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Problemfall fragile Staaten

Sven Pöhle22. Juli 2013

Mali galt lange als afrikanisches Musterland - doch in kurzer Zeit entwickelte es sich zu einem fragilen Staat. Der Umgang mit diesen Ländern stellt die Bundesregierung vor große Probleme.

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Kinder durchsuchen zerstörte Häuser in Mali (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images

"Heute gilt Mali als Hoffnungsträger in Afrika", lobte Bundespräsident Johannes Rau im Dezember 2003, als er den damaligen malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré zu einem Staatsbankett im Schloss Bellevue in Berlin empfing.

Keine zehn Jahre später ist die Hoffnung verblasst: Anderthalb Jahre Krieg im Norden und ein Staatsstreich in der Hauptstadt Bamako haben tiefe Spuren im Land hinterlassen. Hunderttausende wurden aus ihren Heimatorten vertrieben. Bereits vor dem Krieg lebte nach Angaben der Weltbank mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes in extremer Armut und musste mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen. Hinzu kommen ein geringer Bildungsgrad der Bevölkerung, hohe Kindersterblichkeit und unzureichender Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Das westafrikanische Land zählt zu den fragilen Staaten. Der aktuelle Index fragiler Staaten der US-Denkfabrik Fund for Peace (FFP) nennt Mali als den Staat, dessen Lage sich im Vergleich zum Vorjahr am deutlichsten verschlechtert hat.

Mali (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Konfliktregion im Norden MalisBild: DW

Wann ist ein Staat fragil?

Eine einheitliche Definition für fragile Staaten gibt es nicht. Länder wie Mali, Somalia, Afghanistan oder die Elfenbeinküste werden allesamt als gescheitert oder fragil angesehen, obwohl sie mit unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Problemen kämpfen. Fragile Staaten schneiden aber allgemein beim Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele schlechter als stabile Staaten ab.

Eine Gemeinsamkeit fragiler Staaten sei, dass entscheidende Staatsstrukturen fehlen, sagt Wibke Hansen, stellvertretende Direktorin im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in Berlin: "Fragile Staaten sind oft nicht in der Lage, ihr Territorium zu kontrollieren, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten oder für ausreichende Wohlfahrtsleistungen zu sorgen."

Umgang mit fragilen Staaten

Mehr als die Hälfte der Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist fragil oder von Konflikten bedroht. Neben der Entwicklungshilfe ist die Sicherheitspolitik für die Zusammenarbeit mit diesen Staaten immer wichtiger geworden. Denn besonders Staaten, die große Teile ihres Territoriums nicht kontrollieren, können Terroristen oder kriminellen Organisationen leichter als Rückzugsgebiet dienen.

Einen Referenzrahmen für den Umgang mit fragilen Staaten sollen die im September 2012 gemeinsam vom Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium und dem Entwicklungsministerium vorgestellten "Leitlinien der Bundesregierung für eine kohärente Politik gegenüber fragilen Staaten" liefern. Diese sehen ein koordiniertes Handeln deutscher Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gegenüber fragilen Staaten vor. Primäres Ziel sei die Prävention gewaltsamer Konflikte, heißt es in dem Papier.

Den Zusammenbruch des malischen Staates konnte das deutsche Engagement im Land nicht verhindern. Nach einem Putsch im März 2012 hatte eine Allianz von Tuareg-Rebellen und islamistischen Gruppierungen den Norden Malis erobert und war nach Süden vorgerückt. Erst die militärische Intervention der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich stoppte das Vordringen der Rebellen aus dem Norden des Landes auf die Hauptstadt Bamako.

"Ich glaube kaum, dass man das Einfallen von Terroristengruppen in Mali der Bundesregierung anlasten kann", sagt Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) im DW-Interview. Mali habe zwar das gemacht, was sich Entwicklungspolitiker wünschen, indem es die vorhandenen Mittel in die Entwicklung der Menschen und nicht in das Militär investiert habe. "Man hätte neben dem Aufbau des Landes aber auch dem Aufbau der Sicherheitsstruktur Rechnung tragen müssen", so Niebel. Dies sei nun im ressortübergreifenden Ansatz der Bundesregierung ein wichtiges Instrument für den Wiederaufbau des Landes.

Langfristige Aufbauarbeit

Die deutschen Maßnahmen betonen zwar immer die Prävention von Konflikten, kritisiert der Politologe Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) den Umgang Deutschlands mit fragilen Staaten. "Immer wieder drehen sich alle Bemühungen von ressortübergreifendem Vorgehen um das Handeln nach dem Konflikt". Um dem Anspruch der Prävention besser gerecht zu werden, müsse man auch Politikfelder wie die deutsche Außenwirtschaftspolitik oder die Rohstoffpolitik mit in das Blickfeld einer kohärenten Strategie nehmen, so Grävingholt.

Die regierungsnahe Entwicklungszusammenarbeit in Mali, die nach dem Putsch 2012 ausgesetzt wurde, soll schrittweise wieder aufgenommen werden. Niebel kündigte kürzlich an, dass die Bundesregierung das Land mit weiteren 100 Millionen Euro unterstützen will. Wie bereits vor dem Putsch soll der Fokus der Zusammenarbeit auf den Bereichen Dezentralisierung und Förderung der Landwirtschaft liegen. Voraussetzung für das schrittweise Fließen der Gelder ist eine Rückkehr Malis zur verfassungsmäßigen Ordnung.

Malis Übergangspräsident Dioncounda Traore begrüßt Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel in Bamako (Foto: AFP/Getty Images)
Bundesminister Niebel bei einem Besuch in BamakoBild: Habibou Kouyate/AFP/Getty Images

In Mali liefert die Bundesregierung logistische Unterstützung für die Blauhelm-Mission MINUSMA. Zudem beteiligt sich Deutschland im Rahmen der EU-Mission EUTM an der Ausbildung malischer Soldaten und Polizisten. Ziel des deutschen Engagements in Mali ist es, dabei zu helfen, die Stabilität im Land wiederherzustellen. Am kommenden Sonntag (28.07.2013) sollen demokratische Wahlen im Land durchgeführt werden und damit ein weiterer Schritt zum Wiederaufbau des einstigen afrikanischen Musterstaates gelingen.