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Kommentar: Bricht Zschäpe ihr Schweigen?

Marcel Fürstenau16. Juli 2014

Beate Zschäpe, Hauptangeklagte im NSU-Prozess, hat kein Vertrauen mehr zu ihren Verteidigern. Was das verfahrenstechnisch bedeutet, ist noch offen. Aber vielleicht bricht sie jetzt ihr Schweigen, hofft Marcel Fürstenau.

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Ein Namenschild von Beate Zschäpe steht auf dem Tisch vor den Anklagebank.
Bild: picture-alliance/dpa

Sie ist wegen zehnfachen Mordes aus rassistischen Motiven angeklagt - neun der Opfer haben ausländische Wurzeln. Ob Beate Zschäpe aber tatsächlich als Mörderin verurteilt werden kann, daran hatten und haben manche Experten erhebliche Zweifel. Seit Mittwoch stellt sich jedoch eine ganz andere Frage: Ob oder unter welchen Umständen das im Mai 2013 begonnene Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) überhaupt fortgesetzt wird. Auslöserin dieser überraschenden Wendung ist Zschäpe höchstpersönlich. Sie hat ihren drei Pflichtverteidigern das Vertrauen entzogen.

Der Prozess könnte nun platzen, er müsste dann neu aufgerollt werden. Das wäre bedauerlich, weil sich die juristische Aufarbeitung einer der abscheulichsten Mordserien in Deutschland noch mehr in die Länge ziehen würde. Das im Moment lediglich unterbrochene Strafverfahren dauert bereits 14 Monate, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Natürlich kann das Gericht Zschäpes Antrag auch ablehnen, weil es die Begründung für ihren Vertrauensverlust für nicht überzeugend hält. Die Vorstellung mutet allerdings grotesk an: Eine wegen schwerster Verbrechen Angeklagte soll sich auf die Fähigkeiten jener Anwälte verlassen, denen sie erklärtermaßen misstraut?

Alte Hoffnungen könnten neu belebt werden

All diese Überlegungen betreffen lediglich die formaljuristische Seite der von Zschäpe provozierten neuen Situation. Ihre Entscheidung ist aber auch Anlass, eine von vielen längst aufgegebene Hoffnung neu zu beleben: dass die mutmaßliche Mörderin ihr Schweigen bricht. Darauf hoffen zu allererst die Angehörigen der Opfer. Sie wollen die letzte Gewissheit darüber haben, wer ihre Männer, Söhne und Väter ermordet hat. Und warum gerade sie unbarmherzig erschossen wurden. Zschäpe ist die Einzige, von der endgültige Antworten kommen könnten.

Kommentarfoto Marcel Fürstenau Hauptstadtstudio
Marcel Fürstenau berichtet regelmäßig vom NSU-ProzessBild: DW/S. Eichberg

Bislang hat die 39-Jährige kein Wort über die mutmaßlichen NSU-Morde verloren. Sie hat auch keinerlei Regung gezeigt, als Mütter und Väter der Ermordeten im Gerichtssaal flehentlich an ihr Gewissen appellierten. Warum also sollte sie plötzlich Mitleid für trauernde Menschen empfinden, denen sie immer nur die kalte Schulter zeigte? Eine Geste des tief empfundenen Bedauerns oder gar die Bitte um Vergebung sollte auch jetzt niemand erwarten. Von einer Frau, die aus der Haft heraus Briefe an einen verurteilten Neonazi schreibt und sich dabei selbst bemitleidet!

Das Motiv könnte Eitelkeit sein

Aber auch so wäre eine Zschäpe, die ihr Schweigen bricht, im Sinne der Wahrheitssuche hilfreich. Zu vage und unbefriedigend sind die in bislang 128 Verhandlungstagen gewonnenen Erkenntnisse über den NSU. Dass die Hauptangeklagte, sollte sie endlich reden, womöglich nur aus Eitelkeit handelt, ist dabei keinesfalls auszuschließen. Das würde zum Bild der selbstbewussten Rechtsextremistin passen. Der Zeuge und Neonazi Tino Brandt sagte einen Tag vor Zschäpes plötzlicher Kehrtwende, sie sei keine "dumme Hausfrau" gewesen.

Als ihre Pflichtverteidiger diese Einschätzung hinterfragten, reifte in Zschäpe vielleicht der Entschluss, dem NSU-Prozess eine neue Richtung zu geben. Lange genug haben andere über sie geredet und spekuliert. Nun will sie anscheinend selbst die Richtung vorgeben. Sie geht dabei ein großes persönliches Risiko ein. Und bei den Angehörigen der Opfer wächst trotz aller Zweifel die Hoffnung auf ein wenig mehr Licht im nach wie vor sehr dichten NSU-Dickicht. Zschäpe hat es in der Hand, ihnen und uns allen den Gefallen zu tun - aufgrund welcher Erwägungen auch immer.