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Facebook soll bei der Urbanisierung helfen

14. Juni 2011

Können die Megacities des Südens von Europa lernen? Die Konferenz Urban Futures widmete sich auch der spannenden Frage des globalen Wissenstransfers beim Thema Urbanisierung. Klar wurde vor allem, was nicht funktioniert.

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Modell der geplanten Stadt Sejong in Südkorea. (Foto: Aliona Yermakova)
Bild: Romy Strassenburg

Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Städte. Begünstigt durch das anhaltende Wachstum der Erdbevölkerung werden die meisten Menschen in wenigen Jahrzehnten in Städten leben. Im Jahr 2070 wird laut Prognosen der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht sein. Dann werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben - 80 Prozent davon in Städten. Auch deshalb beschäftigen sich seit Jahren Architekten und Stadtplaner mit der Frage, wie zeitgemäße Städte aussehen könnten. Parallel zu diesem Prozess endet das 300-jährige fossile Zeitalter. Alternative Energiegewinnung wird ihren Platz in den Städten finden müssen.

Umkehr der Stadtplanung

Michael Knoll vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung auf der Konferenz Urban Futures 2050 in Berlin. (Foto: Stefan Röhl)
Michael Knoll vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und TechnologiebewertungBild: Ralph Röhl

Die noch vorherrschende, wenn auch stark kritisierte Vorstellung von moderner Stadtplanung ist geprägt von der 1933 verabschiedeten Charta von Athen. Unter Führung des Bauhaus-Architekten Le Corbusier wurde darin die funktionale Stadt propagiert, also die Trennung von Wohn-, Arbeits- und Kultur- beziehungsweise Einkaufswelten. Mit dem derzeitigen Boom der Innenstädte zum Beispiel in Deutschland gibt es nun einen starken Gegentrend, der geprägt ist von dem Wunsch nach einer Einheit des Lebens an einem überschaubaren Ort mit kurzen Wegen. Green Gardening, Umweltzonen und Fahrradwege sind aktuelle Diskussionen in diesem Kontext. Die Konferenz-Teilnehmer in der schicken und hochmodernen Berliner Heinrich-Böll-Stiftung warnten in großer Einigkeit davor, diesen Blick auf den Rest der Welt eins-zu-eins übertragen zu wollen.

Ein eurozentrierter Blick sei wenig hilfreich, unterstrich zum Beispiel Michael Knoll vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in seinem Erfahrungsbericht über urbane Entwicklung in Südafrika: "Klimaschutz ist nicht unbedingt der Hauptgegenstand dort unten. Aus meiner Erfahrung sind Entwicklungsziele wie Verbesserung der Lebensbedingungen, Gesundheitsschutz und Arbeitsplätze wichtigere Ziele." Nachhaltige Technologien müsste deshalb immer zusammen mit anderen Zielen verkauft werden. Konzepte aus Deutschland und Europa könnten nicht einfach dem Rest der Welt übergestülpt werden. Dennoch aber, so Knoll, müsse ein Wissenstransfer stattfinden - aber eher in Fragen strategischer Stadtplanung: "Vor Ort müsse versucht werden zu verstehen, wie das städtische System funktioniert und dass es einer vernünftigen Datenbasis bedarf, um Entscheidungen auf einer halbwegs gesicherten Basis zu treffen." Außerdem sei es wichtig, auch die ausführenden Fachleute vor Ort, also die Mitarbeiter von Baufirmen zum Beispiel, zu schulen.

Beispiel für misslungene Stadtentwicklung: Sao Paulo's größte Slum, die Favela von Heliopolis (Foto: AP)
Beispiel für misslungene Stadtentwicklung: Sao Paulo's größte Slum, die Favela von HeliopolisBild: AP

Versuchslabor China

Magali Menant, deutsche Außenhandelkammer Shanghai auf der Konferenz Urban Futures 2050 in Berlin. (Foto: Stefan Röhl)
Magali Menant von der deutschen Außenhandels-kammer ShanghaiBild: Stephan Röhl

China ist das derzeit größte Versuchslabor für urbanes Leben. Pro Jahr verlassen 15 Millionen Chinesen die Dörfer, um in den Städten ihr Glück zu versuchen - für sie werden Millionenstädte aus dem Boden gestampft. Die soziale Frage sei auf dem chinesischen Immobilienmarkt derzeit vordergründiger als der Umweltschutz, sagte Magali Menant, die für die deutsche Außenhandelskammer in Shanghai arbeitet. Quantität, Schnelligkeit und der Preis seien dort wichtiger als Qualität und Öko-Hightech. Darauf mussten sich auch Firmen aus Deutschland erst einstellen.

Gefragt seien Lösungen, die nicht Hightech, sondern optimiert und massentauglich sind. Auf diesem Weg könnten Bauherren überzeugt werden, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Vor allem fehle noch das Bewusstsein, dass sich mit sogenanntem integriertem Design auch der Marktwert der Gebäude steigern lässt. Grüne Technologien aus Deutschland hätten in China zwar einen sehr guten Ruf, aber seien erst bei ganz wenigen Bauprojekten auch umgesetzt.

Dem Lebensstil anpassen

Zudem haben die Chinesen in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, dass sich Konzepte aus Europa nicht unbedingt auf die asiatischen Bedingungen übertragen lassen. Menant erörterte zwei Beispiele. Peking hatte versucht, das alltägliche Verkehrschaos zu lösen, indem Londoner Lösungen kopiert wurden. Doch das misslang. Danach blickten die Stadtpolitiker auf Shanghai, also auf eine kulturell ähnliche Stadt, und erzielten große Erfolge.

Im letzten Jahrzehnt bauten deutsche Architekten Städte, die vom Stil und der Struktur her typisch deutsch aussahen. Nach wenigen Jahren waren diese Orte Geisterstädte. Menant plädierte außerdem dafür, den Chinesen das Recht zuzugestehen, eigene Fehler machen zu dürfen und nannte ein Beispiel: Während in Europa viel zur Förderung des innerstädtischen Radfahrens getan werde, sei in chinesischen Städten das Gegenteil der Fall, weil das Auto ein Statussymbol der stark wachsenden Mittelschicht sei.

Stadtplanung mit Twitter und Facebook

Podiumsdiskussion auf der Konferenz Urban Futures 2050 in Berlin. Auf dem Bild: Cecila Martinez von UN-Habitat. (Foto: Stefan Röhl)
Cecila Martinez ist Direktorin von UN-Habitat in New YorkBild: Stephan Röhl

Cecila Martinez ist Direktorin des New Yorker Büros von UN-Habitat und ausgewiesene Südamerika-Kennerin. Dort lebt bald 90 Prozent der Bevölkerung in Städten - so viel wie auf keinem anderen Kontinent. Urbanisierung müsse deshalb aktiv gestaltet werden. Auch weil die nachgeholte Industrialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht so richtig funktioniert hätte, als Millionen Landflüchtlinge nicht ins städtische Leben integriert wurden und jetzt in inoffiziellen Siedlungen wie den brasilianischen Favelas leben.

Martinez zeigte sich trotzdem ausgesprochen optimistisch: "Wir haben genug Technologien, um jedes Problem der Menschheit zu lösen." Gefragt seien vor allem die Politiker und speziell die Kommunalpolitiker, die zusammen mit den Menschen vor Ort arbeiten sollten. Dabei könnten Internet-Technologien helfen, indem sie den Menschen Öffentlichkeit und Politik lehren, sie aktivieren und einbinden, so Martinez. Dank Facebook und Twitter könnten die Menschen auch auf Erfahrungen aus anderen Erdteilen zugreifen und voneinander lernen. Deshalb freue sie sich, dass die Urban-Future-Konferenz auch im Internet übertragen wird. Einen Wunsch habe sie, dass Städte zukünftig nicht mehr von Architekten geplant werden. Es gäbe genügend Beispiele aus der Vergangenheit, die zeigten, dass Architekten nicht die besten Stadtplaner sind.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Helle Jeppessen