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Erdogan gegen Gülen-Bewegung

Thomas Seibert9. Januar 2014

Der türkische Ministerpräsident beschuldigt die Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, ihn entmachten zu wollen. Beim Vorgehen gegen sie sucht Erdogan die Nähe seiner früheren Gegner im Militär.

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Erdogan Türkei
Bild: picture-alliance/AP Photo

Hüseyin Gülerce hat es kommen sehen. "Ein großer Sturm braut sich zusammen", sagte der 63-jährige Journalist der Zeitung "Zaman" vor einigen Tagen voraus. Gülerce, der wie "Zaman" zur Gülen-Bewegung gehört, hat Recht behalten. Die Regierung Erdogan hat innerhalb weniger Tage mehrere hundert - offenbar unter dem Verdacht der Gülen-Anhängerschaft stehende - Polizisten von ihren Posten entfernt und durch treue Gefolgsleute ersetzt. Inzwischen ist kein Beamter, der an den von der Staatsanwaltschaft in der Korruptionsaffäre am 17. Dezember angeordneten Festnahmen von Verdächtigen beteiligt war, noch auf seinem damaligen Platz.

Die Gülen-Bewegung zählt zu den einflussreichsten islamischen Bewegungen in der Türkei. Sie wird vom türkischen islamischen Gelehrten Fethullah Gülen geführt. In der Türkei genießt die Bewegung eine große Anziehungskraft, aber gleichzeitig steht sie auch in der Kritik. Kritiker werfen ihr vor, mit ihren Privatenschulen in 140 Ländern eine unterschwellige islamistische Agenda zu vertreten.

Da es Vermutungen gab, die Polizei, ebenso wie die Justiz, sei von der Bewegung unterwandert, ist die Regierung aktiv geworden. Erdogan und seine Anhänger sprechen von "parallelen Strukturen" im Staatsapparat, die den Sturz der Regierung anstrebten. Aus diesem Grund sollen diese Strukturen durch die Massenversetzungen zerschlagen werden. Auch die Justiz ist betroffen: Zwei führende Staatsanwälte der Korruptionsskandals sind inzwischen von dem Fall abgezogen worden. Gegen einen von ihnen, Zekeriya Öz, läuft ein Disziplinarverfahren: Öz, ebenfalls ein Gülen-Fan, soll trotz bereits vorliegender Erkenntnisse in der Korruptionsaffäre ein halbes Jahr gewartet haben, bevor er handelte und Verdächtige festnehmen ließ.

Fethullah Gülen
Für Erdogan ist Fethullah Gülen zurzeit der HauptfeindBild: picture-alliance/AP

"Undemokratischer Umgang"

Das Erdogan-Lager argwöhnt, Öz habe deshalb mit den Festnahmen gezögert, um der Regierung, die seit Monaten mit der Gülen-Bewegung im Clinch liegt, zum passenden Zeitpunkt eins auswischen zu können. Über Jahre hatte Gülen die islamisch-konservative Regierung unterstützt, insbesondere bei deren Bemühungen, den politischen Einfluss der Militärs zurückzudrängen. Doch seit einiger Zeit knirscht es unüberhörbar zwischen den Verbündeten.

Ein hochrangiges Mitglied der Gülen-Bewegung sagte der Deutschen Welle, schon die Reaktion der Regierung auf die Gezi-Proteste im vergangenen Sommer habe bei den "Gülencis", wie Gülens Anhänger genannt werden, Kritik ausgelöst. Die harten Polizeieinsätze gegen die Demonstranten seien Zeichen eines "undemokratischen Umgangs" mit Kritik aus der Gesellschaft gewesen. Erdogan werde immer autoritärer.

Der "Sturm" hat gerade erst begonnen

Den Ministerpräsidenten stört diese Kritik nicht. Er will die Kommunalwahlen am 30. März und die Präsidentenwahl im Sommer gewinnen, indem er das konservative Lager um sich schart und scharf von anderen Gruppen abgrenzt. Das ist das Gegenteil des Dialogs, den Gülen fordert. Für Erdogan ist Gülen zu einem Gegner geworden, den es zu bekämpfen gilt. Der "Sturm", den Gülerce erwartet, hat gerade erst begonnen.

Inzwischen gelten die "Gülencis" bei der Regierung als Staatsfeinde, die für schwerwiegende Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre verantwortlich sein sollen. Zu diesen Fehlentwicklungen gehört aus Sicht der Erdogan-Regierung überraschenderweise auch die Serie von Urteilen gegen hunderte von Ex-Generälen, denen Putschversuche gegen Erdogan vorgeworfen wurde.

Gerichtsgebäude in Antalya mit Flagge
Bis vor kurzem war die Justiz eine starke Stütze Erdogans PolitikBild: Getty Images

Neue Verfahren für die Generäle

Ein Erdogan-Berater deutete kürzlich an, dass Staatsanwälte, die "Gülencis" gewesen seien, die Urteile gegen die Generäle auf unrechtmäßige Weise erzeugt haben könnten. Einer der damaligen Staatsanwälte war der jetzt zwangsversetzte Zekeriya Öz. Derzeit sucht die Regierung nach Wegen, die Verfahren gegen die Militärs neu aufzurollen. Die Logik dahinter, vemutet der frühere Europarichter und heutige Parlamentsabgeordnete der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) Riza Türmen: Die Regierung wolle die Verfahren gegen die Militärs als Machenschaft der Gülen-Bewegung erscheinen lassen. Damit sollen auch die aktuellen Korruptionsfälle als Manipulation der "Gülencis" hingestellt werden.

Gleichzeitig wolle Erdogan die Justiz strenger überwachen, sagte die Opposition; ein erster Gesetzentwurf soll noch diese Woche ins Parlament eingebracht werden. Von einer Bereitschaft, die politische Verantwortung für die Korruption in seiner Umgebung zu übernehmen, sei Erdogan weit entfernt, sagte der CHP-Politiker Ugur Bayraktutan der Deutschen Welle: "In einem westlichen Land wäre der Ministerpräsident ohne Zögern sofort zurückgetreten."