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Insektensterben: Bestäuben sich Blumen künftig selber?

25. Dezember 2023

Evolution in Echtzeit: Weil Insekten fehlen, produzieren französische Wildstiefmütterchen kleinere Blüten und weniger Nektar als vor 20 Jahren. Die Pflanzen passen sich der Umwelt an und bestäuben sich selber.

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Wildes Stiefmütterchen
Französische Wildstiefmütterchen produzieren kleinere Blüten und weniger Nektar als vor 20 bis 30 JahrenBild: Eder Christa/Zoonar/picture alliance

Über Millionen von Jahren hat sich in der Pflanzenwelt eine sehr effektive Symbiose, ein sogenannter Mutualismus, entwickelt: Bestimmte Pflanzen produzieren Nektar für Insekten und im Gegenzug transportieren Insekten die Pollen zwischen den Pflanzen hin und her und bestäuben sie so.

Da es aber immer weniger Insekten gibt, haben französische Wildstiefmütterchen laut einer neuen Studie inzwischen die Insekten "aufgegeben" und sich Richtung Selbstbestäubung entwickelt. Entsprechend produzieren sie jetzt kleinere Blüten und weniger Nektar als vor 20 bis 30 Jahren.

Wie untersucht man die Evolution in Echtzeit?

Für die Studie nutzen die Forschenden die sogenannte "Auferstehungsökologie". Dafür wurden Samen von vier verschiedenen Arten von Ackerstiefmütterchen (Viola arvensis) gepflanzt, die in den 1990er und 2000er Jahren zu Forschungszwecken gesammelt worden waren.

Der Vergleich belegte frühere Untersuchungen, wonach der Anteil der Feldstiefmütterchen, die auf Selbstbestäubung angewiesen sind, in den letzten 20 Jahren um 25 % gestiegen ist.

Eine Hummel beim Landeanflug
Die Fremdbestäubung durch Insekten bringt genetisch vielfältigere Nachkommen hervor.Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Vor allem verwunderte die Forschenden, wie schnell diese Anpassungsprozesse ablaufen. "Wir waren überrascht, dass sich diese Pflanzen so schnell entwickeln", erklärt Hauptautor Samson Acoca-Pidolle, Doktorand an der Universität Montpellier.

Der Rückgang der Artenvielfalt bleibt dramatisch. Eine Selbstbestäubung der Pflanzen könne zwar kurzfristig funktionieren, so Pierre-Olivier Cheptou, einer der Autoren der Studie und Forscher am französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung, "Aber ihre Fähigkeit, sich an zukünftige Umweltveränderungen anzupassen, ist durchaus begrenzt." Denn ohne Insekten nimmt die genetische Vielfalt und die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge ab.

Wie entscheidet die Pflanze die Fortpflanzungsart? 

In der Botanik wird die Umstellung von Fremdbestäubung auf Selbstbestäubung als "Autogamie" bezeichnet. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana).

Aber auch bei einigen landwirtschaftlich wichtigen Pflanzen, etwa beispielsweise Getreidearten oder Hülsenfrüchte wie Weizen (Triticum aestivum), Gerste (Hordeum vulgare) und Reis (Oryza sativa), zeigen sich Anpassungen in Richtung Selbstbestäubung.

Über die Evolution haben sich verschiedene Pflanzen an ihre Umgebung angepasst. Natürlich ist die Entscheidung, ob eine Pflanze sich selber bestäubt oder auf Fremdbestäubung setzt, keine bewusste Wahl der Pflanze. Es ist vielmehr das Ergebnis einer Kombination von genetischen Anpassungen, Umweltbedingungen und evolutionärem Druck im Laufe der Zeit.

Wenn eine Pflanze in einer Umgebung lebt, in der die Fremdbestäubung schwierig ist oder unzuverlässig erscheint, zum Beispiel auf  abgelegenen Inseln oder in extremen Umgebungen, dann kann dort eine Selbstbestäubung vorteilhafter sein. Die Pflanzen passen sich über die Zeit entsprechend genetisch an die Selbstbestäubung an, um ihre Fortpflanzung sicherzustellen.

Auch der Selektionsdruck spielt eine wichtige Rolle: Wenn Fremdbestäubung vorteilhafter ist, beispielsweise für die genetische Vielfalt oder um sich an bestimmte Begebenheiten anzupassen, könnten sich Pflanzen im Laufe der Zeit auch stärker auf Fremdbestäubung einstellen.

Ein riesiges Weizenfeld wird abgeerntet
Kein Raum für Insekten: Auch bei Weizen, Gerste und Reis zeigen sich Anpassungen in Richtung SelbstbestäubungBild: Autentic Distribution GmbH

Welche Arten von Selbstbestäubung gibt es?

Bei der Selbstbefruchtung verfügen die Pflanzen über Blüten, die sowohl männliche als auch weibliche Fortpflanzungsorgane enthalten und sich wechselseitig bestäuben.

Manche Pflanzen ermöglichen dies durch Bewegung der Blüte, sie können zum Beispiel die Blüten gezielt schließen, um die Pollen auf die weiblichen Teile zu übertragen.

Viele Pflanzen sichern auch durch äußere Faktoren ihren Erhalt, dabei werden die Pollen etwa durch den Wind oder durch Wasser von einer Blüte zur anderen getragen.

Und es gibt auch Pflanzen, die klebrige oder schwere Pollen produzieren, die weniger leicht von den Blüten weggetragen werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Pollen auf die weiblichen Teile derselben oder benachbarter Blüten fällt.

Welche Bestäubungsart ist besser?

Insgesamt bevorzugen die meisten Pflanzenarten die Fremdbestäubung durch Insekten, da sie genetisch vielfältigere Nachkommen hervorbringt. Diese Vielfalt durch die Kreuzbestäubung ermöglicht es den Pflanzen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge zu sein.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund