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Ein Krisenstab gegen das Misstrauen

Robert Schwartz9. Januar 2014

Was soll mit EU-Zuwanderern geschehen, die eventuell unrechtmäßig Sozialleistungen erschlichen haben? Ein Ausschuss soll das klären. Ein willkommener Krisenstab, um Missverständnisse auszuräumen, meint Robert Schwartz.

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Deutsche Welle Rumänisch Robert Schwartz
Robert Schwartz, Leiter der rumänischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Es ist gut, dass die neue Bundesregierung einen Ausschuss einsetzt, der prüfen soll, ob und wie man hierzulande gegen den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer vorgehen kann. Aber es ist schwer verständlich, warum nicht das alte Kabinett diesen Schritt schon früher gewagt hat. Seit Jahren klagen meist strukturschwache Kommunen über einen verstärkten Zuzug armer Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Warum also erst jetzt einen Sonderausschuss einsetzen? Sieht die große Koalition doch einen Zusammenhang zwischen der Öffnung des Arbeitsmarktes für Bulgaren und Rumänen zu Beginn des Jahres und der erheblich früher eingetretenen sogenannten "Armutszuwanderung"? Es wäre ein schwerer Fehler, denn die beiden Phänomene haben nichts miteinander zu tun.

In die angeheizte und leider allzu oft populistisch geführte Debatte muss endlich Sachlichkeit einkehren. Der neue Ausschuss kann dazu beitragen. Fakt ist, dass arme Menschen aus Südosteuropa schon seit Jahren ihr Glück in der EU suchen. Zuerst waren Spanien und Italien die beliebtesten Zielländer, dann folgten Großbritannien und anschließend Deutschland. Die meisten dieser Menschen sind Roma, die in ihrer Heimat oft am Rande der Gesellschaft leben. In Deutschland ergeht es ihnen ähnlich, allein, der Rand ist erträglicher. Und die Chancen ihrer Integration sind größer, weil sich hier die Mehrheitsgesellschaft ihrer angenommen hat.

Deutschland braucht Zuwanderung

Fakt ist auch, dass einigen dieser Menschen Sozialbetrug nachgewiesen wurde. Das kann und soll nicht verschwiegen werden. Doch es gibt in Deutschland Gesetze, die ein solches Verhalten ahnden. Der Staat ist hier gefragt, die Gesetze auch anzuwenden. Warum tut er das nicht? Ein bewusstes oder unbewusstes Übersehen dieser Vergehen schürt den sozialen Unfrieden im Land. Und trägt dazu bei, dass man die Armutszuwanderung und die Arbeitnehmerfreizügigkeit in einen Topf wirft. Sehr zum Schaden der deutschen Wirtschaft. Und der Sozialkassen.

Denn der Arbeitsmarkt in Deutschland braucht dringend Fachkräfte. Das war auch vor dem 1. Januar 2014, also bevor die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Kraft trat, der Fall. So hat Deutschland seit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens (2007) mehrere tausend Ärzte, Pflegepersonal, IT-Experten und Ingenieure aus den beiden Ländern abgeworben. Diese Menschen sind in der Gesellschaft integriert, sie zahlen ihre Steuern und sind stolz auf ihre Leistung, die bis vor Kurzem durchaus geschätzt wurde. Sie verstehen nicht, warum sie plötzlich pauschal verdächtigt werden, den Sozialstaat zu betrügen. Und die Facharbeiter und Handwerker, die jetzt kommen dürfen, um die Leerstellen im deutschen Arbeitsmarkt zu füllen, verstehen es auch nicht.

Mangelnde Willkommenskultur

Doch die Frage, die sich stellt, ist nicht die, ob Deutschland von einer Welle Arbeit suchender Bulgaren und Rumänen überrollt wird. Nein, die Frage ist, ob vor dem Hintergrund der populistischen Positionen in Deutschland überhaupt genügend Fachkräfte aus den beiden Ländern kommen werden. Es ist kein Wunder, dass die Debatte an den berühmt-berüchtigten Wahlspruch eines ehemaligen CDU-Politikers im Wahlkampf der Jahres 2000 erinnert: "Kinder statt Inder". Damals wollte Deutschland dringend benötigte IT-Fachkräfte aus Indien anwerben. Viele dieser Experten zeigten jedoch kein Interesse, Teil des deutschen Wahlkampfs zu werden und zogen es vor, in den USA und in Großbritannien zu arbeiten, wo sie willkommen waren.

Es ist leider so, dass sich eine offensive Ausländerpolitik auch heute immer noch gut im rechten Wählerspektrum macht. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Mit solchen Positionen ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen im Süden und Südosten des Kontinents daran zweifeln, ob europäische Rechte wirklich für alle EU-Bürger gelten oder nur für die Privilegierten. Ein klares Ziel des neuen Ausschusses muss deshalb sein, dass sich Bulgaren und Rumänen, die hier arbeiten und ihren Sozialbeitrag leisten, auch weiterhin willkommen fühlen. Und sicher sind vor pauschaler Verurteilung und Diffamierung.