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Ebola: Angst, Hype und Risiko

Peter Hille20. Oktober 2014

Die Gefahr einer Ansteckung mit Ebola außerhalb Westafrikas ist gering. Die Angst davor aber umso größer. Warum?

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Hauptbahnhof München (Foto: Peter Kneffel/dpa )
Bild: picture-alliance/dpa

Sie müssen das jetzt nicht beantworten: Wie viel ist 16 mal 37? Und wie viel ist zwei mal zwei? Die erste Frage haben Sie vermutlich problemlos übergangen, die zweite haben Sie garantiert im Kopf beantwortet. Warum? Die Lösung für "zwei mal zwei" hatten Sie auf Abruf parat. Die erste Aufgabe aber ist so komplex, dass Sie sich bewusst dafür hätten entscheiden müssen, sie zu lösen.

"Menschen sind gerne faul, was das Denken angeht, und wollen, dass alles automatisch funktioniert", sagt Eva Lermer, Psychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Und wenn wir mit einem Problem oder einem komplexen Ereignis konfrontiert sind, dann müssen wir auf einmal nachdenken, müssen vom intuitiven ins rationale System wechseln und uns anstrengen. Das gefällt uns nicht."

Die gefühlte Angst

Diese menschliche Faulheit hat Einfluss darauf, wie wir Risiken einschätzen. Denn in der Intuition, im Gefühl, über- oder unterschätzen wir leicht Gefahren. Mit Informationen, die uns ein rationales Abwägen ermöglichen, setzen wir uns dabei nicht weiter auseinander. So ist auch die Angst zu erklären, die laut Umfragen sechs von zehn Deutsche vor Ebola haben. Einer Krankheit, mit der sich in Deutschland bislang noch kein Mensch angesteckt hat.

Psychologin Eva Lermer (Foto: privat)
Eva Lermer erforscht, warum Menschen Risiken oft falsch einschätzenBild: Privat

"Würden wir rational darüber nachdenken, dann würden wir darauf kommen, dass das Risiko einer Ansteckung aktuell in Deutschland sehr gering ist", so Lermer, die zum Thema Risikoeinschätzung forscht. "Wir bleiben aber gerne in unserem intuitiven System, und so entstehen Fehler."

Todesseuche Grippe

Warum aber machen wir gerade bei Ebola den Fehler, dass wir die Gefahr einer Ansteckung außerhalb der drei hauptsächlich betroffenen Länder Sierra Leone, Guinea und Liberia überschätzen? Ortwin Renn ist Professor für Soziologie an der Universität Stuttgart. Sein Thema: das "Risikoparadox". "Wir überschätzen schnell Krankheiten, deren Todesrate sehr hoch ist gegenüber der Genesungsrate", so Renn. "Pro Jahr sterben an der normalen Grippe in Deutschland rund 10.000 bis 12.000 Menschen. Das sind aber nur 0,05 Prozent der Erkrankten. Die meisten wissen, man kommt da wieder heil heraus."

Angehörige trauert um Ebola-Opfer in Liberia (Foto: John Moore/Getty Images)
In Liberia, Sierra Leone und Guinea sind fast 5000 Menschen an Ebola gestorbenBild: Getty Images/John Moore

Und machen sich deshalb wenig Sorgen vor einer Ansteckung. Bei Ebola dagegen liegt die Todesrate bei rund 70 Prozent. Das macht Angst. Gingen wir weniger nach unserem Gefühl und mehr nach der Statistik, aktivierten wir also unser "rationales System", dann müssten wir vermehrt auf die Faktoren achten, die wirklich wichtig sind: Zwei von drei frühzeitigen Todesfällen entfallen laut Renn auf diese tatsächlichen "Volkskiller: Rauchen, zu viel Alkohol, unausgewogene Ernährung und Bewegungsmangel."

Ein Fehler im System

Zweiter Grund für die Überschätzung des Ebola-Risikos: die Medien. Kaum eine Nachrichtensendung, die nicht mit dem Thema beginnt. "Egal, wie gut die Berichterstattung ist: Je mehr darüber berichtet wird, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt, dass man selbst betroffen ist." Das Paradoxe daran: Selbst ein Bericht darüber, dass die Ansteckung außerhalb Westafrikas sehr unwahrscheinlich ist - vielleicht auch dieser Bericht hier - wird bei den meisten Menschen die Angst vor Ebola steigern.

Dieser Fehler hat System: Medien berichten über Unvorhergesehenes, über Seltenes; nicht über das, was ständig passiert. Und tragen damit bei vielen Menschen zur falschen Einschätzung von Risiken und Gefahren bei. Bei der Ebola-Berichterstattung allerdings kommt neben der Quantität oft noch das Problem mangelnder Qualität hinzu.

Hype und Hysterie

Mehr als 6000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Mogadischu und Monrovia. Die Hauptstadt Somalias, am Indischen Ozean gelegen, leidet vor allem unter islamistischem Terror. Die Hauptstadt Liberias, an der Atlantikküste, unter Ebola. Trotzdem: als sich ein Somalier Anfang September am Münchner Hauptbahnhof erbrechen musste, war die Medienmaschine kaum zu stoppen. Dutzende Reporter waren zum Hauptbahnhof geeilt, von einem Großeinsatz der Polizei war die Rede, von Isolierstation und Sondereinsatz. Der Verdacht auf Ebola dagegen hatte sich ganz schnell in Luft aufgelöst.

Völlig dem Ebola-Hype verfallen scheinen einige US-Nachrichtensender zu sein. Ebola ist dabei mehr als ein Virus, es ist boshaft, wandlungsfähig und brutal wie eine Terrorgruppe. Das Spiel mit den Vergleichen auf die Spitze trieb Anfang Oktober ausgerechnet CNN, der selbst ernannte "most trusted name in news". "Is Ebola the ISIS of biological agents?" fragte CNN-Moderatorin Ashleigh Banfield und nahm damit die Formulierung eines ehemaligen US-Heimatschützers auf. Man müsse das Virus bekämpfen wie die Terroristen des "Islamischen Staates", mit Militär im Ausland und hohen Zäunen an der eigenen Grenze, so die logische Schlussfolgerung.

Ebola als Thema in der CNN-Sendung von Ashleigh Banfield
Ebola, die Terrorgruppe unter den Viren?Bild: CNN

Killervirus auf Kreuzfahrtschiff

Miles O'Brien, Wissenschaftsreporter beim öffentlich-rechtlichen US-Sender PBS findet diese Art der Berichterstattung unverantwortlich. Immerhin konnte er seine Kritik direkt auf CNN äußern. Seine Kollegen "sollten ihre Hausaufgaben machen und vernünftig berichten", sagte O'Brien. "Leider gibt es große Konkurrenz im Mediengeschäft und einige denken, dass sie mit dieser aufgebauschten Bedrohung Aufmerksamkeit gewinnen. Ich schäme mich für diese Kollegen."

Doch die Angst hat längst um sich gegriffen: Ebola auf einem Kreuzfahrtschiff? Das klingt fast so bedrohlich wie der Hollywood-Titel "Snakes on a plane". Jede Kursänderung des Schiffes - an Bord eine Krankenschwester, die mit Ebola-Proben gearbeitet hatte - war damit eine Nachricht wert; die ununterbrochen ausgestrahlten Nachrichtensendungen berichteten erschöpfend. Bis auch hier eine Laborprobe für Gewissheit sorgte: Die Krankenschwester war nicht infiziert.

Isolierstation an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (Foto: UKE, Bertram Solcher)
Rund 50 Betten in Isolier-Stationen stehen in Deutschland für Ebola-Patienten bereitBild: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/Bertram Solcher

Ruhe und Gelassenheit

Die Angst breitet sich schneller aus als das Virus selbst. Das sagt Alexander Kekulé, Virologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist einer von den Menschen, die sich die Mühe machen, auf 16 mal 37 eine befriedigende Antwort zu finden. Es sei durchaus möglich, dass es auch in Deutschland einzelne Ansteckungen gebe, so Kekulé gegenüber dem ZDF. Aber: "Wir kennen keinen Fall, in dem in einer U-Bahn oder durch bloßes Daneben-Sitzen oder Ähnliches Ebola übertragen wurde", so Kekulé.

Bis jetzt seien alle dokumentierten Übertragungen von Ebola durch engen unmittelbaren körperlichen Kontakt erfolgt, zum Beispiel zwischen Arzt und Patient. "Das Risiko, dass sich das ausbreitet wie die Grippe, das gibt es bei Ebola nicht," so Kekulé. Die Wahrscheinlichkeit, sich derzeit irgendwo in Deutschland mit Ebola anzustecken liege nahe Null. Seine Empfehlung deshalb: mehr Ruhe und Gelassenheit.