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Kommentar: Nichts aus der Vergangenheit gelernt

Grahame Lucas6. Januar 2015

Die Verhaftung des Chefs eines großen TV-Senders in Bangladesch wirft ein schlechtes Licht auf die Pressefreiheit im Land. Sie zeigt, dass die Regierung alles versucht, um ihre Macht auszubauen, meint Grahame Lucas.

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Abdus Salam, Chef von ETV in Bangladesch, wurde festgenommen. (Foto: ETV)
Abdus Salam, Chef von E-TV in Bangladesch, wurde festgenommenBild: ETV

Sollte irgend jemand noch einen Grund gebraucht haben, sich Sorgen über die Presse- und Meinungsfreiheit und über die Zukunft der Demokratie in Bangladesch zu machen, dann hat er ihn spätestens jetzt gefunden. Die Verhaftung von Abdus Salam, des Vorsitzenden des bengalischen Fernsehsenders Ekushey TV (ETV) ist ein klares Zeichen dafür, dass Premierministerin Sheikh Hasina alles unternehmen will, um eine Gefährdung sowohl ihrer Position als auch ihrer Interpretation der Vergangenheit Bangladeschs zu unterbinden. Möglicherweise ist diese Verhaftung ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Landes.

Die Anschuldigungen gegen Abdus Salam, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sind offensichtlich konstruiert. Nach seiner Verhaftung bezichtigte die Polizei den Sender ETV, im November 2014 "pornographische" Inhalte gesendet zu haben. Die Behörden hätten auf eine Beschwerde der betroffenen Frau gehandelt. Die Anschuldigungen werden vom Sender vehement bestritten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen schon seit längerem, dass die Regierung unter Sheikh Hasina wiederholt gegen führende Medien und Menschenrechtsaktivisten vorgegangen sei. Außerdem kritisieren sie, dass das sogenannte Internationale Kriegsverbrechertribunal, das 2009 gegründet wurde, von der Regierung dazu missbraucht werde, Oppositionelle zu verfolgen und zu unterdrücken. Das Tribunal war offiziell eingerichtet worden, um Kriegsverbrechen der pakistanischen Armee und ihrer lokalen Helfer während des Unabhängigkeitskrieges 1971 aufzuklären.

Grahame Lucas, Leiter der Bengali-Redaktion der Deutschen Welle. (Foto: DW)
Grahame Lucas, Leiter der Bengali-Redaktion der Deutschen WelleBild: DW/P. Henriksen

Die wahren Gründe für Salams Verhaftung liegen wohl eher woanders. Der Tag vor der Inhaftierung war der erste Jahrestag der Parlamentswahlen in Bangladesch. Am 5. Januar 2014 gewann Sheikh Hasinas Awami League eine Wahl, die von den Oppositionsparteien boykottiert worden war. Zum Jahrestag hatte die führende Oppositionspolitikerin und langjährige Rivalin Sheikh Hasinas, Khaleda Zia, zu Demonstrationen gegen die Regierung aufgerufen. Dafür wurde sie von der Polizei unter Hausarrest gestellt.

Kurz darauf wurde auch der Generalsekretär von Khaleda Zias Partei BNP, Mirza Fakhrul, bei einer Pressekonferenz vor den Türen des Presseclubs in Dhaka verhaftet. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden politischen Krise traf der Sender ETV die redaktionelle Entscheidung, ein Interview mit Zias ältestem Sohn Tarik Rahman auszustrahlen, der in London lebt. Erst im Dezember hatten die Behörden des Landes einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Er hatte es gewagt, die Rolle in Frage zu stellen, die der Gründungsvater des Staates Bangladesch während des Unabhängigkeitskrieges gespielt hatte. Das Pikante daran: Sheikh Mujibur Rahman ist der Vater der jetzigen Premierministerin, Sheikh Hasina.

Man kann sich darüber streiten, ob die redaktionelle Entscheidung in dieser Situation klug war oder nicht. Denn Tarik Rahman ist nicht gerade ein lupenreiner Demokrat, sondern eher eine zwielichtige Figur, die in mehrere Korruptionsfälle verwickelt ist. Aber worüber nicht verhandelt werden kann, ist das Recht eines Senders, Inhalte auszustrahlen, von denen die Journalisten glauben, dass sie wichtig für die Beleuchtung der politischen Krise des Landes sind.

Das sieht Premier Hasina offenbar anders. Sie handelt lieber gemäß der Beschreibung George Orwells in seinem Science Fiction-Klassiker "1984": "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert auch die Zukunft. Und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit." Nur sollte Hasina eines nicht vergessen: Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, der verliert sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft.