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Der neue Mann aus dem Osten

Christoph Hasselbach1. Dezember 2014

Der neue EU-Ratspräsident Donald Tusk wird frischen Wind nach Brüssel bringen. Doch er kann von seinem Vorgänger Herman Van Rompuy auch einiges lernen, findet Christoph Hasselbach.

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Donald Tusk Foto: Reuters
Bild: Reuters

Tusks Vorgänger Herman Van Rompuy war ein extrem zurückhaltender Ratspräsident. Gleich bei seinem Amtsantritt hat er gesagt, seine eigene Meinung zähle nicht. Er sehe seine Aufgabe vor allem darin, Konsens unter den Mitgliedsstaaten herzustellen. Van Rompuys Selbstverleugnung grenzte mitunter ans Masochistische. Unvergessen ist die groteske Szene im Europaparlament, als Nigel Farage, der Vorsitzende der EU-feindlichen britischen Unabhängigkeitspartei, spottete, Van Rompuy habe "das Charisma eines nassen Lappens und das Äußere eines kleinen Bankangestellten". Van Rompuy wand sich in seinem Sessel, verdrehte die Augen, aber ertrug die Tirade. Es war kein schöner Anblick.

Konsensschmiede Belgien

Van Rompuy war der erste ständige Präsident des Europäischen Rates. Der Präsident leitet zum Beispiel die EU-Gipfel und vertritt die Union nach außen. Bis 2009 hatten sich die Staats- und Regierungschefs mit dem Ratsvorsitz abgewechselt. Verglichen mit Selbstdarstellern wie Tony Blair oder Jacques Chirac war Herman Van Rompuy eine graue Maus. Sein "Makel" bestand noch dazu in der Tatsache, dass er aus Belgien kommt, einem "Nicht-Land", wie Nigel Farage in derselben bösen Rede mit Blick auf die flämisch-wallonische Zerstrittenheit gespottet hatte. Doch seine belgische Herkunft und seine Unauffälligkeit waren geradezu die Grundlagen seines - relativen - Erfolgs. In Belgien, diesem staatgewordenen Kompromiss, hatte er die Konsenssuche gelernt und auch gesehen, dass Selbstprofilierung dabei eher hinderlich ist. Vor allem in der Finanzkrise hat sich sein beharrliches Bemühen um gemeinsame Entscheidungen bewährt.

Keiner soll den Staatschefs die Schau stehlen

Dazu kommt, dass die Staats- und Regierungschefs unbedingt einen eher unscheinbaren Ratspräsidenten wollten. Zunächst war zum Beispiel auch Tony Blair im Gespräch. Er hätte der EU tatsächlich ein weitaus stärkeres internationales Profil geben können, hätte man ihn gelassen. Das wäre aber auf Kosten der übrigen Staatenlenker gegangen, und das wollten sie nicht. Daher wurde es ein Mann wie Herman Van Rompuy. Und die Staatschefs scheinen mit ihm als Konsensmaschine, Vermittler und Strippenzieher auch insgesamt zufrieden gewesen zu sein. Sonst hätten sie ihn nach dem ersten Turnus von zweieinhalb Jahren nicht wiedergewählt. Wenn die EU während seiner zwei Amtszeiten in wichtigen Fragen zusammengehalten hat, dann war das nicht zuletzt Van Rompuys Verdienst, freilich ohne dass er dafür das verdiente Lob bekommen hätte. Und wenn die Union nicht mit einer Stimme sprach, dann war es nicht seine Schuld.

Christoph Hasselbach Foto: DW/M.Müller
Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Weniger Bescheidenheit

Donald Tusk scheint der richtige Nachfolger zu sein. So wie er bisher aufgetreten ist, hat er einige von Van Rompuys Stärken, gleicht aber dessen Schwächen aus. Tusk dürfte sich mit einer ganz so demütigen Rolle, wie sie der Belgier für sich annahm, nicht zufriedengeben. Das wird der EU guttun. Die Union mit ihren 28 Staaten und 500 Millionen Einwohnern spielt auf der Weltbühne leider nicht in der Gewichtsklasse, die sie eigentlich haben müsste. Das hat auch mit ihren Spitzenvertretern zu tun. Herman Van Rompuy konnte nichts dafür, aber auf manchen internationalen Treffen übersah man ihn einfach, weil er partout nicht im Vordergrund stehen wollte, obwohl er der formal oberste Vertreter der EU war. Man kann es mit der Bescheidenheit eben auch zu weit treiben, und das sollte sich mit Donald Tusk ändern. Dabei wird Tusk zugutekommen, dass er als langjähriger polnischer Premier enge und vielfältige politische Kontakte besitzt.

Erfahrungen mit Russland

Spannend wird sein, wie sich die Tatsache auswirken wird, dass Donald Tusk als Osteuropäer einen ganz anderen Blickwinkel auf die EU mitbringt - gerade jetzt in der Konfrontation mit Russland. Polen ist dichter dran an Russland, hat unter Russland und der Sowjetunion gelitten; in der Ukraine-Krise hat auch Donald Tusk als polnischer Ministerpräsident härtere, warnendere Töne gegenüber Russland angeschlagen als andere Regierungschefs aus dem Westen Europas. Doch als EU-Ratspräsident darf er sich nicht allein von seiner Herkunft leiten lassen, sondern muss alle Meinungen zusammenführen. Der neue Blick bekommt der EU aber gut, die politisch immer noch ein stark westeuropäisches Übergewicht hat. Auch in die Wirtschaftspolitik könnte Tusk neuen Wind bringen: Er hat sein Land mit klugen Reformen, aber ohne Hilfspaket gut durch die Wirtschaftskrise geführt. Das Beispiel könnte Ländern wie Frankreich und Italien nützen, die immer gleich nach europäischem Geld rufen, statt sich selbst zu ändern. Dass zu Tusks wirtschaftsliberalen Vorbildern Margaret Thatcher und Ronald Reagan zählen, sollte er allerdings als Ratspräsident lieber für sich behalten; es würde unnötig polarisieren.

Abschied vom Gipfel-Haiku

Doch Donald Tusk ist kein Ideologe, weder in der Wirtschaftspolitik, noch beim Umgang mit Russland, sondern Pragmatiker. Ideologen sind im Amt des EU-Ratspräsidenten auch fehl am Platz. Woran er noch feilen muss, ist sein Englisch. Er spricht gut deutsch und russisch. Doch so sehr sich die Deutschen darüber freuen können und so hilfreich sein Russisch vielleicht für die Lösung der Ukraine-Krise sein mag, ohne Englisch läuft auf der europäischen und erst recht auf der internationalen Bühne gar nichts. Der französischsprachige Teil der EU dagegen wird wohl auf seine Sprache aus dem Munde des Polen weitgehend verzichten müssen. Da war man von Herman Van Rompuy verwöhnt, der Französisch, Englisch und Niederländisch gleichermaßen fließend spricht und dazu etwas Deutsch. Und noch etwas wird bei langen Gipfelnächten jetzt fehlen: Van Rompuys selbstverfasste Haiku-Gedichte. Aber wer sie vermisst, kann seine Haiku-Sammlung in Buchform kaufen.