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Kindesmissbrauch

Kay-Alexander Scholz20. Februar 2013

Tausende Opfer von sexuellem Missbrauch erhoffen sich von der Politik endlich Hilfe. Doch die Hauptmaßnahmen versanden derzeit im politischen Kleinklein. Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen.

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Junge hält sich die Ohren zu (Fotolia: #38274679); © Fotolia/pegbes
Symbolbild KindesmissbrauchBild: Fotolia/pegbes

Mehr als drei Jahre ist es nun her, dass die Fälle bekannt wurden. Kinder waren in Schulen und kirchlichen Einrichtungen sexuell missbraucht worden, es war eine Welle von Bekanntmachungen, die Deutschland erschütterte. Die Bundesregierung handelte damals schnell und konnte damit ein auch international beachtetes Zeichen setzen. Die SPD-Politikern Christine Bergmann wurde Beauftragte zur Aufklärung der Fälle, sie durfte partei- und ministerienunabhängig agieren.

Mit großer Energie baute Bergmann eine Infrastruktur auf, um das Ausmaß der Missbrauchsfälle zu erfassen. Ihre viel genutzte Anlaufstelle für Opfer wurde zu einer traurigen Erfolgsgeschichte. Viele Fälle lagen schon Jahrzehnte zurück, tausende Opfer brachen nun ihr Schweigen und meldeten sich zu Wort. Bergmann schaffte es, das Thema in Deutschland aus der Tabuzone zu holen. Sie beendete ihre Arbeit im Oktober 2011 nach 19 Monaten. Damals sagte sie, dass sie manchmal fast unter der Last der Einzelschicksale zusammengebrochen sei. Später wurde ihr ehemaliger Büroleiter und Mitarbeiter des Bundesfamilienministeriums, Johannes-Wilhelm Rörig, zu ihrem Nachfolger ernannt.

Christine Bergmann (Foto: dpa)
Christine Bergmann: bis Oktober 2011 Beauftragte zur Aufarbeitung des KindesmissbrauchsBild: picture alliance/dpa

Parallel wurde ein "Runder Tisch" eingerichtet, an dem neben Opferverbänden auch Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche, in deren Einrichtungen viele der Missbrauchsfälle stattgefunden hatten, Platz nahmen. Die Besetzung des Tisches mit gleich drei Bundesministerinnen fand damals große Anerkennung. Platz nahmen die Bundesministerin für Jugend und Familie, die Bildungs- und Forschungsministerin sowie die Bundesjustizministerin. Der Runde Tisch beendete seine Arbeit im November 2011 mit einem Abschlussbericht und dem Versprechen, konkrete politische Maßnahmen umzusetzen. Nach einem Jahr sollte Bilanz gezogen werden.

Keine politischen Durchbrüche

Mit dreimonatiger Verspätung war das jetzt der Fall. Durchschlagende Erfolge jedoch konnte die Politik nicht vermelden. Ein Hauptstreitpunkt ist derzeit die Finanzierung eines Fonds für Betroffene, der Therapien ermöglichen soll. Am Runden Tisch vereinbart war, dass dieser Fonds in Höhe von 100 Millionen Euro zur Hälfte vom Bund und von den Ländern finanziert wird. "Gerne hätte ich ihnen heute die Mittelzusage verkündet", sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder am Mittwoch (20.02.2013) vor der Presse in Berlin. Doch leider werde die Finanzierung noch von den Bundesländern blockiert. Einzig Bayern habe bisher zugesagt, so Schröder. Das Bundeskabinett werde seinen Anteil ebenfalls zur Verfügung stellen. Sollten die Länder bei ihrer Blockade bleiben, wolle die Bundesregierung notfalls den Fonds auch alleine mit Bayern starten. Auf die Frage, warum der Bund dies nicht schon lange getan habe, entgegnete Schröder, die Bundesländer hätten sich schließlich zur Mitfinanzierung verpflichtet. Außerdem hätten viele der Missbrauchsfälle an Einrichtungen stattgefunden, für die die Länder zuständig sind.

Keine runde Bilanz

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sagte dazu in einem Medieninterview, sie wisse, dass der Fonds auch deshalb nicht vorankomme, "weil es in vielen Bereichen kein Konzept gibt".

Ein weiterer Streitpunkt ist eine verbesserte Gesetzeslage. Zwar gibt es ein Opferschutzgesetz, doch dieses wird seit nunmehr 20 Monaten in Ausschüssen beraten. Vorgesehen ist darin unter anderem eine Verlängerung der Verjährungsfristen auf 30 Jahre. "Ich bin zuversichtlich, dass das Gesetz in den nächsten Wochen verabschiedet wird", versuchte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Zuversicht zu verbreiten. Derzeit sei ein Passus im Justizausschuss des Bundestages in der Diskussion, wonach die Verjährungsfrist generell erst beginnen soll, wenn das Opfer das 21. Lebensjahr vollendet hat.

Die Ministerinnen gaben aber ihrer Hoffnung Ausdruck, dass beide Maßnahmen, der Hilfsfonds und das Opferschutzgesetz, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.

Gründlich, aber auch effektiv?

Trotz der bisher fehlenden politischen Durchbrüche ist in der Zwischenzeit in Deutschland politisch einiges passiert, um das Thema Kindesmissbrauch zu bearbeiten. Vor allem Ministerin Schröder hat mit Initiativen zur Aufklärung, Forschung und Hilfe versucht, die Prävention zu stärken. Im März startet sie als neuestes Projekt ein bundesweites Theaterprojekt, mit dem Kinder gestärkt und darüber aufgeklärt werden sollen, was Recht und Unrecht ist. Auch trat Anfang 2012 ein Kinderschutzgesetz in Kraft, das den Schwerpunkt auf den präventiven und intervenierenden Kinderschutz legt. Das Bundesjustizministerium brachte neue Richtlinien für die Arbeit der Staatsanwälte und Richter auf den Weg; doch Richtlinien sind nur unterschwellige Gesetze und haben damit auch entsprechend weniger Durchschlagskraft. Das Bundesbildungsministerium fördert wissenschaftliche Forschungen, unterstützt Studien und Projekte und versucht, das Thema zu institutionalisieren.

Es verwundert nicht, wenn viele Opferverbände derzeit mit der Arbeit der Bundesregierung wenig zufrieden sind. Viel Energie wurde bisher in öffentlichkeitswirksame Initiativen zur Prävention und in die Forschung gesteckt. Wie erfolgreich diese Maßnahmen bisher waren, lässt sich noch schwer sagen. Jährlich werden bis zu 14.000 Missbrauchsfälle kriminalpolizeilich erfasst; die Dunkelziffer soll wesentlich höher liegen. Trotz der vielen Maßnahmen der Bundesregierung lag im Jahr 2011 die Anzahl der gemeldeten Missbrauchsfälle im Durchschnitt. Für das Jahr 2012 könne sie noch keine Zahlen vermelden, sagte die Bundesjustizministerin.

Johannes-Wilhelm Rörig (Foto: dpa)
Der derzeitige Beauftragte der Bundesregierung: Johannes-Wilhelm RörigBild: picture-alliance/dpa