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Türkisch-israelische Krise

12. September 2011

Die diplomatische Krise zwischen der Türkei und Israel verschärft die Spannungen in Nahost. Beide Länder müssen zu normalen Beziehungen zurückkehren, meint Baha Güngör in seinem Kommentar.

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Stift und Aufschrift Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Dass auch ein Recep Tayyip Erdoğan nicht so heiß isst, wie er zuvor gekocht hat, ließ er vor Beginn seines mit Spannung erwarteten Besuchs in Ägypten durchblicken. In den unter israelischer Blockade stehenden Gaza-Streifen werde er "früher oder später" reisen, erklärte der türkische Ministerpräsident. Die aktuellen Machthaber in Kairo hätten ihm eine derart populistische Aktion sicherlich auch nicht erlaubt, nachdem wenige Tage zuvor die israelische Botschaft in der ägyptischen Hauptstadt vom Mob gestürmt und das Personal zur Flucht aus dem Land gezwungen worden waren.

Zweierlei Maß

Bahaeddin Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion (Foto: DW)
Bahaeddin Güngör, Leiter der Türkischen RedaktionBild: DW

Eine Begleitung von Schiffskonvois mit Hilfsgütern für Gaza durch die türkische Marine, die Erdoğan ein Jahr nach dem Entern der "Mavi Marmara" durch eine israelische Spezialeinheit ins Spiel gebracht hatte, bei der neun Menschen getötet wurden, wird höchstwahrscheinlich auch nicht stattfinden. Es wäre auch fatal, wenn die Türkei einen UN-Bericht ignoriert, der die Blockade des Gaza-Streifens als gerechtfertigt, den israelischen Kommandoeinsatz gegen das türkische Hilfsschiff in internationalen Gewässern aber als übertriebene Reaktion bezeichnet hatte.

Nicht minder von der Rolle zeigte sich auch Israels Außenminister Avigdor Liebermann. Er sprach von "Strafaktionen" gegen die Türkei. Diese könnten eine Unterstützung der starken jüdischen Lobby in den USA für die Anerkennung des "Völkermords" an Armeniern 1915/16 im US-Senat ebenso sein. Auch eine Unterstützung der in den USA und in der EU als "Terrororganisation" eingestuften militanten kurdischen Separatistenorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) wurde ins Spiel gebracht.

Zweckbündnis unumgänglich

Die Türkei und Israel haben trotz aller kursierenden Schreckens-Szenarien keine Alternative zum Frieden miteinander. Die Türkei ist seit 1952 als NATO-Mitglied stets ein zuverlässiger Bündnispartner des Westens gewesen und hat über Jahrzehnte seine Loyalität zu den Werten der Allianz unter Beweis gestellt. Israel ist umgeben von mehr oder weniger feindlichen Nachbarländern, in denen Despoten und Diktaturen nacheinander wie Kartenhäuser zusammenbrechen. Erdoğan muss den UN-Bericht akzeptieren und Israel sollte sich überlegen, ob es nicht andere Wege gibt als Hilfsschiffe außerhalb seiner Hoheitsgewässer zu entern und Menschen zu erschießen.

Vor allem Erdoğan sollte sich überlegen, ob er diese Verhärtung seiner populistischen anti-israelischen Strategie überhaupt nötig hat. Vor drei Monaten wurde er mit fast 50 Prozent Stimmenanteil im Amt bestätigt und kann schalten und walten, wie er will, nachdem auch die einst mächtige Armee innenpolitisch marginalisiert worden ist.

Wenn Erdoğan in die Weltgeschichte eingehen will, dann sollte er sich um positive Vorzeichen vor seinem Namen bemühen. Kriege und Konflikte vom Zaun zu brechen, ist sehr einfach, weitaus schwerer ist es, Frieden zu schaffen und abzusichern. Doch wahre Staatsmänner vom Schlage des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk und des damaligen griechischen Premiers Eleftherios Venizelos schaffen es, sich nach Jahrhunderten kriegerischer Auseinandersetzungen auf einen dauerhaften Frieden zu einigen. Das gelang auch Staatsmännern wie Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer, ohne die die deutsch-französische Aussöhnung nicht gelungen wäre. Wäre die deutsch-polnische Entspannung ohne einen Friedenskanzler wie Willy Brandt überhaupt möglich gewesen?

Schluss mit Maximalpositionen

An guten Beispielen für Erdoğan gibt es in der Geschichte keinen Mangel. Er wäre gut beraten, sich zu mäßigen. Die regionalen Machtambitionen der Türkei können mit ihrer rasanten wirtschaftlichen Entwicklung, der Absicherung des brüchigen Friedens im Nahen Osten und mit einer dauerhaften Entspannungspolitik überzeugender unterstrichen werden als durch das Spiel mit dem Feuer.

Die Türkei und Israel sind aufgefordert, sofort den Weg der Entspannung einzuschlagen und mit dem Säbelrasseln aufzuhören. Weder Erdoğan noch Netanjahu würden ihr Gesicht verlieren, wenn sie ihre diplomatischen Beziehungen wieder auf das bestmögliche Niveau anheben. Dazu gehört auch, dass sich Israel nicht dafür schämen muss, wenn es sich für die Tötung von Menschen bei der Kommandoaktion entschuldigt. Das Beharren auf Maximalpositionen ist dumm, töricht und gefährlich obendrein.

Autor: Baha Güngör
Redaktion: Mirjana Dikic