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Kernkompetenz

30. März 2009

Einmal unternahm ich ein Jargon-Experiment: Ich ging in den Bäckerladen meines Vertrauens und fragte den Bäcker ohne große Vorrede, was denn eigentlich seine Kernkompetenz sei.

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Porträt Burkhard Spinnen (Foto privat)
Der Schriftsteller Burkhard SpinnenBild: privat

Doch der Mann kannte das Wort nicht. Ich musste es ihm erklären. Darauf sagte er, seine Kernkompetenz sei dann wohl das Backen.

Die Klötzchen-Krise

Der Grund für meinen Selbstversuch waren Klötzchen in der Krise. Die Firma Lego hatte gerade einen verheerend schlechten Geschäftsgang eingestehen müssen. Es deutete sich eine Entlassung des Vorstands an. Ich selbst hatte in den letzten Jahren verfolgt, wie Lego sein Image ruinierte, und das, obwohl man doch einmal so etwas wie das Steinchen der Weisen erfunden hatte. Statt nämlich seine klötzchenförmige Welt zu pflegen, hatte Lego versucht, alles und jedes und schließlich auch die am wenigsten rechtwinkligen Gegenstände seiner Produktwelt einzuverleiben. Wahrscheinlich getrieben von der Angst, die dreidimensionale Lego-Welt werde von den virtuellen Konkurrenten im PC bedroht, mussten schließlich auch Zugpferde wie Harry Potter oder Fußball ihre „Legoisierung“ ertragen.

Doch die Kunden ertrugen das nicht. Weltweit verließ eines von vier Kindern die Lego-Welt, darunter meine Söhne. Und was wollte man jetzt tun? Nun, laut der Pressemeldungen wollte man sich bei Lego wieder stärker auf die Kernkompetenz des Unternehmens besinnen.

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Moderne Kernkompetenz

Besser als an diesem Beispiel kann man kaum erfahren, wozu es führt, wenn man die eigene Kernkompetenz vergisst. Aber darüber hinaus hat mir mein Bäcker-Experiment bewiesen, dass schon das Reden von der Kernkompetenz ein sicheres Zeichen dafür ist, dass man in der Krise steckt. Knapp und kantig gesagt: Wer über seine Kernkompetenz nachdenkt, dem ist sie schon abhanden gekommen! Und wer sie noch besitzt, der kennt, wie mein Bäcker, nicht einmal das Wort.

Kernkompetenz ist nämlich bloß ein anderes Wort für das Selbstverständliche. Die Lego-Steine waren einmal so selbstverständlich wie das Brot. Das Selbstverständliche als solches zu bewahren ist nun eine zarte und stille Kunst. Moderne Konzernführungen aber sind alles andere als still und zart. Unter gewaltigem Erfolgsdruck wollen sie dauernd alles neu erfinden: ein Firmenprofil, eine Kinderwelt, das Klötzchen. Nichts Selbstverständliches hat vor ihnen Bestand. Es siecht dahin, und auf seinem Grabstein steht dann nur ein Wort: Kernkompetenz.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Gerade ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Petra Lambeck