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Traut Euch!

23. August 2019

Die zehnte Weltversammlung von "Religions for Peace" im süddeutschen Lindau war mit Vertretern aus 125 Ländern bunt und vielsprachig. Die strikte Absage an jede Form von Gewalt war aber zu leise, meint Christoph Strack.

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Lindau Religion for Peace Religionen für den Frieden
Bild: Ahmad Khalid Photography

Religionen haben Konjunktur. Mit ihnen kann man sogar Wahlkampf führen und Stimmungen prägen. Donald Trump bezeichnete sich gerade als von Gott persönlich auserwählten US-Präsidenten. Gut 84 Prozent der Weltbevölkerung sind religiös. 

Religion ist oft auch politisch. Und längst gibt es einen Kampf um die Deutungshoheit sowie ein Ringen um die politische Dominanz im Bereich der Religion, auch um die religiöse Dominanz im Bereich der Politik. Es sind oft konservativste (und auch finanzstarke) Evangelikale und Freikirchler, die in Brasilien den Umwelt-Schänder Bolsonaro ins Amt puschten oder gelegentlich für Trump beten. Ihnen allen ist auch dieser so konservative wie revolutionäre Papst Franziskus aus dem Süden ein Dorn im Auge.

Parallele Konferenz in Sri Lanka

Und auf ganz anderer Bühne ist da immer auch noch der saudische Wahhabismus, der Fundamentalismen füttert. Und parallel auf Dialog setzt. Zeitgleich zum Lindauer Welttreffen der Religionsvertreter tagte in Sri Lanka eine Konferenz zu Frieden, Harmonie und Koexistenz, in deren Mittelpunkt der Generalsekretär der Islamischen Weltliga, Mohammad Alissa, stand. Alissa, einer der klügeren Köpfe in der saudischen Führung, hatte auch fünf Millionen Euro für die Überlebenden und Opfer-Angehörigen der weit über 200 Toten dabei, die am Ostersonntag in Sri Lanka durch islamistischen Terror ermordet worden waren.

Wenn man den Bolsonaro-Betern oder auch dem saudischen Geld die religiöse Dominanz überlässt, kann man für Jamal Khashoggi eine Kerze anzünden und bei Wertefragen noch viel Spaß wünschen. Der sunnitische Islam und auch Sri Lanka waren in Lindau übrigens letztlich nicht bemerkenswert vertreten.

Diskussionen über Kaschmir, Bosnien-Herzegowina und Myanmar 

"Religions for Peace" ist politisch weiter und andernorts unterwegs, nach 49 Jahren längst in den Mühen der Ebene. Sie sprechen im Kleinen politische Konflikte an. Beim Thema Kaschmir rappelte es hinter verschlossenen Türen, als indische Hindus das Loblied auf die Demokratie und Meinungsfreiheit im nationalistischer werdenden Indien sangen - und Delegierte aus Kaschmir verärgert gingen. Andernorts zeigte sich mal wieder, wie tief die Gräben in Bosnien-Herzegowina noch 25 Jahre nach dem Frieden sind.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Redakteur Christoph Strack aus LindauBild: DW/B. Geilert

Und dann war da noch Myanmar und die Rohingya-Krise (bei der man Rohingya möglichst nicht nennen sollte). Da formulierten immerhin Repräsentanten der diversen Religionen in Myanmar und Bangladesch, auch Buddhisten und Muslime, sehr konkrete Erwartungen und Forderungen an die Regierung in Rangun, um die Krise nachhaltig beizulegen.

Strikte Absage an Gewalt zu mutlos

Aber das große Thema von Religion und Politik, die strikte Absage an jede Form von Gewalt, blieb doch merkwürdig randständig in Lindau. Es rührt an, wenn da ein schwarzer Kardinal die indische Buddhistin herzt, wenn ein Schweizer Rabbiner mit einem Drusen beim Kaffee auf Hebräisch plaudert oder wenn ein ganzer Saal über taffe Muslima aus Tunesien oder dem Irak staunt. Aber die Religionsvertreter müssten mutiger für die Friedensverantwortung eintreten, die ihnen die Politik fast hilfesuchend zuspricht. Dann gäbe es vielleicht auch mal stärkere und konkretere Ergebnisse.

So bleibt die Sensation dieser Weltversammlung die erstmalige Wahl einer Frau zur Generalsekretärin. Die in Ägypten geborene Muslima Azza Karam, eine Professorin, deren Expertise für nachhaltige Entwicklung und das Gespräch der Religionen weltweit geschätzt wird. Als sich die Delegierten am Mittwoch hinter verschlossenen Türen für die 50-Jährige entschieden hatten und sie zu den durchweg älteren Männern auf dem Podium hinauf gebeten wurde, brandete Beifall auf. Beifall, der zu stehenden Ovationen wurde. Das war der Mut der jünger und weiblicher gewordenen Versammlung. Bezeichnend, dass Azza Karam trotzdem dann bis Freitagmittag vor keiner Fernsehkamera auftauchte.

Frischer Wind durch Azza Karam

Es ist nicht nur ein Generations-, sondern auch ein Perspektivwechsel auf die tatsächliche Verantwortung der Religionsvertreter für gesellschaftliche und auch politische Prozesse und Entscheidungen. Und die Gewalt, die sich eben nicht nur gegen Religionen richtet, sondern immer auch von religiös verblendeten Kräften ausgeht. Schon in ihren ersten Sätzen im neuen Amt thematisierte Azza Karam den gewalttätigen Missbrauch von Religion und rief zu einer Friedensarbeit auf, die alle - und nicht nur die Religionen - im Blick haben müsse.

Ja, Religionen sind ein wesentlicher Bestandteil der Weltgemeinschaft. Ja, Europäer nehmen das nicht ausreichend wahr. Aber die Religionen müssen auch die Erwartungen der Politik, dass diese bei Konfliktlösung und Friedensarbeit energischer einsteigen mögen, ernster nehmen. Grundsätzlich, selbstkritisch, ehrlich. Traut Euch!