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Krebs: Darum erkranken eher ärmere Menschen

12. Dezember 2023

Krebs kann jeden treffen - doch insbesondere Menschen aus armen und bildungsfernen Schichten haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Warum das so ist, zeigt eine neue britische Studie.

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In England und Deutschland sinkt das Risiko, an Krebs zu erkranken. Doch nicht alle profitieren von dieser Entwicklung.Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Das Risiko, an Krebs zu sterben ist in ärmeren Regionen Englands 70 Prozent größer als in wohlhabenden Gegenden. So lautet das Ergebnis einer britischen Studie, die im Fachjournal "Lancet Oncology" veröffentlicht wurde.  

"Die gute Nachricht unserer Studie ist zwar, dass das Gesamtrisiko, in England an Krebs zu sterben, in den letzten 20 Jahren in allen Regionen gesunken ist, sie zeigt aber auch die erstaunliche Ungleichheit der Krebstodesfälle in den verschiedenen Bezirken Englands auf", sagt Majid Ezzati, Hauptautor der Studie und Professor für globale Umweltgesundheit am Imperial College London. 

Auch in Deutschland sinkt das Risiko, an Krebs zu erkranken. Doch ebenso wie in England macht diese Entwicklung gleichzeitig eine Diskrepanz besonders deutlich: Denn in sozial besser gestellten Regionen falle dieser Trend wesentlich deutlicher aus als andernorts, schreibt ein deutsches Forschungsteam um Lina Jansen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) im "International Journal of Cancer".

In ihrer Studie haben die Forschenden Daten von 48 Millionen Einwohnern aus acht Bundesländern untersucht und dabei die Krebsdiagnosen zwischen 2007 und 2018 verglichen. Ein Ergebnis: Die soziale Ungleichheit beeinflusst die Rate an Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland zunehmend.

Krebs und soziale Ungleichheit: Trend eindeutig

Die Forscher stuften zunächst alle in die Studie eingeschlossenen Regionen anhand eines sozioökonomischen Index in eine von fünf Gruppen ein, in die unter anderem Einkommen, Beschäftigungsquote und Ausbildung einflossen.

Die Forschenden stellten fest, dass im beobachteten Zeitraum weniger Menschen an Krebs erkrankten - und das in allen fünf Gruppen. Dieser Rückgang der Neuerkrankungsrate war allerdings in benachteiligten Regionen wesentlich schwächer ausgeprägt als in wohlhabenden. Dies beobachteten die Forschenden sowohl für Krebserkrankungen generell als auch für Darm- und Lungenkrebs bei Männern im Speziellen.

Darüber hinaus stellten die Forschenden fest, dass sich die Ungleichheit im Laufe des Beobachtungszeitraums verschärfte: Während im Jahr 2007 Männer in den sozioökonomisch schwächsten Regionen eine um sieben Prozent höhere Krebsneuerkrankungsrate hatten als Männer in den am wenigsten benachteiligten Gebieten, stieg dieser Wert auf 23 Prozent im Jahr 2018 an. Bei den Frauen stieg der Unterschied von sieben Prozent in 2007 auf 20 Prozent in 2018.

Welche Faktoren bedingen soziale Ungleichheit?

Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, ist es zunächst wichtig zu wissen, wodurch die sozioökonomisch schwächsten Regionen charakterisiert sind.

Während die medizinische Versorgung und Infrastruktur interessanterweise relativ konsistent war, machten dafür individuelle Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Anteil an Sozialhilfeempfängern oder der Schulabbrecherquote den großen Unterschied. "Die sozialen Faktoren scheinen also eine viel größere Rolle zu spielen als die generelle Infrastruktur", betont Lina Jansen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

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Auch die unterschiedliche Verbreitung von lebensstilbedingten Krebsrisikofaktoren trage erheblich zur sozialen Ungleichheit bei den Krebserkrankungen bei, so die Forschenden. Typischerweise gibt es bei der Häufigkeit von Tabakkonsum, Bewegungsmangel oder starkem Übergewicht ein sozioökonomisches Gefälle.

Ein globales Problem

Doch dies ist bei weitem kein deutsches oder britisches Problem. Soziale Ungleichheiten im Zusammenhang mit Krebserkrankungen sind national und international vielfach dokumentiert, so das DKFZ. "Ob es darum geht, wie häufig Früherkennungsuntersuchungen wahrgenommen werden, oder um die Rate an Krebsneuerkrankungen, die Krebssterblichkeit oder das Krebsüberleben - immer wirkt sich der sozioökonomische Hintergrund der Menschen aus."

"Mit dem Ergebnis, dass es soziale Ungleichheit gibt, reihen wir uns leider in Studien aus anderen Ländern mit ein", so Lina Jansen auf DW-Anfrage. "Mir fällt kaum eine Studie ein, in der keine Unterschiede in der Rate der Krebsneuerkrankungen gefunden wurden."

So gibt es etwa ähnliche Ergebnisse aus Kanada oder den USA, wo Personen in benachteiligten Gebieten oder in niedrigeren Bildungs- und Einkommensgruppen höhere Mortalitäts- und Inzidenzraten als ihre wohlhabenderen Altersgenossen aufwiesen, wobei das erhöhte Risiko für Lungen-, Dickdarm-, Gebärmutterhals-, Magen- und Leberkrebs besonders ausgeprägt war.

Auch hier schlussfolgern die Forschenden, dass dies auf Ungleichheiten in Bezug auf Rauchen, Fettleibigkeit, Bewegungsmangel, Ernährung, Alkoholkonsum, Vorsorgeuntersuchungen und Behandlung zurückzuführen sein können.

Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hat zu sozialen Ungleichheiten und Krebs einen Bericht verfasst mit dem Ziel, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um diese Lücke zu schließen.

Krebs: Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb

In Ländern mit hohem Einkommen wie Australasien, Nordamerika oder Westeuropa gibt es höhere Inzidenzraten bei allen Krebsarten als in den meisten Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wie Indien, einige Golfstaaten oder Subsahara-Afrika.

Doch trotz niedrigerer Inzidenzraten sind die Sterblichkeitsraten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen oft ähnlich oder manchmal sogar höher als in Ländern mit hohem Einkommen. Dies sei vor allem auf den mangelnden Zugang zu rechtzeitiger Diagnose und Behandlung zurückzuführen, so die IARC. Es wird angenommen, dass der weltweite Anstieg der Krebserkrankungen die ärmeren Länder am stärksten treffen wird.

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Innerhalb fast aller Ländern weltweit sind die Sterblichkeitsraten für die meisten Krebsarten jedoch bei Personen mit niedriger sozioökonomischer Stellung und anderen benachteiligten Gruppen wie indigenen Völkern, ethnischen Minderheiten und Flüchtlingen unverhältnismäßig höher.

In Kolumbien beispielsweise ist die Sterblichkeitsrate für Gebärmutterhalskrebs bei Frauen mit niedrigem Bildungsniveau fast fünfmal so hoch wie bei Frauen mit hohem Bildungsniveau. In Australien ist die Sterblichkeitsrate bei indigenen Völkern für alle Krebsarten zusammen um 30 Prozent höher als bei nicht indigenen Völkern.

Wie können wir Unterschiede überwinden?

"Zwischen 30 und 50 Prozent der Krebserkrankungen lassen sich durch eine gesunde Lebensweise, wie durch den Verzicht auf Tabakkonsum, und durch Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wie Impfungen gegen krebserregende Infektionen vermeiden", mahnt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Prävention sei die kosteneffizienteste langfristige Strategie zur Bekämpfung von Krebs.

Neben Tabak listet die WHO auch Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und Luftverschmutzung als Risikofaktoren für Krebs. 

Aus diesem Grund betonen auch die britischen Studienautoren, wie wichtig öffentliche Gesundheitsprogramme sind, die Menschen beispielsweise bei der Rauchentwöhnung helfen. "Unsere Daten zeigen, dass wir es uns nicht leisten können, diese öffentlichen Gesundheitsprogramme zu verlieren, und dass wir dringend die Wiedereinführung und Stärkung nationaler und lokaler Maßnahmen zur Bekämpfung von Rauchen und Alkohol brauchen", sagt Theo Rashid, Erstautor und Doktorand am Imperial College London. 

Neben der wichtigen Aufklärung über die Risikofaktoren gibt es noch viele weitere Ansätze, die in verschiedenen Regionen schon erfolgreich testweise eingesetzt wurden - etwa mehr organisierte Screeningprogramme in sozial schwächeren Regionen, das Angebot mobiler Mammographie-Screenings und das Angebot kostenloser Tests, die Beseitigung geografischer Hindernisse und finanzielle Anreize.

"Es wäre spannend zu sehen, ob die Umsetzung solcher Maßnahmen länderweit die gleichen Effekte zeigt", so Lina Jansen. Doch auch hier wird es bestimmt Unterschiede beim Erfolg zwischen den Ländern geben, da die Voraussetzungen in den Ländern anders sind.

Auch Jansen betont die Relevanz der Prävention: "Unsere Ergebnisse zeigen erneut, dass wir in Zukunft besondere Anstrengungen unternehmen müssen, damit alle Menschen gleichermaßen von Empfehlungen zu einem gesunden Lebensstil und von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen profitieren - unabhängig von ihrer Postleitzahl."

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 8. August 2023 veröffentlicht und am 12. Dezember 2023 aktualisiert, nachdem die britische Studie im Lancet veröffentlicht wurde.

 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.