1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kommentar: In der Ukraine droht ein Flächenbrand

Bernd Johann24. Januar 2014

Nach den gescheiterten Gesprächen zwischen Opposition und Staatschef Janukowitsch weiten sich die Proteste in der Ukraine aus. Das könnte zu einer Spaltung des Landes führen, meint Bernd Johann.

https://p.dw.com/p/1AwmO
Deutsche Welle REGIONEN Osteuropa Ukrainisch Bernd Johann
Bernd Johann, Leiter der Ukrainischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW/P. Henriksen

Viktor Janukowitschs Politik führt die Ukraine an einen Abgrund. In den vergangenen Tagen gab es regelrecht barbarische Szenen in Kiew. Sicherheitskräfte schlugen mit extremer Brutalität noch auf Menschen ein, die bereits am Boden liegen. Videos zeigen, wie ukrainische Spezialeinheiten Menschen demütigen und foltern. Verletzte Aktivisten der Protestbewegung wurden aus Krankenhäusern verschleppt. Schlägertrupps machten Jagd auf Oppositionelle. Es ist nachvollziehbar, wenn viele Ukrainer von Terror unter staatlichem Deckmantel sprechen.

Es müssen politische Konsequenzen gezogen werden, wenn die Lage beruhigt werden soll. Für polizeiliche Übergriffe tragen die zuständigen Behörden und ihre Minister die Verantwortung - allen voran die Justizministerin und der Innenminister. Janukowitsch muss sie zur Rechenschaft ziehen, wenn sie solche Vorgänge nicht aufklären oder unterbinden. Bislang sind nicht einmal glaubwürdige Entschuldigungen für inakzeptable Polizeigewalt vorgebracht worden.

Längst hat sich der Protest von Kiew auch auf andere Städte in der Ukraine ausgeweitet. Demonstranten stürmten mittlerweile Rathäuser und Verwaltungsgebäude in zahlreichen Städten - vor allem im Westen und im Zentrum des Landes. Der Aufstand, der in der Hauptstadt begonnen hat, wird allmählich zu einem Flächenbrand.

Janukowitsch muss mit Sanktionen rechnen

Europa kann und darf nicht bei dieser Entwicklung zuschauen. In den letzten Wochen hat sich die EU gegenüber der Ukraine politisch viel zu sehr zurückgehalten. Sicher haben die EU-Staaten jetzt nur noch begrenzte Mittel, um auf Janukowitsch einzuwirken, nachdem dieser den Prozess der EU-Annäherung seines Landes aufgekündigt hat. Aber es gibt Hebel. Die EU muss die Führung in Kiew zu einem echten Dialog mit der Opposition drängen. Die EU muss Janukowitsch dazu bringen, alles dafür zu tun, damit es keine weiteren Toten gibt. Und dafür muss sie ihm unmissverständlich klar machen, dass es Sanktionen gegen ihn und seine Umgebung geben wird, wenn er weiter auf Gewalt gegen Demonstranten setzt.

Es war nicht viel, was die ukrainischen Oppositionsführer nach stundenlangen Gesprächen mit Staatschef Janukowitsch verkünden konnten: Die mögliche Freilassung einiger politischer Aktivisten, die während der Proteste verhaftet wurden. Dem Oppositionspolitiker Vitali Klitschko blieb nichts als der verzweifelte Aufruf an die Demonstranten zu noch mehr Geduld. Denn eine politische Lösung der Krise ist erneut gescheitert, weil das Regime sich hartnäckig und mit großer Arroganz einer politischen Lösung verweigert.

Proteste könnten heftiger werden

Die Proteste werden andauern und sie könnten an Heftigkeit zunehmen. Denn die Enttäuschung und Wut der Menschen auf Janukowitsch und seine Regierung werden immer größer. Es steht zu befürchten, dass sich die Gewaltspirale weiter dreht. Aus dem Massenprotest in der Ukraine könnte am Ende sogar ein bewaffneter Aufstand werden, der das politisch zerrissene Land spalten und zerstören kann.

"Weg mit der Bande", das fordern die Demonstranten in Kiew und anderen ukrainischen Städten. Und sie meinen damit die Regierung und vor allem Präsident Janukowitsch selbst, der das Land wie sein Privateigentum behandelt und dessen wirtschaftliche Ressourcen unter seinen Freunden aufteilt, während viele Menschen in Armut leben. Nach zwei Monaten ergebnislosen Protestes ist für die meisten Demonstranten klar, Janukowitsch will keinen Dialog führen. Er klammert sich an die Macht, spielt gegenüber der Protestbewegung nur auf Zeit und rüstet unterdessen seine Sicherheitskräfte immer weiter auf.

Rechtsbruch im Parlament

Wenn Janukowitsch jetzt eine Sondersitzung des Parlaments ankündigt, bei der auch über eine Regierungsumbildung entschieden werden soll, ist das wohl nicht mehr als ein taktisches Manöver. Es kann sein, dass der im Volk unbeliebte Regierungschef Nikolai Asarow und auch der ein oder andere Minister ausgewechselt werden. Aber ein inhaltlicher Kurswechsel wird es wohl nicht werden. Und solange der Präsident nicht bereit ist, seine Sicherheitskräfte von den Straßen Kiews zurückzuziehen, wird es keine Entspannung im Machtkampf geben.

Mit einer Auflösung des Parlaments und Neuwahlen, wie sie die Protestbewegung fordert, ist nicht zu rechnen. Auch ist kaum davon auszugehen, dass die umstrittenen neuen Gesetze gegen die Demonstrations- und Meinungsfreiheit zurückgenommen werden. Das Parlament hat sie erst vor wenigen Tagen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschiedet. Dabei hat die Regierungsmehrheit alle demokratischen Regeln verletzt und damit jegliche Legitimät verloren. Doch der Präsident hat diese Gesetze ohne jedes Zögern unterschrieben. Der Rechtsbruch im Parlament hat ihn nicht gestört.