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Kommentar: Kein Kurswechsel in Europa

Bernd Riegert6. Mai 2012

Frankreichs neuer Präsident Hollande will den strikten Sparkurs in der Euro-Zone lockern. Bundeskanzlerin Merkel setzt auf Zusammenarbeit. Die beiden steuern auf "Merkollande" zu, meint Bernd Riegert.

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Frankreich hat sich entschieden, aber auf europäischer Ebene wird sich zunächst nicht viel ändern. Der Sozialist Francois Hollande hat angekündigt, er wolle den europäischen Fiskalpakt nachverhandeln und den strikten Sparkurs des Duos "Merkozy", aus der deutschen Bundeskanzlerin Merkel und dem bisherigen Präsidenten Sarkozy, verlassen. Zur Konsolidierung der Haushalte durch verminderte Ausgaben gibt es aber bislang keine realistische Alternative. Das wird Hollande innerhalb weniger Wochen erkennen müssen. Er wird einen Wachstumspakt als Anhang und Ergänzung zum bereits unterschriebenen Fiskalpakt bekommen, aber nicht mehr. Dieses Zugeständnis haben die Bundeskanzlerin, der luxemburgische Euro-Gruppenchef Juncker und der Präsident der Europäischen Zentralbank Draghi bereits vorbereitet. Der neue Präsident Hollande soll sein Gesicht wahren können, ohne dass der Fiskalpakt, der in einigen Ländern schon ratifiziert ist, wieder aufgeschnürt werden muss.

Für Wirtschaftswachstum sind alle in der Europäischen Union. Deshalb kann man das Bekenntnis gerne noch einmal aufschreiben und medienwirksam verkünden. Das Beraterteam des neuen französischen Präsidenten und Vertreter der Bundesregierung haben das längst ausgehandelt. Hollande will seine Präsidentschaft nicht mit einem Streit mit Berlin beginnen. Auf lange Sicht ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin für die Europäische Union unabdingbar, egal welcher ideologischen Ausrichtung die Regierenden gerade anhängen. Es ist wahrscheinlich, dass Merkel und Hollande nach einigen Monaten des Abtastens zum Duo "Merkollande" verschmelzen werden. Das wird keine Liebesheirat, aber eine realpolitische Notwendigkeit. Die konservative Bundeskanzlerin wird mit Francois Hollande sicherlich zurechtkommen, zumal die Persönlichkeit des ruhigen Hollande ihrem Charakter sehr viel näher liegt als der stets impulsive Nicolas Sarkozy. Frankreich und Deutschland werden der Motor im Maschinenraum der EU bleiben, auch wenn er am Anfang etwas stottern mag.

Erst die Not schweißte Merkel und Sarkozy zusammen

Das war übrigens bei Merkel und Sarkozy auch nicht anders. Der mit Glanz und Glamour auftretende Sarkozy, in Frankreich auch scherzhaft "Bling-Bling"-Präsident genannt, hat in seinen ersten Amtsjahren die Kanzlerin oft vor den Kopf gestoßen. Er wollte die Achse mit Berlin lösen und lieber mit Spanien zusammenarbeiten. Er setzte auf die Mittelmeerunion als Konkurrenz zur EU. Der Plan scheiterte zwar, aber erst am Strand von Deauville im Herbst 2010 wurde Merkozy geboren, also der Gleichschritt bei der Lösung der Schulden- und Eurozonen-Krise. Es war die schiere fiskalpolitische Not, die die beiden zusammenschweißte. Die konkreten Positionen, die Merkozy anschließend vertraten, änderten sich zwar noch mehrfach, aber immerhin traten Kanzlerin und Präsident immer geschlossen auf. Im Wahlkampf machte Sarkozy Deutschland sogar zum Vorbild.

Der neue sozialistische Präsident Francois Hollande sieht in Deutschland auch positive Ansätze, verweist aber auf die sozialen Errungenschaften, nicht auf den ausgeglichenen Haushalt und die Schuldenbremse, den die konservativ-liberale Koalition in Berlin anstrebt. Die wirtschaftlichen Fakten werden Hollande innerhalb weniger Wochen dazu zwingen, auch Frankreich einen Sparkurs zu verordnen. Sollte er vom zugesagten Abbau der Neuverschuldung abweichen, werden die Finanzmärkte wenig Geduld mit Frankreich haben. Die Zinsaufschläge für französische Staatsanleihen könnten steigen, das Rating für Frankreich sinken.

Normative Kraft des Faktischen

Francois Hollande wird wenig Spielraum haben, seine Wahlkampfversprechen einzulösen. Das Defizit lag 2011 bei fünf Prozent. Er wird weder um eine Rentenreform noch um ein Abschmelzen der Personalkosten im überdimensionierten staatlichen Sektor herumkommen. Wie er Frankreich aus der Flaute führen will, hat Hollande bislang nicht erklärt. Geld für Konjunkturprogramme oder Senkungen der Mehrwertsteuer wird er nicht haben. Die geplante Reichen-Steuer wird nicht so viel einbringen. Die Arbeitslosigkeit in Frankreich ist hoch. Die Wähler werden Hollande daran messen, ob er sie abbauen kann.

Niedrige Zinssätze will sich der neue Präsident über Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller Euro-Staaten, erkaufen. Doch da auf Deutschland damit neue Risiken zukämen, will Bundeskanzlerin Merkel diese Eurobonds auf keinen Fall zulassen. Hollande möchte die eigentlich unabhängige Europäische Zentralbank mehr in die Wachstumsförderung einbinden. Auch das kommt, im Moment, für die deutsche Bundesregierung und auch die Währungshüter bei der Bundesbank nicht in Frage.

Europa braucht Frankreich

Francois Hollande wird erkennen müssen, dass er die Euro-Zone und die Europäische Union nicht fahrlässig in einen neuen Strudel der Krise stoßen darf. Sollte Frankreich wanken, dann werden auch die Anstrengungen zur Konsolidierung in Portugal, Spanien, Italien und anderen Krisenländern nachlassen. Das hätte fatale Folgen für den Euro als Gemeinschaftswährung.

Wenn Griechenland nach der Parlamentswahl keine handlungsfähige Regierung bekommt und ins Chaos stürzt, muss es die Euro-Zone am Ende vielleicht doch noch verlassen. Das könnte die Währungsunion noch überstehen. Gerät aber Frankreich immer tiefer in die Schuldenkrise, wäre der Euro am Ende. Sollte Hollande dies nicht verstehen, will der luxemburgische Ministerpräsident und Euro-Gruppenchef, Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten Nachhilfe erteilen. Das hat der erfahrene Juncker angekündigt. Das Angebot sollte Hollande, der noch nie ein hohes Regierungsamt innehatte, unbedingt annehmen. Europa würde es gut tun.

Deutschland ist jetzt das letzte große Land in der Euro-Zone, in dem es im Zuge der Schuldenkrise noch keinen Regierungswechsel gegeben hat. 2013 muss sich Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Euro-Rettungskurs den Wählerinnen und Wählern stellen. Sie kann nicht sicher sein, ob die Serie der Regierungswechsel sich nicht auch in Deutschland fortsetzen wird. Noch sind die Wachstumszahlen in Deutschland besser als im Rest Europas, aber das kann sich schnell ändern. Die Schuldenkrise ist noch lange nicht vorbei.

Deutsche Welle Bernd Riegert Zentrale Programmredaktion, Querschnittsthemen. Foto DW/Per Henriksen 10.11.2011 DW1_7875
Bernd Riegert, EuroparedaktionBild: DW