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Diedring: "Mehr legale Einwanderer"

Bernd Riegert25. Oktober 2013

Die EU-Mitgliedsstaaten haben wenig neue Rezepte, um Flüchtlingstragödien an den Grenzen zu verhindern. Der Generalsekretär des Europäischen Flüchtlingsrates empfiehlt ein komplettes Umdenken.

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Flüchtlinge vor Lampedusa (Foto:"picture-alliance/ROPI")
Bild: picture-alliance/ROPI

Deutsche Welle: Herr Diedring, Sie sind Generalsekretär des Europäischen Flüchtlingsrates, einer Lobbygruppe in Brüssel. Auf dem EU-Gipfel wurde über die tragischen Ereignisse von Lampedusa gesprochen, wo Hunderte von Flüchtlingen ihr Leben verloren haben. Was muss getan werden, um solche Tragödien zu vermeiden?

Michael Diedring: Die EU muss ihre beschämende Politik und ihre Prioritäten ändern: Leben retten statt Grenzen schließen! Außerdem muss die EU mehr legale Wege öffnen, um einen Zugang für Flüchtlinge und Asylbewerber nach Europa zu ermöglichen. Sie braucht eine Einwanderungspolitik, die die Anforderungen in einer modernen Welt erfüllt. Auf lange Sicht muss Europa darauf eingehen, warum die Menschen willens sind, ihr Leben zu riskieren, um nach Europa zu kommen.

Wie könnte legale Einwanderung nach Europa organisiert werden? Die Innen-Kommissarin Cecilia Malmström hat vorgeschlagen, in den Herkunftsländern Büros für Asylbewerber einzurichten, so dass Anträge bereits vor Ort gestellt werden könnten. Ist das eine gute Idee?

Das würde sicherlich helfen. Wir sprechen hier über die Botschaften der EU-Staaten, die man nutzen könnte. Das würde den Flüchtlingen sicher das Gefühl nehmen, dass sie keine andere Wahl haben, als Europa illegal zu betreten. Im Moment ist es ja fast unmöglich für Flüchtlinge, legal in die EU einzureisen.

Michael Diedring, Generalsekretär des Europäischen Flüchtlingsrates (ECRE, European Council on Refugees and Exiles), (Foto: Pressestelle des ECRE)
"Beschämende Politik der EU": Michael DiedringBild: ECRE

Italien verlangt erneut, dass die so genannten Dublin-II-Regeln geändert werden, nach denen Asylbewerber in dem Land bleiben müssen und Anträge stellen, in dem sie Europa das erste Mal betreten habe. Glauben Sie, dass die Lasten für die aufnehmenden Länder vom Süden in die nördlichen Länder verlagert werden müssen?

Wir glauben, das ist ein europäisches Problem. Das ist kein italienisches Problem oder ein Problem Maltas. Wenn man ein europäisches Asylsystem nach den Dublin-II-Regeln aufrecht erhält, dann schiebt man den Ländern im Süden einfach die ganze Verantwortung zu. Man braucht mehr europäische Solidarität. Die nördlichen Staaten sollten dem Süden stärker helfen, entweder durch die Aufnahme von Flüchtlingen oder finanzielle Hilfe.

Aber tut Italien genug, um das Problem zu lösen? Es gibt ja immer wieder Berichte und Beschwerden, dass das italienische Asylsystem marode ist?

Ich will jetzt hier nicht mit dem Finger auf ein bestimmtes Land zeigen. Unsere Organisation hat die Flüchtlingssysteme der verschiedenen EU-Staaten untersucht. Wir haben zwar auf dem Papier ein einheitliches europäisches Asylsystem, aber wenn man sich das genau anguckt, wie das gehandhabt wird, dann sieht man riesige Unterschiede. In fast allen Mitgliedsstaaten gibt es Kritikpunkte an dem System.

Wir sprechen oft von Asylbewerbern, Flüchtlingen und Einwanderern ohne groß zwischen diesen Gruppen zu unterscheiden. Ist es nicht richtig, dass die Menschen, die wirklich politisches Asyl suchen, in der Minderzahl sind? Die meisten Menschen kommen doch aus wirtschaftlichen Gründen, weil sie sich in Europa ein besseres Leben erhoffen?

Ich glaube, es ist schwierig und auch ein wenig gefährlich, diese feinen Unterscheidungen zu machen. Rechtlich betrachtet gibt es diese Unterscheidung natürlich, aber wenn man sich die aktuelle Flüchtlingslage im Mittelmeer anschaut, dann sieht man, dass mehr und mehr Syrer und Palästinenser in die Boote steigen. Die Syrer fliehen vor dem Krieg. Denen geht es nicht um eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Wir haben die Menschen aus Eritrea und Somalia, die vor einem repressiven Regime flüchten. Für Europa wäre es sinnvoller, die Menschen erst einmal aufzunehmen und dann nach den Gründen zu fragen, warum sie kommen. Wir haben selbst ein wirtschaftliches Interesse an den Menschen. Wenn Sie sich die demografische Entwicklung anschauen, dann sehen Sie, dass Europa Menschen braucht. Eine bessere Einwanderungspolitik würde auch den zukünftigen Bedürfnissen Europas gerecht werden.

Glauben Sie, dass jetzt kurzfristig etwas getan werden kann, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge in die Boote in Afrika steigen? Kann man diese lebensgefährlichen Reisen irgendwie unterbinden?

Es gibt keine kurzfristige Lösung. Die einzige kurzfristige Maßnahme, die sich die EU-Politiker unglücklicherweise anschauen, ist das weitere Dichtmachen oder eine Verlagerung der Grenzen. So kann man vielleicht Leben retten, aber das wird verzweifelte Menschen nicht auf Dauer davon abhalten, nach Europa aufzubrechen. Deshalb wäre es viel sinnvoller, auf legale Einwanderung zu setzen, eine leichtere Familienzusammenführung und Visa aus humanitären Gründen. Und es gibt schließlich die Idee, Flüchtlinge besser in Europa zu verteilen. Das ist nicht die alleinige Lösung, aber es wäre ein Teil der Lösung.

Michael Diedring ist Generalsekretär des Europäischen Rates für Flüchtlinge und Exilanten (ECRE) mit Sitz in Brüssel. ECRE ist ein Dachverband für Organisationen in Europa, die sich mit Flüchtlingshilfe befassen. Der Verband veröffentlicht regelmäßig Untersuchungen über die Zustände in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und versucht, die Gesetzgebung in Brüssel durch Lobbyarbeit zu beeinflussen. Die ECRE schätzt, dass derzeit 1,5 Millionen Flüchtlinge in Europa leben.