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Der Regisseur Philip Gröning

Jochen Kürten9. September 2013

Sein Film "Die Frau des Polizisten" wurde gerade in Venedig ausgezeichnet. Einem größeren Publikum ist er seit seiner Dokumentation "Die große Stille" bekannt. Philip Gröning beschreitet ungewöhnliche Wege.

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Philip Groning beim 70th Venice Film Festival in Venice (Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi)
Bild: Reuters

Seine Drehbücher schreibt er selbst. Und auch bei der Inszenierung behält er die Fäden in der eigenen Hand: Philip Gröning macht Autorenkino - ihm ist es wichtig, die vollständige Kontrolle über seine Projekte zu behalten. Aus diesem Grund hat er auch seit 1986 eine eigene Produktionsfirma.
Gerade diese künstlerische Unabhängigkeit, die man all seinen Filmen ansieht, hat ihm jetzt wieder Anerkennung gebracht: Für seinen neuen Film "Die Frau des Polizisten" erhielt er zum Abschluss des Filmfestivals in Venedig den "Spezialpreis der Jury". Diese Auszeichnung wird in der Regel an ein Werk vergeben, das neue Wege erkundet - an einen Film, der sich formal abhebt vom üblichen Kinoeinerlei.


Formale Experimente

Einem größeren Publikum ist der in Düsseldorf geborene Gröning ausgerechnet mit einer dreistündigen Dokumentation über das Leben von Mönchen in einem französischen Karthäuser-Kloster bekannt geworden. Für "Die große Stille" erhielt er 2006 den Europäischen Filmpreis. Der meditative Film mit dem sperrigen Thema entwickelte sich zu einem überraschenden Kinoerfolg. Ein Drei-Stunden Werk über strenggläubige Kirchenmänner, die auch noch das Schweigegelübde abgelegt haben, zu produzieren und ins Kino zu bringen - das ist schon eine außergewöhnliche Leistung.

Szene aus dem Film "Die große Stille" (Foto: X Verleih dpa)
Leben im Kloster: "Die Große Stille"Bild: picture-alliance/dpa


Ärger mit Kanzler Kohl

Doch sie fügt sich ein in die Vita dieses ungewöhnlichen Regisseurs. Vor seinem Studium an der Filmhochschule in München hatte Gröning Medizin und Psychologie studiert. Erstmals Aufmerksamkeit erregte er mit der Politikgroteske "Die Terroristen" - der Film brachte 1992 sogar den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf die Barrikaden. "Die Terroristen" blickt auf drei junge Leute, die den Mord an einem hohen Politiker planen, im Film nur "Der Dicke" genannt. Kohl zeigte sich persönlich betroffen und versuchte die Ausstrahlung des Films im Fernsehen zu verhindern - vergeblich.

Auch Grönings darauffolgender Film "L'Amour, l'argent, l'amour" (2000) spaltete Publikum und Kritik. Der über einen Produktionszeitraum von vier Jahren entstandene Film erzählt die Geschichte einer Prostituierten und eines jungen Außenseiters, die sich ziellos durchs Leben treiben lassen. Gröning experimentierte mit Montage und Schnitt, Kameraperspektiven und Ton. Für die einen war das eine filmische Offenbarung, für die anderen ein durchaus anstrengendes Kinowerk. Erstmals Beifall von allen Seiten erhielt Gröning dann für "Die große Stille"

Philip Gröning mit dem Preis der Jury in Venedig (Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi)
Philip Gröning mit dem Spezialpreis der Jury in VenedigBild: Reuters


Kontroverse Diskussionen

Dagegen stößt "Die Frau des Polizisten", der jetzt in Venedig ausgezeichnet wurde, wiederum auf sehr unterschiedliche Reaktionen. In knapp 60 streng voneinander getrennten Einzelkapiteln erfährt der Zuschauer von einem jungen Elternpaar, das nach und nach in eine verhängnisvolle Gewaltspirale gerät. Der Mann schlägt seine Frau, die ihn allerdings nicht verlässt, sondern nach außen die bürgerliche Fassade bewahrt. Die Vorstellungen beim Festival in der italienischen Lagunenstadt wurden von vielen Zuschauern bereits vor Ende des Films verlassen. Die, die bis zum Ende ausharrten, äußerten sich zum Teil enthusiastisch - wie auch die Jury. Wie ist das zu erklären?

Eine Antwort lieferte Philip Gröning selbst. Der Film sei eine Zumutung, aber eine notwendige, so der Regisseur in einem Interview: "Ich versuche, Zuschauern keine Geschichte im klassischen Sinne zu erzählen, sondern einen Raum aufzumachen, in dem der Zuschauer etwas als Erfahrung durchmacht und gleichzeitig mit sich selber eine Verbindung aufnehmen kann." Genau das könne Kino erreichen: "einen Erfahrungsraum aufbauen."

Eine Szene des Kinofilms "Die Frau des Polizisten" (Foto: Labiennale.org / Philip-Gröning-Filmproduktion)
Traute Zweisamkeit nur am Anfang: "Die Frau des Polizisten"Bild: picture-alliance/dpa


Skepsis in Deutschland, Anerkennung im Ausland

Auch wenn Gröning Psychologie studiert hat, verweigert er in seinen Filmen doch jede herkömmliche psychologische Beschreibung seiner Protagonisten. Er zeigt das Geschehen vielmehr aus einer scheinbar distanzierten Perspektive. In Kombination mit formalen Experimenten stößt das so manchen Zuschauer vor den Kopf. Gerade in Deutschland haben viele Kritiker dem Regisseur das Prädikat "deutscher Kunstfilmer" verpasst - was eindeutig nicht positiv gemeint ist. Im Ausland sieht man das anders. Der "Spezialpreis der Jury" ist nicht die erste Auszeichnung, die Gröning erhält. Auch bei Festivals in den USA, Brasilien oder im schweizerischen Locarno wurde er mit Preisen geehrt.

Philip Grönings Filme erfordern vom Zuschauer Geduld. Sie sind meist lang, verzichten auf herkömmliche dramaturgische Muster und konfrontieren die Zuschauer mit Bildern aus der tristen Wirklichkeit. "Themen kommen zu einem, das kann man sich nicht aussuchen", sagt Gröning. Im aktuellen Fall habe er mit vielen Frauen gesprochen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das habe ihn sehr berührt: "Es gibt starke Abhängigkeiten, Schutzlosigkeiten - für die Männer und die Frauen gleichermaßen. Es gibt keine Gewaltbeziehung, in der nicht beide extrem abhängig und hilflos voneinander sind." Philip Grönings Kino ist eines, das Grenzen erkundet, formale wie inhaltliche. Auch das hat klassische Autorenfilmer immer ausgezeichnet.

Alexandra Finder und David Zimmerschied als Familie in einer Szene des Films "Die Frau des Polizisten" (Foto Philip Gröning Filmproduktion)
Hinter der Fassade lauert die Gewalt: "Die Frau des Polizisten"Bild: picture-alliance/dpa