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Heftige Diskussion über Sexismus

26. Januar 2013

Ein Magazin-Bericht über eine Begegnung einer Reporterin mit FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hat eine wilde Debatte über männlichen Sexismus ausgelöst. Nur der 67-Jährige schweigt.

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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Gestellte Szene (Foto: dpa)
ungBild: picture-alliance/dpa

In einem Bericht für das Magazin "Stern" schildert eine heute 29-jährige Journalistin eine Begegnung mit Rainer Brüderle Anfang 2012. Dabei habe der FDP-Politiker anzügliche Bemerkungen gemacht und ihr die Hand geküsst. Brüderle habe ihr auf den Busen geblickt und gesagt: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen".

Während der designierte FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im Herbst sich nicht äußert, hat die Debatte über den "Stern"-Bericht eine Dimension gewonnen, die weit über den konkreten Fall hinausreicht: Es geht inzwischen um sexistisches Verhalten in Politik, Beruf und Alltag allgemein. So schreiben sich im Internetdienst Twitter Frauen und Mädchen den Frust über blöde Anmache, Machogehabe und männliche Übergriffe von der Seele. Fernsehstar Günther Jauch hat kurzfristig das Thema seiner Talk-Show geändert. Unter dem Titel "Der Herrenwitz" wird es jetzt am Sonntag um Anzüglichkeiten und sexuelle Belästigung von Frauen gehen. Bis zum samstagnachmittag wurden 25.000 sogenannte Tweets unter dem Schlagwort Aufschrei eingestellt.

Das Bundesfamilienministerium begrüßte die durch den "Stern"-Bericht angestoßene Debatte über Sexismus am Arbeitsplatz. Es sei prinzipiell richtig, dass darüber "unabhängig von den aktuellen Anlässen als Dauerthema diskutiert" werde, sagte die Sprecherin von Ministerin Kristina Schröder, CDU. Sie verwies auf eine Studie aus dem Jahr 2004, die das Ministerium in Auftrag gegeben hatte. Danach gaben 58 Prozent der befragten Frauen an, mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein, davon 42 Prozent am Arbeitsplatz. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth geißelte einen alltäglichen Sexismus in der Gesellschaft. "Es ist unfassbar, wie viele Männer es gar nicht merken, wenn sie Diskriminierungen herunterspielen oder sogar meinen, sexistisches Verhalten sei schlicht ihr gutes Recht", sagte Roth zu "Spiegel Online".

FDP-Fraktionchef Rainer Brüderle (Foto:dapd)
In der Kritik: FDP-Fraktionchef Rainer BrüderleBild: dapd

"Regierung nicht betroffen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über ihren Sprecher Steffen Seibert mitteilen: "Die Bundeskanzlerin steht selbstverständlich für einen menschlich professionellen und respektvollen Umgang in der Politik wie auch zwischen Politikern und Medienvertretern." Zu dem Artikel im "Stern" wollte sich Seibert nicht äußern. Der Bericht betreffe "in keiner Weise die Arbeit der Bundesregierung".

Führende FDP-Politiker wie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierten die Hamburger Illustrierte. "Der Zeitpunkt der Veröffentlichung lässt nur einen Schluss zu: Dem "Stern" geht es nur um seine Auflage. Wer online mit der Zeile titelt "Der spitze Kandidat", der bedient sich einer sexistischen Sprache, die unterirdisch ist", sagte sie "Spiegel Online".

FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki warf dem "Stern" vor, einen Hoffnungsträger der FDP mutwillig beschädigen zu wollen. Der schleswig-holsteinische Fraktionschef zog seine Konsequenzen: Er werde künftig keine Journalistinnen mehr als Wahlkampfbegleitung in seinem Fahrzeug mitnehmen, sagte er der "Bild am Sonntag", Außerdem wolle er künftig Gespräche an der Hotelbar vermeiden, wenn Journalistinnen beteiligt seien. Denn dabei rutsche einem natürlich schon mal eine lockere und nicht gelungene Bemerkung heraus. "Jetzt muss ich damit rechnen, dass das gegen mich verwendet wird".

Attacken auf FDP-Politiker

Die Ikone des deutschen Feminismus, Alice Schwarzer, schrieb in ihrem Blog, Brüderle sei "kein Politiker mit Zukunft mehr, sondern ein Mann von gestern" ... "Das beklagte sexistische Verhalten disqualifiziert endlich auch den Mann." Eine Breitseite auf den FDP-Mann feuerte schließlich Hans-Michael Klein ab, der Präsident der weithin unbekannten Deutschen Knigge Gesellschaft, die sich gutes Benehmen auf die Fahnen geschrieben hat. In den Zeitungen der WAZ-Gruppe nannte Klein das vom "Stern" beschriebene Verhalten Brüderles "plump, geil und ekelhaft" und stellt folgenden Grundsatz auf: "Anbaggern an sich ist legitim. Es kommt aber auf die richtige Form an."

wl/uh (dpa, afp, dapd)