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Filipinos in Bonn: Warten auf Nachrichten

Simon Broll13. November 2013

Während erste Hilfskonvois auf den Philippinen in die Taifun-Gebiete vordringen, warten viele Filipinos in Deutschland auf Lebenszeichen von Angehörigen. In Bonn spenden sie sich Trost - und planen Hilfsaktionen.

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Linda Aytin, Pater Rudolph Holzgartner, Mina Krämer und Puri Dacuba (Foto: DW/S. Broll)
Bangen um ihre Freunde und Verwandten auf den Philippinen: Linda Aytin, Pater Rudolph Holzgartner, Mina Krämer und Puri DacubaBild: DW/S. Broll

Puri Dacuba schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. "So viel Leid, so viele Betroffene", sagt sie und schüttelt hilflos den Kopf. Gerade hat ihre Freundin Linda Aytin die neuesten Zahlen aus den Philippinen vorgetragen. Mehr als 600.000 Menschen sollen durch den Taifun "Haiyan" ihre Häuser verloren haben und auf der Straße leben. Betroffen blickt Aytin auf ihre Hände, neben ihr ringt Mina Krämer um Fassung.

Die drei Frauen sind Mitglieder der philippinischen Gemeinde Bonn. Einmal in der Woche kommen sie aus den umliegenden Städten zum Gottesdienst in die Sankt-Winfried-Kirche. Jetzt sitzen sie gemeinsam mit Pater Rudolf Holzgartner im Pfarrhaus und versuchen, sich gegenseitig Trost zu spenden. Alle drei haben Angehörige und Freunde auf den Philippinen: auf den Inseln Leyte und Samar. Dort, wo am Freitag "Haiyan" besonders stark gewütet hatte.

"Die letzten Tage waren sehr schwer für uns", sagt Linda Aytin. Die meiste Zeit habe sie vor dem Fernseher verbracht - in der Hoffnung, ihre Freunde zu erblicken. Telefonischen Kontakt mit den Philippinen hat sie nicht. Auch auf ihre Facebook-Anfragen kamen keine Antworten. So hofft sie, wenigstens über die Medien etwas über die Situation vor Ort zu erfahren.

Mobilfunk-Netz zusammengebrochen

Doch die bisherigen Bilder in den Nachrichten spendeten wenig Mut: zerstörte Dörfer, überflutete Straßen, haushohe Schrotthalden. Dazu ständig neue Opferzahlen. Aytin hat die Nummern sorgsam auf einem Zettel zusammengetragen, den sie vor sich auf den Tisch legt. 1764 Tote wurden bisher in Leyte identifiziert. Die philippinische Regierung rechnet mit 2000 bis 2500 Toten. Erste Schätzungen, nach denen von 10.000 Opfern ausgegangen wurde, seien laut Präsident Benigno Aquino "zu hoch" gewesen.

"Ich wache mitten in der Nacht auf und kann vor lauter Sorge nicht mehr schlafen", sagt Puri Dacuba. Während ihre Freundinnen diskutieren, greift sie in die Jackentasche und schaut auf ihr Handy. Keine SMS. Vor vier Tagen hatte Dacuba das letzte Mal Kontakt zu Bekannten in Leyte. Da diese in ihrem Heimatdorf keinen Festnetzanschluss besitzen, nutzen sie für Gespräche gewöhnlich ihre Mobiltelefone. Doch "Haiyan" hat das Netz zusammenbrechen lassen.

Kleidersammlung und Konzerte

Paralysieren lassen von der Angst wollen die Frauen sich aber nicht. Und so beratschlagen sie im Pfarrhaus von Sankt-Winfried, wie sie von Bonn aus helfen können. Am Sonntag während des Gottesdienstes hatte die Gemeinde spontan eine Kollekte gestartet, bei der über 500 Euro zusammenkamen. Jetzt planen die drei Frauen gemeinsam mit Pater Holzgartner eine Kleidersammlung. Und ein Benefiz-Konzert.

Doch allen ist klar, dass diese Hilfsmaßnahmen für viele Menschen auf den Philippinen zu spät kommen werden. "Die Welt muss sofort reagieren", sagt Pater Holzgartner. "Was die betroffenen Menschen vor allem brauchen, ist Nahrung und frisches Wasser." Der Steyler Missionar hat 36 Jahre auf den von Naturkatastrophen gebeutelten Philippinen verbracht, die meiste Zeit über am Divine Word College of San José in West Mindoro unterrichtet. Überschwemmungen und Orkane hat auch er miterlebt - aber noch nie in solchen Größenordnungen. "Bei einem Taifun mit über 300 Stundenkilometern bleibt nichts mehr übrig", sagt er.

Ein erschöpftes Opfer des Taifuns ruht auf einem Sofa unter freiem Himmel (Foto: REUTERS/Erik De Castro)
Taifun-Opfer in LeyteBild: Reuters/Erik De Castro
Menschen in Tacloban stehen Schlange, um etwas Reis zu ergattern. (Foto: REUTERS/Erik De Castro)
Mehr als 600.000 Menschen haben durch "Haiyan" ihr Zuhause verlorenBild: Reuters/Erik De Castro


Telefonat mit Cebu per Skype

Diese Sorge treibt auch Roland Strux um. Der Projektleiter der Hilfsorganisation "Don Bosco Mondo" sitzt ein Haus weiter in seinem Büro am Computer. Von hier aus hat er Skype-Kontakt mit Brüdern des Salesianerordens, die ein Jugendzentrum in Cebu leiten. Sie selbst sind vom Taifun verschont geblieben. Doch auch sie haben noch keinen Kontakt zu den Ordensbrüdern in den Katastrophengebieten - etwa in Borongan, 170 Kilometer nordöstlich der zerstörten Stadt Tacloban.

Larissa Wulfert und Roland Strux von "Don Bosco Mondo" (Foto: DW/S. Broll)
Roland Stux von "Don Bosco Mondo" und seine Kollegin Larissa Wulfert skypen mit Kollegen in CebuBild: DW/S. Broll

Wenn Strux nicht am Computer sitzt, telefoniert er. Schon seit Stunden rufen Bürger und Vereine bei ihm an, um Gelder zu spenden. "Die Anteilnahme in Deutschland an der Naturkatastrophe ist sehr groß", sagt Strux. 20.000 Euro Direkthilfe hat seine Organisation bereits überwiesen.

Sichere Spendenwege?

Doch die Sorge bleibt, dass das Geld nicht an die Bevölkerung weitergegeben wird. Das sagen zumindest Puri Dacuba, Mina Krämer und Linda Aytin. Ihre Regierung, da sind sich die drei Frauen einig, sei korrupt. Die Gelder würden oft nicht ankommen. "Ich habe das selbst erlebt", sagt Mina Krämer. 1991, beim Ausbruch des Vulkans Pinatubo, war sie auf der nördlichen Insel Luzon, um ihren Vater zu beerdigen. Das gesamte Dorf wurde evakuiert. Man versprach Hilfsmaßnahmen. "Doch Geld gesehen haben wir nicht", sagt Krämer verbittert.

Deswegen appellieren die Frauen, Spenden nur über kirchliche Organisationen zu tätigen. "Die haben ihre Netzwerke vor Ort und wissen, wie sie die Bedürftigen erreichen können", sagt Linda Aytin und blickt aus dem Fenster in die mondbeschienene Nacht.

Mehrere Stunden lang haben die Frauen im Pfarrhaus diskutiert. Nun wollen sie zurück vor die Fernseher - und weiter auf Nachricht warten. Bevor sie sich zu ihren Autos begeben, gehen sie kurz in die Sankt-Winfried-Kirche und zünden Kerzen an. "Jetzt heißt es glauben", sagt Mina Krämer. "Das ist das einzige, was uns bleibt."