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Genosse Ali ist sauer

Daniel Heinrich13. Dezember 2013

Die SPD-Führung hat mit allen Mitteln für ein "Ja" zum Koalitionsvertrag geworben. Aber aus der eigenen Partei kommt scharfe Kritik. SPD-Migrationspolitiker sind über die doppelte Staatsangehörigkeit enttäuscht.

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Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, hält einen deutschen und einen türkischen Pass in der Hand (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Für mich ist der Koalitionsvertrag eine große Niederlage für die Sozialdemokratie." Ali Dogan macht keinen Hehl aus seinen Gefühlen. Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Migration und Integration fühlt sich von seiner Parteiführung über den Tisch gezogen: "Noch auf dem Parteitag Mitte November lautete eine der Kernforderungen des Parteivorsitzenden: 'Ohne eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft wird es keine Unterschrift unter den Koalitionsvertrag geben'", so Ali Dogan im DW-Gespräch. Diese Forderung sei dann in einer Nacht- und Nebelaktion einfach verschwunden.

Ende November hatten die Spitzen aus SPD und Union den Koalitionsvertrag vorgestellt. Einer der umstrittensten Punkte war die doppelte Staatsangehörigkeit. Bisher sah das Gesetz in diesem Punkt vor, dass sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bis zum 23. Geburtstag für die deutsche Staatsangehörigkeit oder für die Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden mussten. Wer diesen Stichtag verpasste, dem drohte die automatische Ausbürgerung.

Dieser "Optionszwang" fällt jetzt weg. Der im Koalitionsvertrag festgehaltene Kompromiss zwischen SPD und Union sieht vor, dass Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren sind, einen deutschen Pass und einen Pass aus dem Land ihrer Eltern bekommen können. Für im Ausland Geborene gilt diese Regelung allerdings nicht. Letzteres betrifft vor allem die rund fünf Millionen Menschen, die in den 50er und 60er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind.

"SPD hat Glaubwürdigkeit verloren"

Das Urteil fällt dementsprechend aus: "Der Koalitionsvertrag ist in puncto Migrations- und Integrationspolitik aus Sicht der türkischen Community in Deutschland ein absoluter Fehlgriff", sagt Ali Dogan. Dies sei vor allem deswegen bemerkenswert, da es sich um eine sehr unterschiedliche Gruppe handelt, die sich sonst in vielen Punkten nicht einig sei. Der SPD-Politiker sieht durch die Verhandlungsergebnisse auch langfristig Probleme auf seine Partei zukommen: "Ich glaube die SPD hat massiv an Glaubwürdigkeit bei türkeistämmigen Migranten verloren." Es möge für andere nicht so wichtig sein, aber für diese Menschen erwachse durch das Optionsmodell ein Identitätsproblem, sagt Dogan. Wenn das jetzt wieder nicht verwirklicht werden würde, würde es schwierig werden, das bei den Wählern wieder gutzumachen.

Ali Dogan, stellvertretender Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Migration und Integration (Foto: privat)
Ali Dogan sieht einen Glaubwürdigkeitsverlust der SPDBild: Privat

Ali Dogans Parteifreund Aziz Bozkurt schließt sich der Kritik an: "Die erste und zweite Generation der Migranten haben diesem Land sehr viel positives gebracht. Sie haben das Land mit aufgebaut", sagt er gegenüber der Deutschen Welle. Nun habe man eine große Chance verpasst: "Diesen Menschen als symbolische Anerkennung zuzugestehen, du darfst Deutscher werden, das haben wir leider nicht durchgesetzt", so der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt aus Berlin.

Bei der Bezirksbürgermeisterwahl ausgeschlossen

Die ausgehandelte Optionsregelung hat jedoch nicht nur symbolische Konsequenzen. Im Alltag macht sie sich unter anderem beim kommunalen Wahlrecht bemerkbar. Da türkische Staatsangehörige oder andere Bürger aus Drittstaaten nicht Angehörige eines Landes der Europäischen Union sind, dürfen sie bei Kommunalwahlen nicht wählen - im Gegensatz zu ihren griechischen oder italienischen Nachbarn. Das hat zur Folge, dass Bezirksbürgermeister aus Stadtteilen wie Duisburg-Marxloh, Berlin-Neukölln oder Köln-Chorweiler, in denen Ausländer teilweise die Hälfte der Bevölkerung stellen, nur von einer Minderheit der dort lebenden Menschen gewählt werden können. Wirkliche Bürgerbeteiligung sieht wohl anders aus.

Aziz Bozkurt, Landesvorsitzender Berlin der Arbeitsgemeinschaft für Migration und Integration (Foto: privat)
Bozkurt: "Uns drohen vier verlorene Jahre"Bild: Privat

Aziz Bozkurt meint daher: "In seiner Summe bedeutet der Koalitionsvertrag, dass wir vier verlorene Jahre vor uns haben." Und er sieht noch eine ganz andere Gefahr für die SPD: "Die Opposition aus Linkspartei und Grünen werden jetzt unsere ursprünglichen Forderungen übernehmen." Am Ende müsse dann aber womöglich die SPD wegen des Koalitionszwanges gegen einen Gesetzentwurf der Linken oder der Grünen im Bundestag stimmen, der ursprünglich auf Forderungen der SPD beruht. Da würde die Partei dann erst Recht ein massives Glaubwürdigkeitsproblem beim Wähler bekommen, so Bozkurt.

Die SPD sollte Ausländer nicht vergraulen

Bürger mit Migrationshintergrund sind eine wichtige Wählergruppe in Deutschland. Über vier Millionen von ihnen haben bei der letzten Bundestagswahl abgestimmt und rund die Hälfte von ihnen hat ihr Kreuz bei der SPD gemacht. Somit hat ungefähr jeder fünfte SPD-Wähler einen Migrationshintergrund.

Die Enttäuschung sei den Leuten anzumerken, sagt Ali Dogan. Er wirft der Parteiführung vor, zu kurzsichtig gehandelt zu haben und es sich nun zu leicht zu machen. "Die Parteiführung muss mit den Leuten ja auch nicht von Angesicht zu Angesicht reden", so Ali Dogan: "Wir sind diejenigen, die es jetzt abbekommen, wenn wir von Haus zu Haus gehen und wir werden teilweise nur noch ausgelacht."