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„Endlager für digitalen Müll“ gesucht

Fragen von Susanne Nickel9. April 2014

Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung, ist beim Transatlantic Talk am 1. Juli dabei. Es geht um weit mehr als die NSA-Affäre und ihre Folgen, meint Kornelius im DW-Interview.

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Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung
Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen ZeitungBild: Süddeutsche Zeitung

DW: Herr Kornelius, wie tief ist die Krise der transatlantischen Beziehungen angesichts des großen Vertrauensverlusts durch die NSA-Affäre?

Stefan Kornelius: Amerika hat sich seit dem 11. September 2001 in seinem Sicherheitsverständnis, auch in seinen geopolitischen Interessen stark von Europa weg entwickelt. Das Sicherheitsbedürfnis dominiert die Außenpolitik. Die Europäer, besonders die Deutschen, haben ein viel höheres Bedürfnis nach Wahrung ihrer Privatsphäre. In den USA haben die Menschen hingegen ein größeres Vertrauen in den Staat und dessen Umgang mit ihren persönlichen Daten. Hier liegt der Kern des Konflikts, den wir in der NSA-Affäre austragen. Beide Seiten finden im Moment keinen Weg zueinander. Das alles wird nicht zum Bruch der transatlantischen Beziehungen führen, aber dennoch ist die Krise ein gewaltiger Stressfaktor, der unsere Gesellschaften belastet und entzweit.

Droht diese Krise zu einer unendlichen Geschichte zu werden?

Es handelt sich um eine wichtige Episode in unserer Beziehungsgeschichte, die nicht einfach so verschwindet. Es geht ja nicht nur um die NSA. Wir diskutieren vielmehr ein Problem, das symptomatisch ist für unsere Zeit: Wie gehen wir mit neuen Technologien, den neuen Bedrohungen für unsere Sicherheit und dem neuen Verständnis von Öffentlichkeit um? Deswegen täten beide Seiten gut daran, sich zu verständigen. Wenn man in diesem Thema keine gemeinsame Sprache findet, dann könnte die Krise zu einer unendlichen Geschichte werden.

Welche Perspektive für die Beziehungen eröffnen sich auf lange Sicht?

Die Amerikaner wissen, dass man einander braucht. Es sind mehr die Europäer, die sich nun von den USA abwenden. Beide Seiten werden aber feststellen, dass sie aufeinander angewiesen sind – gerade jetzt in der Krise mit Russland. Europa verschwindet für die USA nicht von der Landkarte, genauso brauchen die Europäer Verbündete, wenn sie ihre Interessen auf der Welt weiter durchsetzen wollen. Die USA sind ein essenzieller Baustein im europäischen Sicherheitsgefüge.

Wie steht es um die Balance zwischen dem individuellen Recht auf Privatsphäre und dessen Einschränkung zugunsten der Sicherheit?

Wir stellen nach vielen Jahren unreflektierter Euphorie über das Internet fest, dass die neue Technologie und die Explosion in unserem Kommunikationsverhalten unsere Gesellschaft stark verändert haben. Die Digitalisierung bestimmt derart unser Leben, dass wir uns viel mehr Gedanken über Wirkung und Folgen machen müssen. Wir sehen eine weiße Karte, ein unerforschtes Terrain, ähnlich wie die Entdecker, die den Globus erkundet haben. Jetzt ist es an uns, die digitale Weltkarte zu erforschen. Wir müssen Regeln finden, wir müssen Gesetzeslücken entdecken, und wir müssen uns über die richtige Balance zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verständigen. Man muss jedem Menschen Rückzugsmöglichkeiten geben. Er muss die Chance haben, sich gegen zu viele Übergriffe wehren zu können. Es muss auch das Recht auf digitales Vergessen geben. Und bei all dem wollen wir die gigantischen Möglichkeiten des Netzes auch nicht unnötig beschädigen.

Die Verrechtlichung der digitalen Welt

Es gibt viele Themen, die in der Euphorie der ersten Netzdekaden nicht bedacht wurden. Die NSA hat uns nun zum Nachdenken gezwungen. Aber die Affäre ist nur symptomatisch für die digitale Beziehung zwischen Staat und Bürger und für die Beziehung zwischen souveränen Staaten. Das gesellschaftspolitische Problem geht viel tiefer: Jeder schleppt einen Berg an digitalem Restmüll aus seinem Leben mit sich herum. Was machen wir damit? Kann das etwa gefährlich sein? Kann das jemand missbrauchen? Ähnlich wie mit dem strahlenden Abfall aus Atomkraftwerken müssen wir uns auch über den digitalen Müll Gedanken machen. Wer kann ihn entsorgen? Brauchen wir ein Endlager dafür?

Die Europäische Kommission plant ein neues Internetgesetz. Ist das – angesichts der jüngsten Erkenntnisse – nicht mehr als ein hilfloser Versuch?

Das Europäische Parlament hat noch vor der NSA-Affäre über Datensicherheit und Datenschutz nachgedacht. Heute wissen wir, dass die Überlegungen nicht weit genug gingen. Die neue Kommission und das neue Parlament werden das Thema jetzt wieder aufnehmen müssen. Die bisherige Gesetzgebung ist mit der Europawahl hinfällig. Es muss also neu gedacht werden. Das wird eines der großen legislativen Projekte der nächsten Jahre sein. Es geht um die Verrechtlichung der digitalen Welt, es geht um den Schutz der Bürger und ihrer Privatsphäre – vor zu viel Staat, aber auch vor neuen Formen der Kriminalität.