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PolitikZypern

Imagine - Jugendprojekt für Frieden und Versöhnung in Zypern

23. Februar 2024

Vor acht Jahren startete auf Zypern ein Bildungsprojekt, das griechisch-zyprische und türkisch-zyprische Jugendliche zusammenbringt. Trotz vieler Hindernisse funktioniert es weiterhin - auch dank deutscher Unterstützung.

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Eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier
Schülerinnen, Schüler und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Projektes Imagine mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 12.02.2024 in NikosiaBild: House of Cooperation, Association for Historical Dialogue and Research AHDR

"Imagine" ist der Titel des vielleicht bekanntesten Liedes von John Lennon - ein Lied, das für Frieden und für die Versöhnung der Völker steht. "Stell dir vor, alle Menschen leben in Frieden. Vielleicht meinst du, ich sei ein Träumer, aber ich bin nicht der einzige", heißt es darin. Imagine - so nennt sich auch ein Bildungsprogramm für Jugendliche auf Zypern. Es ist ein Programm im Geiste von Lennons Lied, das auf der geteilten Mittelmeerinsel mit seiner schmerzlichen Geschichte für Frieden, gegenseitigen Respekt und ein gutes künftiges Zusammenleben wirken will.

Imagine begann vor fast acht Jahren, als der damalige Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiadis, und der türkisch-zyprische Führer Mustafa Akinci aus dem besetzten Nordteil der Insel noch versuchten, Vertrauen zwischen den beiden Seiten aufzubauen - unabhängig von der Frage, wie die späteren Zypern-Verhandlungen ausgehen würden. Im Umfeld der Gespräche war die Idee zu dem Projekt entstanden.

Loizos Loukaidis, Pädagoge und Koordinator des Programms Imagine der Association for Historical Dialogue and Research (AHDR), erinnert sich im Gespräch mit der DW: "In der Anfangsphase des Programms haben wir damit begonnen, Schulen auf beiden Seiten zu besuchen. Lehrer und Klassen auf beiden Seiten, die an dem Programm teilnehmen wollten, konnten es tun. Wir standen mit den Bildungsbehörden auf beiden Seiten in Kontakt."

Ein Mann (Kyriakos Pachoulides) und eine Frau (Hale Silifkeli) halten Hefte in der Hand und lächeln
Der Pädagoge und Sozialpsychologe Kyriakos Pachoulides und die Lehrerin Hale Silifkeli arbeiten im Projekt Imagine mitBild: Dimitra Kyranoudi/DW

Zwei andere Teilnehmer des Programms, die türkisch-zyprische Lehrerin Hale Silifkeli und der griechisch-zyprische Pädagoge und Sozialpsychologe Kyriakos Pachoulidis, erzählen, dass Lehrer und Eltern, die am Anfang skeptisch gewesen seien, ihre Meinung geändert hätten, als das Programm umgesetzt wurde: "Die Kinder sprachen in der Schule und Zuhause darüber", sagen die beiden, das habe die skeptischen Erwachsenen überzeugt.

Türkisch-zyprische Seite stoppte das Programm

Die pädagogische Struktur des Programms war tatsächlich sehr innovativ und basierte auf drei Stufen. Zunächst beteiligten sich die Kinder an antirassistischen Aktionen in der eigene Schule und in ihrer Muttersprache. In der zweiten Phase kamen sie während des Schulprogramms in das so genannte "Haus der Zusammenarbeit" (House of Cooperation) mitten an der Grünen Linie in Nikosia, die den türkisch besetzten Nordteil von der Republik Zypern trennt. Sie nahmen dort an Lern-, Sport- und Kunst-Aktivitäten mit Kindern aus der anderen Gemeinschaft teil. Ziel war, Verständnis und Respekt aufzubauen. Dritte Etappe war ein gemeinsamer "Bildungsspaziergang" auf beiden Seiten der Grünen Linie und in beiden Teilen Nikosias, ohne Vorlage eines Reisepasses oder anderer Dokumente. Insgesamt nahmen 6500 Schüler bis zum Alter von 18 Jahren an dem Programm teil. Unter ihnen waren 500, die bis zur dritten Stufe mitmachten.

Eiserne Zaunsperren vor Wachhäusern
Grenzübergang in Nikosia zum türkisch besetzten Norden der Republik ZypernBild: Etienne Torbey/AFP/Getty Images

Im Oktober 2022 entschied die türkisch-zyprischen Seite, Imagine an ihren Schulen einzustellen. "Als NGO wurde uns nicht offiziell mitgeteilt, warum. Offensichtlich es geht um politische Gründe", sagt der Programm-Koordinator Loizos Loukaidis. Er betont, dass Bildung vor allem ein politisches Thema sei, insbesondere Bildung für den Frieden. "Als NGO sind wir bereit, mit beiden Seiten zusammenzuarbeiten, um Kindern und Lehrern Bildungsmöglichkeiten zu bieten."

"Wir machen keine Politik"

Bis heute ist unklar, ob die plötzliche Wende auf der türkisch-zyprischen Seite auf politische Gründe zurückzuführen ist. Die Verantwortlichen des Programms wollen sich dazu nicht äußern. Sie betonen, dass sie Pädagogen seien, die mit Kindern arbeiteten und keine Politik machten. 

Menschen sitzen an einem langen Tisch mit Kaffee und Kuchen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte das Projekt Imagine in Nikosia, Zypern, am 12.02.2024Bild: House of Cooperation, Association for Historical Dialogue and Research AHDR

Imagine wird seit dem Ende der türkisch-zyprischen Kooperation in anderer Form weitergeführt - ehrenamtlich und außerhalb der Schulzeit im Haus der Zusammenarbeit. Dabei bietet es Kindern beider Gemeinschaften weiterhin künstlerische, sportliche, aber auch antirassistische Aktivitäten. "Ziel ist die Förderung des Friedens, der Geschlechtergleichstellung und die Bekämpfung von Stereotypen", sagt Hale Silifkeli. "Wir sprechen aber nicht über die Zypernfrage. Wir möchten es einfach fördern, Dinge und Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten."

Für Kyriakos Pachoulides ist dies ein komplexes und schwieriges Unterfangen, aber gleichzeitig äußerst wichtig. "Natürlich gibt es in Zypern zwei verschiedene Bildungssysteme", meint er. "Aber das von uns angebotene Lehrmaterial kann in jedem Klassenzimmer auf der Insel verwendet werden. Wir respektieren, dass dies in beiden Gemeinschaften heikel ist. Deshalb diskutieren wird darüber, Begriffe zu vermeiden, die provozieren könnten. Wir versuchen, eine gemeinsame Basis zu finden, eine gemeinsame Sprache, wir vermeiden Etiketten, wir verwenden den Begriff 'Gemeinschaften' gemäß der Verfassung Zyperns."

Nächste Station: Berlin

Finanziert wurde das Imagine-Programm von Beginn an ausschließlich vom deutschen Auswärtigen Amt. "Die Finanzierung durch Deutschland ist nicht nur auf symbolischer Ebene wichtig, weil die Deutschen die Teilung überstanden haben", sagt Loukaidis, "sondern auch, weil Deutschland seine Strategie, die Beziehungen zum südöstlichen Mittelmeerraum zu stärken, deutlich unter Beweis stellt."

Menschen vor Fotografien
Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 12.02.2024 beim Projekt Imagine in NikosiaBild: House of Cooperation, Association for Historical Dialogue and Research AHDR

Auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte kürzlich das Haus der Zusammenarbeit an der Grünen Linie - als er vergangene Woche (11.02.-13.02.2024) zu einem Staatsbesuch in Zypern war. Steinmeier traf sich mit Kindern, die Mitglieder eines Chores beider Gemeinschaften auf Zypern sind, und sprach außerdem mit Lehrern.

Wie Hale Silifkeli berichtet, wird im Sommer 2024 eine Gruppe Jugendlicher nach Berlin reisen, um deutsche Schülerinnen und Schüler zu treffen und mit ihnen gemeinsam die Geschichte der einst geteilten deutschen Hauptstadt zu entdecken. Die Vorbereitung dazu begann bereits vergangenes Jahr, als griechisch-zyprische und türkisch-zyprische Lehrer zusammenkamen, um ihre Kollegen zu treffen, die sich ebenfalls für Friedenserziehung und für den Kampf gegen Stereotypen und Rassismus engagieren.

Porträt einer jungen Frau mit braunen Haaren, vor ihr ist ein Mikrofon mit der Aufschrift "DW" zu sehen
Dimitra Kyranoudi Autorin, Reporterin, Redakteurin DW Griechisch