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Gefangen in der Schuldenfalle

13. November 2018

Fast sieben Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet, 19.000 Menschen mehr als im Vorjahr - so die aktuellen Zahlen der Studie Schuldneratlas. Wie kann das sein in einem der reichsten Länder der Welt?

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Symbolbild Zahlungsmoral Schulden
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

"Kommen Sie zu uns, wenn Sie überschuldet sind und keinen Ausweg sehen. Wenn Ihre Schulden wachsen, obwohl Sie sich bemühen, sie zu verringern. Oder Sie nicht wissen, wie Sie die Kreditraten bezahlen sollen." Wer sich in Bonn eingesteht, dass er allein aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommt, landet höchstwahrscheinlich bei der Zentralen Schuldnerberatung. Und bei ihrem Leiter Henning Dimpker, der seit vier Jahren dort arbeitet und auf den Punkt bringt, warum immer mehr Menschen Rat bei ihm suchen. "Früher gab es meist nur einen Überschuldungsgrund, zum Beispiel den Kauf einer Immobilie. Heutzutage sind es meist zwei Gründe oder sogar drei."

Bei den Schuldnerberatern spricht man auch von den sogenannten "Big Six" der Ursachen für eine Überschuldung, der Kauf einer Immobilie gehört aktuell gar nicht mehr dazu. "Hauptgründe sind heute Arbeitslosigkeit und ein dauerhaftes niedriges Einkommen. Der Niedriglohnsektor ist einfach in den letzten zehn, 15 Jahren deutlich größer geworden", erklärt der Diplom-Sozialarbeiter. Außerdem kommen Menschen zu Dimpker, die schwer erkrankt sind, sich haben scheiden lassen oder schlichtweg über ihre Verhältnisse gelebt haben. "Und dann gibt es noch die gescheiterten Selbständigen. Das sind meist junge Einzelkämpfer, die auch keine Angestellten hatten."

Henning Dimpker, Diplom-Sozialarbeiter und Schuldnerberater in Bonn
Schuldnerberater Henning DimpkerBild: privat

Lange Zeit kamen vor allem junge Erwachsene zu Dimpker, doch deren Anteil gehe zurück. "Jetzt sind es vor allem ältere Menschen ab 50. Und dabei zunehmend auch Leute ab 60 aufwärts", erklärt der Schuldnerberater. Der Begriff Altersarmut komme nicht von ungefähr. Der klassische Fall: "Leute, die arbeiten, aber gleichzeitig Sozialleistungen beziehen. Die also durchaus einen Job haben, der jedoch nicht ausreicht, um die Familie mit Kindern zu ernähren." Laut Dimpker würden sich die Menschen in der Regel in einer Krisensituation überschulden: ein Einkommen, das wegfällt, eine Trennung oder auch eine plötzliche Erkrankung.

Professionelle Hilfe wird zu spät eingefordert

Bis die Menschen dann jedoch den Weg zur Schuldnerberatung finden, ist es meist schon zu spät. Viele seien schon jahrelang überschuldet und hätten gelernt, mit ihren Schulden zu leben, so Dimpkers Erfahrung. "Die sind dann erst bei uns, wenn das Konto gepfändet ist und sie gar nicht mehr an ihr Geld kommen." Im Anfangsstadium seien noch Ratenzahlungen und außergerichtliche Vergleiche möglich, bei einer massiven Verschuldung ginge es dagegen nur noch um die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens. "Je länger die Menschen verschuldet sind, desto geringer ist auch die Motivation, sich mit ihrer Problematik auseinanderzusetzen", erläutert Henning Dimpker.

Bremerhaven Segelerhafen und Columbus Center
Mehr als jeder Fünfte ist im Landkreis Bremerhaven überschuldet - laut Schuldneratlas Spitzenreiter in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/C. Koenig

Hinzu kommt ein spezifisch deutsches Phänomen: Man rede hierzulande nicht über Geld, über Verschuldung schon mal gar nicht. "In angelsächsischen Ländern ist die Frage 'Wieviel verdienst Du eigentlich?‘ ganz selbstverständlich. Hier ist das ein absolutes Tabuthema," glaubt der Sozialarbeiter. Deswegen würden auch oft Menschen, die sich verschuldet hätten, aus Scham schweigen. Und absolut unsinnige Dinge machen: "Damit die Nachbarn nichts merken, wird das Auto vor der Tür nicht verkauft. Und stattdessen die Miete nicht bezahlt. Und dann wird diesen Leuten fristlos gekündigt. Aber der Wagen steht noch da!"

Schuldenfalle wird zum Teufelskreis

Etwa ein Drittel der Schuldner kommt aus eigenem Antrieb zu Dimpker, ein Drittel, die von der Familie oder Freunden dazu gedrängt werden und dann noch ein Drittel, wo Jobcenter oder Sozialämter dringend dazu raten. Dann geht es in den ersten Gesprächen zunächst einmal um die Sicherung der aktuellen Lebenssituation. "Das Wichtigste ist immer, die Wohnung zu behalten. Wenn jemand obdachlos geworden ist, brauchen wir über Schulden gar nicht groß zu reden." Die nächsten Fragen auf Dimpkers Agenda: Wurde der Strom bezahlt? Und was ist mit der Krankenkasse? "Gerade bei Familien ist es von großer Bedeutung, dass sie in einer warmen Wohnung leben können. Und bei chronisch Kranken, dass nicht nur die Minimalversorgung der Kassen greift."

Deutschland Schuldenlast Privatleute Illustration
Überschuldung als männliches Problem: 4,23 Millionen Männer sind aktuell überschuldet und nur 2,7 Millionen FrauenBild: picture-alliance/dpa/P. Steffen

Und was kann die Politik tun, damit sich die Zahl der Schuldner in den nächsten Jahren wieder verringert? "Präventiv die Bevölkerungsgruppen ansprechen, die sich in Umbruchsituationen befinden. Und Schuldnerberatung besser vernetzen!" Soll heißen: Schuldnerberater mit Suchtberatern zusammen in einem Team arbeiten lassen. Henning Dimpkers nennt sein beliebtestes Beispiel: "Es macht einfach keinen Sinn, einen Glücksspielsüchtigen ohne Therapie zu entschulden, weil der innerhalb kürzester Zeit wieder neue Schulden hat."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur