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Dschihad-Propaganda

Matthias von Hein8. September 2014

Ideologisch stehen die terroristischen Islamisten des IS im Mittelalter. Aber für ihre Propaganda nutzen sie Instrumente des 21. Jahrhunderts. Ob soziale Netzwerke, Hip Hop oder Rap: Jugendkultur zieht.

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Soziale Netzwerke
Bild: imago/Schöning

Es ist nur scheinbar ein Widerspruch: Der Gegensatz zwischen einer extrem rückständigen Auslegung des Koran durch die terroristischen Islamisten des sogenannten Islamischen Staates und ihrer geschickten Nutzung moderner Kommunikationsinstrumente. Youtube, Twitter, Facebook, Instagram – auf allen denkbaren Plattformen im Internet verbreiten die Dschihadisten ihre Propaganda. Sie werben um neue Kämpfer, versuchen ihre Gegner einzuschüchtern und verbreiten ihren Anspruch, ein Kalifat entlang der Vorgaben des Koran geschaffen zu haben. Die IS-Propaganda richte sich dabei insbesondere an jüngere Personen, so staatliche deutsche Sicherheitsexperten gegenüber der DW. Die Terrorgruppe setze vor allem auf die Macht der Bilder. Theologische Argumente spielten eine eher untergeordnete Rolle. Computerspielästhetik und Elemente aus der Kultur von Hip-Hop und Rap würden genutzt, um IS als Marke und Lifestyle-Element zu etablieren. Dazu tragen auch deutsche Konvertiten bei wie etwa Denis Cuspert. Dem Berliner Verfassungsschutz zufolge gehört der deutsche Ex-Rapper mittlerweile zum erweiterten Führungskreis der Terrormiliz. Seine Aufritte in sozialen Netzwerken werden tausendfach geklickt.

Hochglanzmagazine für Kampf, Tod und Töten

Das Angebot ist aber breiter. Es umfasst auch elektronische Hochglanzmagazine in verschiedenen Sprachen – unter anderem auf deutsch. Da werden auf jeweils 50 Seiten Kampf, Tod und Töten in vermeintlich göttlichem Auftrag verherrlicht. Über Twitterfeeds lassen die Terrorkrieger ihre Anhänger in Echtzeit am Kampfgeschehen teilnehmen. Die Propaganda zeigt Wirkung. Das New Yorker Sicherheitsunternehmen Soufan-Group geht in einer Anfang Juni veröffentlichten Studie von insgesamt 12.000 Kämpfern aus 81 Ländern aus, die sich der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben. Darunter sollen 2500 Kämpfer aus westlichen Ländern sein, rund 400 aus Deutschland. Und genau das ist für den in London lehrenden Terrorismusforscher Peter Neumann ein zentrales Ziel der IS-Propaganda: Mehr Menschen aus dem Westen in das Gebiet zu holen, das die Terrorgruppe kontrolliert. Besonders begehrt sind dabei muslimische Ärzte, Ingenieure und Spezialisten mit militärischer Expertise oder Verwaltungskenntnissen. Sie werden dazu aufgerufen, ihre vermeintliche Pflicht als Muslim zu erfüllen. Ein weiteres Gebiet, auf dem die westlichen Anhänger wichtig sind, ist die Entwicklung und Produktion von Dschihad-Propaganda – Zielgruppen-gerecht zugeschnitten auf ein westliches Publikum.

Dschihad für die Zielgruppe

Die Propaganda des IS werde von jungen Leuten aus Europa und den USA hergestellt, bestätigt Jamie Bartlett von der englischen Denkfabrik Demos im DW-Gespräch: "Das sind Leute, für die es vollkommen natürlich ist, soziale Medien als Plattform für Information und Propaganda zu nutzen. Für die ist es ein Leichtes, eine Hashtag-Kampagne auf Twitter zu starten, um anschließend ihre Geschichten zum Beispiel auf buzzfeed oder Vice zu finden."
Um überhaupt die Flut an Dschihad-Tweets zu bewältigen, haben Bartlett und sein Team eigene Software entwickelt. Die sammelt und analysiert Tweets. Die Dimensionen sind enorm: Bartlett spricht von rund 1,5 Millionen Tweets in Zusammenhang mit IS allein im Zeitraum von zwei Wochen. Dabei verweist der Londoner Experte auf ein besonderes Merkmal sozialer Medien: Die seien bestens geeignet, eine Bewegung größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sei. Bartlett verweist auf rund 50.000 Twitter-Accounts, die eine Verbindung zum IS haben. Nur wisse man bei sozialen Medien eben nie, ob jeder Account für eine Person stehe, oder ob da vielleicht eine Person 500 Benutzerkonten unterhalte.

Dr. Peter Neumann
IS ist in der Szene "in"Bild: picture-alliance/AP Photo
Irak islamischer Staat Kämpfer Januar 2014
Terrorismusforscher Peter Neumann untersucht Dschihad-PropagadandaBild: Peter Neumann
Denis Cuspert
Versteht etwas von Jugendkultur: Ex-Rapper Denis Cuspert 2005Bild: picture-alliance/dpa

Risikofaktor Erfolg

Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Das bereitet auch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen Sorgen. Maaßen sieht einen Zusammenhang zwischen den Erfolgen, die der IS im Irak hatte und den Propagandaaktivitäten mit Blick auf junge Dschihadisten. "Der Islamische Staat ist in der Szene `in´. Was die Leute anspricht, ist die hohe Brutalität, ist die Radikalität, die Rigorosität. Und al-Kaida verblasst im Grunde genommen, was die Brutalität angeht, gegenüber dem islamischen Staat."

Zwar versuchen die großen Anbieter wie Youtube, Facebook und Twitter inzwischen, gegen islamistische Terrorpropaganda vorzugehen. Der Erfolg ist jedoch bescheiden. Für jedes geschlossene Konto werden mehrere neue eröffnet. Vor allem aber weichen die IS-Propagandisten vermehrt auf andere Plattformen aus: Auf dezentrale Netzwerke wie etwa Diaspora. Weil dort niemand weiß, wo genau die Daten lagern, ist es auch unmöglich, sie zu löschen