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Europäisches Gericht urteilt über Enteignungen

Bernd Gräßler30. März 2005

Für Land, das in der sowjetisch besetzten Zone enteignet worden war, gab es auch nach der deutschen Einheit keine Entschädigung. Dieses Urteil hat nun auch der Europäische Gerichtshof bestätigt.

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Nicht jedes Stück Acker ist gleichBild: dpa zb

Als die DDR 1990 zusammenbrach, gingen mehr als eine Million Hektar ehemaliges Bodenreformland an die Bundesrepublik Deutschland über. Wer von den Alteigentümern nun auf Rückgabe gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Auch Carl-Wilhelm von Herder, dessen Familie 1945 das Schloss Rauenstein in Sachsen samt Wäldern verlor. Herder hatte fest geglaubt, die Wiedervereinigung würde ihm sein Eigentum zurückbringen, das er durch die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone verloren hatte. Doch Politik und Justiz verweisen auf den deutsch-deutschen Einigungsvertrag. Enteignungen aus der sowjetischen Besatzungszeit seien nicht rückgängig zu machen, heißt es dort.

Seit Jahren streiten die Alteigentümer mit dem Staat Bundesrepublik Deutschland juristisch um das Land. Am Mittwoch (30.3.2005) hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein abschließendes Urteil in der Sache gefällt: Die Bundesrepublik Deutschland sei nach der Wiedervereinigung nicht verpflichtet gewesen, für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone einen Ausgleich in Höhe des heutigen Verkehrswertes der Ländereien zu leisten, urteilte das Straßburger Gericht.

Fünf Prozent des Verkehrswertes

Von Herder ist verbittert: "Alle Leute, die nach 1949 rehabilitiert sind, kriegen ihr Eigentum zurück. 'Rückgabe vor Entschädigung'. Und bei uns ist eine Entschädigung gar nicht in Betracht genommen worden, sondern allerhöchstens Ausgleichsleistungen. Im höchsten Falle fünf Prozent des Verkehrswertes."

Carl-Wilhelm von Herder, ein Nachkomme des Dichters und Philosophen Johann Gottfried von Herder, beklagt, wie viele andere Adlige, eine Ungleichbehandlung durch den Staat Bundesrepublik. Während jene, die in Ostdeutschland nach 1949 durch den DDR-Staat enteignet wurden, nach der Wiedervereinigung in der Regel ihre Besitztümer zurückerhielten oder wenigstens angemessen entschädigt wurden, gingen die Betroffenen der Bodenreform, die unter der Besatzungsmacht Sowjetunion von 1945 bis 1949 stattfanden, leer aus.

"Hehler der Kommunisten"

Weder Rückgabe noch angemessene Entschädigung - der Staat Bundesrepublik trete als "Hehler der Kommunisten" auf, beklagen die Bodenreformopfer. Die Bundesregierung dagegen, und zwar sowohl die vorige unter Helmut Kohl als auch die jetzige unter Gerhard Schröder, zeigen zuerst mit dem Finger nach Moskau. Dort sitze der Schuldige. Die Sowjetunion hätte der deutschen Einheit nicht zugestimmt, wenn die Bundesrepublik die Bodenreform nicht für unantastbar erklärt hätte, so heißt es. Ob dies wirklich so ist, darüber herrscht Streit unter den damaligen Akteuren. Der damalige sowjetische Staatschef Gorbatschow bestreitet, dass die Sowjets soviel Wert auf die Bodenreform gelegt hätte. Lothar de Maiziere dagegen, erster und letzter frei gewählter DDR-Ministerpräsident, beteuert: "Die Forderung der Sowjets war 1990 durchaus unabdingbar. Jeder, der heute etwas anderes sagt, berichtet nicht redlich."

Geringfügige Ausgleichsleistungen

Das Bundesverfassungsgericht sieht das genauso und wies mehrmals Klagen der Alteigentümer ab. 1994 beschloss der Bundestag geringfügige Ausgleichsleistungen für die von ihren Ländereien vertriebenen Adligen. Mehr sei nicht möglich, so heißt es seitdem unter Verweis auf die Staatsfinanzen. In den letzten Jahren hat der Staat kräftig Kasse gemacht mit dem Verkauf und der Verpachtung des Bodenreformlandes. Zu den Pächtern gehören die großen ostdeutschen Agrargenossenschaften, die aus den DDR-LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) entstanden sind. Sie können das Land preiswert nutzen. Eine Rückgabe des Bodenreformlandes an die Alteigentümer würde die nach der Einheit mühsam gewachsenen neuen landwirtschaftlichen Strukturen in Ostdeutschland ins Wanken bringen, meint Ex-Ministerpräsident de Maiziere.

Dreck am Stecken?

Von Herder hat von seinem Rückkaufrecht Gebrauch gemacht. Der enteignete Adlige, der nach seiner Flucht in den Westen aus einem Wanderkino eine florierende Kinokette gemacht hatte, musste eine Million für seinen Familienbesitz Schloss Rauenstein in Sachsen auf den Tisch legen. Den Rückkauf des eigenen Eigentums empfindet er als demütigend: "Mich interessiert die Wiedergutmachung dieses Unrechts, die persönliche Rehabilitierung. Denn ich laufe herum wie ein Verbrecher." Denn wer sein Eigentum vom Staat nicht zurückbekomme, der müsse doch irgendwie Dreck am Stecken haben, auf dieses Vorurteil stoßen die Herders immer wieder, wenn sie in ihre alte Heimat zurückkehren.