun in der Kohlefrage entgegenkommend verhalten haben. Der Kuhhandel war perfekt.

Die Neuregelung beinhaltet im Kern die Zusage weiterer, wenn auch geringerer Kohlesubventionen bis mindestens 2010. Ein Ende der staatlichen Förderung ist demnach nicht absehbar. Wie aus Brüsseler EU-Kreisen verlautete, gebe es eine deutliche Mehrheit, "vielleicht sogar Einstimmigkeit für weitere staatliche Subventionen in Europa". Über die Zeit nach 2010 soll noch verhandelt werden, fest stehe jedoch, dass die Zuschüsse von Jahr zu Jahr verringert werden würden.

Milliarden Euro für ein schlechtes Geschäft

Angesichts des vorangegangenen Streits ist das alles mehr als erstaunlich. Immerhin sah sich die deutsche Bundesregierung in Punkto Steinkohle gleich in mehrerer Hinsicht mit Brüssel konfrontiert. Erst wollte EU-Kommissar Mario Monti die Förderung der erneuerbaren Energieträger und der Kraft-Wärme-Kopplung in Frage stellen. Dann monierte der Wettbewerbshüter die Gründung der Steinkohleaktiengesellschaft RAG. Angeblich seien dabei illegale Beihilfen geflossen. Auch von Seiten des grünen Koalitionspartners gab es Interventionen. EU-Haushaltskommissarin und Grünen-Politikerin Michaele Schreyer hatte im Vorfeld klar gemacht, dass sie einen "Freibrief" für die Kohlesubventionen nicht unterschreiben werde. Entsprechend einem Beschluss der Grünen im Bundestag forderte sie ein definitives Auslaufen der Beihilfen im Jahr 2010. Sogar in der CDU wurde über solche Konsequenzen nachgedacht, nicht ohne Grund.

Hierzulande wird die Kohle in 1400 Meter Tiefe mitunter aus nur 50 Zentimeter dicken Flözen geborgen, während in den USA oder Australien riesige Bagger 30 Meter mächtige Flöze über Tage abbauen. Der Effekt: Eine Tonne deutsche Steinkohle kostet rund 150 Euro, während die gleiche Menge auf dem Weltmarkt für weniger als ein Drittel zu haben ist. Die Differenz zahlt der Steuerzahler: 1998 waren es etwa fünf Milliarden Euro, 2001 lag die Fördersumme noch bei vier Milliarden Euro.

EU-Beschluss unterstützt deutsche Traditionspflege

Obwohl selbst die Sozialdemokraten ausgerechnet haben, dass sich mit dem Geld etwa 12.000 neue Lehrstellen finanzieren ließen, stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich die Linie im Zeichen der Traditionspflege klar. Er wolle weiterhin für die Verlängerung der Steinkohlebeihilfen kämpfen, hieß es diese Woche aus dem Kanzleramt. Schröder denke dabei an einen nationalen Energiesockel, wonach rund 20 Millionen Tonnen Steinkohle bezuschusst werden sollen. Ob sich diese Forderungen durchsetzen ließen, daran gab es nach dem jüngsten Deal in Brüssel keinen Zweifel.