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Nachteulen haben's nicht leicht

Sebastian Wolfrum22. November 2013

Freiburg im Südwesten Deutschlands gilt als lebendige Studentenstadt. Da müsste doch auch nachts was gehen, hat sich DW-Autor Sebastian Wolfrum gedacht.

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Blick auf das Freiburger Münster Foto: imago/imagebroker
Bild: imago/imagebroker

Vor dem Tresen der Beat Bar Butzemann herrscht Gedränge. Nina, schwarzes Kleid mit übergroßem Kapuzenpullover, und ihre Freunde stecken die Köpfe zusammen. Das Licht ist schummrig, an der Wand hängt ein grüner Sektkühler, beleuchtet mit einer Glühbirne. Ein bisschen wie WG-Party hier, aber mit Zapfhähnen und röhrender Musik. Alles prima, möchte man meinen. Nur fängt die 23-jährige Nina an zu motzen, wenn es um das Freiburger Nachtleben geht. “Ich gehe hier kaum aus. Große Locations wie in Berlin gibt es nicht, die Discos haben oft Dorfcharakter“, findet die Studentin, die in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen ist. Ihre Freunde nicken, während die Menschen in der Bar um sie herum das Wochenende genießen: lachen, trinken, flirten.

An vielen Ecken erweckt Freiburg den Eindruck eines schönen, aber verschlafenen Nests. Gleichzeitig ist die Stadt mit mehreren Hochschulen und Studierenden aus aller Welt unglaublich jung. Provinz oder pulsierende Stadt? Michael findet die Frage bescheuert. “Ich komme aus Todtnau“, sagt er und findet damit ist alles gesagt. Die Stadt im Schwarzwald, nahe der Schweizer Grenze, hat 4700 Einwohner. “Da bleiben eigentlich nur Basel oder Freiburg zum Weggehen. Basel ist teuer, hier gibt es alles.“

Studenten in der Mensa der Universität in Freiburg (Archivbild vom 18.05.2011) Foto: Rolf Haid dpa/lsw
Über 10 Prozent der 200.000 Einwohner Freiburgs sind StudentenBild: picture-alliance/dpa

Auf der Suche nach der Partymeile

Mit einem leichten Kopfschütteln verschwinden der 33-Jährige mit der blonden Günter-Netzer-Frisur und sein Kumpel durch das Martinstor, eines der mittelalterlichen Stadttore, in Richtung Bermudadreieck. So nennen die Freiburger das Epizentrum des Nachtlebens. Hier müssen Betrunkene aufpassen, nicht in die Bächle zu treten, die Miniaturkanäle, die entlang der Straßen der Innenstadt fließen. Nur 200 Meter Luftlinie entfernt steht groß und still das Freiburger Münster im Dunkel der Nacht. Durch die engen Gassen radeln junge Menschen, aus offenen Küchenfenstern dringen Gesprächsfetzen, in einem Irish-Pub spielt eine Coverband Hits von ZZ Top. Eine Gruppe Schweizer Herren in den Dreißigern stimmt beim Vorbeilaufen mit ein. Weinlokale, studentische Bars, Wirtshäuser und prollige Clubs ballen sich hier.

Infokasten Freiburg in Zahlen

Vor einem der Clubs, dem Dreieck, steht Matze. Die schwarze Security-Jacke macht seine Schultern noch etwas breiter. Der 32-Jährige mit den auffallend blauen Augen ist Türsteher nur im Nebenberuf. Vor fast zehn Jahren hat er sich mit einem Gleichgesinnten selbstständig gemacht und organisiert seitdem Partys und Konzerte in Freiburg. Aus dem Umland, aus Frankreich und der Schweiz gebe es viele Party-Touristen, wie er sie nennt. Dazu kommen die normalen Touristen, die sich gerne durch die Nacht treiben lassen. “Aber der Puls der Nacht kommt von den Studierenden“, erklärt Matze, als er die Ausweise einer Gruppe aufgetakelter 18-Jähriger kontrolliert. Die Schlange vor dem Laden wird länger, während er weiter über das Nachtleben sinniert und feststellt: “Es ist aber für Gastronomen und Partyveranstalter schwerer geworden in letzter Zeit.“ Einige etablierte Feste seien in den vergangenen Jahren an den Auflagen der Stadtverwaltung gescheitert.

Säule der Toleranz Foto: DW
Wird regelmäßig mit Protestaufklebern und Schlägen malträtiert: die Säule der ToleranzBild: DW/S. Wolfrum

Lokalpolitik zwischen den Fronten

Es ist, als ringe die Stadt, die so stolz ist auf ihre Universität, mit sich selbst. Als wüsste sie selbst nicht, was sie ist und was sie sein will. Bislang schließen die meisten Bars am Wochenende um drei. Der Gemeinderat diskutiert derzeit, ob das Licht schon um eins ausgehen soll.

Das Ausgehviertel im Herzen Freiburgs ist klein, aber unüberhörbar. Deshalb steht auf dem Augustinerplatz das, was die Freiburger Lösung für das urbane Lärmproblem sein soll: die Säule der Toleranz. Ein etwa drei Meter hoher Quader aus Plastik und Metall, der abends erst bunt, dann grün und schließlich tiefrot leuchtet. Die Säule soll ein Signal sein; die Feiernden mahnen, dass Andere sich nach Ruhe sehnen. Und bleibt doch ohne Wirkung, verkommt gar zur Lachnummer. Rundum sitzen im Sommer oft hunderte Menschen und zelebrieren die Nacht.

Gepflegter Absturz am Ende der Nacht

Nach 3 Uhr ist das Crash einer der wenigen Läden, die noch offen haben. Viele, die länger unterwegs sind, treffen sich hier. Menschen wie Joubert. Der Bass scheppert, er hält sich an seinem Weizen fest. “Mein letztes“, wie der Südafrikaner heute nicht zum ersten Mal sagt. Er wollte schon lange nach Hause gehen. “Aber das Leben weiß es manchmal besser als man selbst“, sagt der Mann von geschätzt hundert Kilo. Das Crash ist ein Klassiker für den gepflegten Absturz, die Keller-Disco ist bis fünf Uhr geöffnet. In dem alten Punkrockladen vermischt sich das Publikum: Langhaarige in Kutten mit Mannowar-Aufnähern, Jungs, die stundenlang am Kicker stehen, Frauen in kurzen Latex-Gothic-Röcken, eine Gruppe Skater, die den DJ für Songs von Rage Against the Machine abfeiern, Erstsemester auf Freiburger Entdeckungstour.

Tanzende Gestalten im bunten Licht. Foto: DW
Das Crash, heute Disko und Ort für Metal- und Punk-Konzerte, hat seinen Ursprung in der Hausbesetzer-Szene der 80er JahreBild: DW/S. Wolfrum

Und eben ein bierseliger Südafrikaner, der noch nicht nach Hause will. Der 27-Jährige arbeitet als Lehrer in Metz, besucht gerade einen Freund. Während der DJ bekannte Crossover- und Rocksongs der letzten 25 Jahre auflegt, macht Joubert plötzlich ernst: Er geht heim, den schwarz gestrichenen Treppenaufgang hinauf, alleine raus in die Freiburger Nacht: "Völlig unvorstellbar in meiner Heimat Kapstadt. Herrlich. Freiburg ist irgendwie eine Stadt mit Dorfcharakter. Oder war es andersrum?“ Schon nach der nächsten Ecke hat ihn die Stadt verschluckt, nur noch sein zufriedenes Summen dringt durch die Dunkelheit.