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EU: Wie kann Abwasser bei Wasserknappheit helfen?

Tim Schauenberg
20. August 2023

Mehr Hitze und Wassermangel in Europa führt immer öfter zu Auseinandersetzungen. Dabei gibt es genug Wasser, wenn man es effizienter nutzt und mehr aufbereitet. Welche Lösungen helfen?

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Blick über ein Vorklärbecken und Rezirkulationsbecken
Geklärte Abwässer könnten künftig mehr Feldern bewässernBild: Tschanz-Hofma/Bildagentur-online/picture alliance

Die Zusammenstöße zwischen Umweltaktivisten und Bauern im Süden Frankreichs im Frühjahr diesen Jahres markierten eine neue Eskalationsstufe um immer knapperes Wasser in Europa.

Mehrere tausend Demonstranten protestierten gegen die Errichtung eines Regenauffangbeckens, das den von Dürre geplagten Bauern in der Region dringend benötigtes Wasser liefern soll. Die Kritiker befürchten ein Absacken des Grundwasserspiegels und Schäden für die Ökosysteme. Es kam zu Ausschreitungen mit der Polizei und Verletzten auf beiden Seiten.

Nach mehreren zu heißen Sommern ist es auch dieses Jahr in weiten Teilen Europas zu trocken, vor allem im Süden. In einigen Regionen in Italien, Spanien und Frankreich herrscht sogar extrem Dürre.

In Spanien wurde die Wassernutzung in einigen Landesteilen eingeschränkt. Laut dem Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft stehen die Wasserreserven inzwischen nur noch bei 41 Prozent. Die Dürre trifft 60 Prozent aller Landwirte und werde zu erheblichen Ernteverlusten führen, so der spanische Bauernverband. 

Ein Grund für den Wassermangel in Europa und anderen Teilen der Welt ist der menschengemachte Klimawandel, denn dadurch gibt es immer häufiger extreme Hitze und Dürren. Gleichzeitig entnehmen Industrie und Landwirtschaft mehr Wasser aus Boden, Flüssen und Seen, als sich natürlich wieder auffüllen kann. Laut Marc Bierkens, Hydrologe an der Universität Utrecht, verbraucht die Industrie europaweit die Hälfte des Wasser, 40 Prozent nutzt die Landwirtschaft und 10 Prozent werden von Haushalten verbraucht.

Während in Südeuropa besonders viel Wasser für die Landwirtschaft benötigt wird, trifft die Wasserknappheit in Frankreich und Bulgarien auch den Energiesektor. 2022 etwa mussten französische Atomkraftwerke abgeschaltet werden, weil das zu Kühlung nötige Wasser aus Flüssen zu warm war. Auch dieses Jahr könnte es wieder dazu kommen.

In Bulgarien sind durch fehlende Niederschläge die Wasserstände in Flüssen und Seen zu niedrig. Der Großteil des Wassers in Bulgarien wird für die Industrie sowie zur Kühlung von Atomkraftwerken gebraucht.

Frankreichs Landwirte kämpfen ums Wasser

Könnte Abwasser der Landwirtschaft helfen? 

In der Europäischen Union leiden elf Prozent aller Menschen unter Wasserknappheit.

Eine Lösung könnte sein, mehr Abwasser aus der Industrie für die Bewässerung in der Landwirtschaft zu nutzten, statt dafür wertvolles Trinkwasser abzupumpen. Damit könnte allein in den 27 Mitgliedsländern sechsmal mehr Wasser im Kreislauf geführt werden als bisher.

"Die Süßwasserressourcen sind knapp und stehen zunehmend unter Druck. Bei diesen beispiellos hohen Temperaturen müssen wir die Verschwendung von Wasser stoppen. Wir müssen diese Ressource effizienter nutzen", so EU-Kommissar für Umwelt, Fischerei und Ozeane, Virginijus Sinkevičius in einer Pressemitteilung.

In der EU sind in diesem Sommer Mindestanforderungen für das Recyceln von Wasser und die Nutzung in der Landwirtschaft in Kraft getreten. Darin werden die Mitgliedsländer aufgefordert, kommunales und teils auch industrielle Abwasser so aufzubereiten, dass es in der Landwirtschaft genutzt werden kann. Damit könnten Bauern in Dürreperioden profitieren und die natürlichen Wasserressourcen und Ökosysteme geschont werden.

Laut EU-Kommission könnte die Wiederverwendung von Wasser potenziell ein Fünftel der Bewässerung mit Grundwasser in Spanien und Portugal ersetzen. In Frankreich, Italien und Griechenland sind es sogar 45 Prozent. In Ländern mit weniger Agrarflächen wäre sogar die komplette Bewässerung mit aufbereiteten Abwässern möglich. 

Gute Aufbereitungsanlagen für Industriewasser wichtig für die Wasserqualität

"Es kommt auf die Wasserqualität an", so der Marc Bierkens, Hydrologe an der Universität Utrecht. Große Industrieanlagen haben heute schon eigene Aufbereitungsanlagen, das Wasser wird oft in Flüsse abgelassen. "Je nach Industriezweig ist das Wasser sogar viel besser als aufbereitete Haushaltsabwässer."

Das trifft aber längst nicht auf alle Sektoren zu.

Und industrielles und städtisches Abwasser zur Bewässerung zu nutzen, birgt auch Risiken, wenn Kläranlagen nicht alle Schadstoffe herausfiltern. Dann kann es in Böden und Pflanzen möglichweise zur Anreicherung der Schadstoffe kommen, die auch den Verbrauchern schaden könnten.

Das deutsche Umweltbundesamt kritisiert die neue Mindestanforderungen der EU, auch weil einige Stoffkategorien nicht unter die Regulierung fallen. Eine andere Befürchtung ist, dass der Wasserstand in Flüssen weiter sinken könnte, wenn nicht genügend geklärte Abwässer aus der Industrie und von Städten in die Gewässer zurückgeleitet werden. 

Ob in Zukunft mehr recyceltes Wasser in der Landwirtschaft genutzt wird, hängt auch von den Kosten ab. Ist der Transport von der Aufbereitungsanlage bis zu den Feldern zu weit, lohnt es sich nicht. Das trifft etwa auf Länder wie Slowenien, Bulgarien und Polen zu.

Eine Richtlinie der EU verlangt bereits, dass die EU-Staaten nachhaltige Wassernutzung fördern – doch die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU subventioniert Landwirte, die ihre Felder in großem Stil bewässern.

Erdbeerplantage und Wassseleitungen in einem Treibhaus
Der Wasserverbrauch im teils illegalen Erdbeeranbau in Süd-Spanien hat Anfang des Jahres zu heftigen Kontroversen geführtBild: Asociación Agricutlotres Puerta Doñana/dpa/picture alliance

Mais, Hirse und Weizen statt Reisanbau in Südeuropa?

Bemühungen in der Landwirtschaft, die Bewässerung zu optimieren, gäbe es schon, so Bierkens. Ein Beispiel ist effizientere Tröpfchenbewässerung statt großflächiger Wassersprenger. Potenzial, den Wasserbedarf zu senken, sieht er vor allem darin, weniger durstige Feldfrüchte anzubauen.

In Italien, Europas größtem Anbaugebiet für Reis, der sehr viel Wasser braucht, könnten stattdessen Mais oder Weizen angebaut werden, schlägt Bierkens vor. "Winterweizen ist ein Kulturpflanze, die weniger wasserabhängig ist und außerdem früh wächst und im Sommer recht früh reift. Man braucht also nicht viel Wasser. Winterweizen ist also definitiv eine Möglichkeit, aber das würde auch eine Umstellung der Ernährung bedeuten."

Die Region um den Fluss Po im Norden des Landes ist das Zentrum des italienischen Reisanbaus mit globaler Bedeutung. Durch wenig Schneefall im Winter in den italienischen Alpen, der extremen Dürre und das Austrocknen des Flusses Po, mussten die Bauern dort im zweiten Jahr in Folge herbe Ernteverluste hinnehmen.

Auch in Deutschland gab es im vergangen Sommer Ernteverluste. In der Pflanzenzüchtung liegt der Fokus darum immer mehr darauf, Sorten zu züchten, die besser mit Hitze und wenig Wasser zurechtkommen. 

Hülsenfrüchte wie Hirse, Linsen und Kichererbsen verbrauchen vergleichsweise wenig Wasser und können auch mit Trockenperioden gut umgehen.

Kaputte Rohre verschwenden große Mengen Wasser

Bessere Instandhaltung von Wasserleitungen ist eine Lösung, die oft vernachlässigt. Im Schnitt gehen in der EU ein Viertel des Trinkwassers beim Transport durch undichte Leitungen und kaputte Rohre verloren. In Bulgarien, Spitzenreiter in der EU werden sogar 60 Prozent des Wassers durch leckende Leitungen verschwendet. Im Dürrehotspot Italien sind es rund 40 Prozent, in Portugal 30 Prozent.

Die EU-Kommission hat Ende 2022 ein Update der EU Trinkwasser-Direktive vorgeschlagen, die die Mitgliedsländer dazu aufgefordert, die Überwachung von Wasserverschwendung und Lecks in der Infrastruktur zu verbessern und mehr in entsprechende Maßnahmen und Datenerhebungen zu investieren.

Derzeit investieren Länder, die besonders stark von Dürren und wenig Niederschlag betroffen sind, wie etwa Spanien, Italien oder Bulgarien, pro Einwohner am wenigsten Geld in bessere Leitungen.

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