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Die Sprechstunden des Ángel Xolocotzi Yañez

Heiner Kiesel18. Februar 2014

Ein mexikanischer Heidegger-Experte erfährt in Deutschland, wie sehr der Schwarzwälder Philosoph zu seinem Heimatland passt. Für ihn selbst ist es nach seinen Forschungsaufenthalten schwieriger, zuhause zu leben.

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Ángel Xolocotzi Yáñez, ehemaliger Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (Foto: DW/Heiner Kiesel)
Bild: DW/H. Kiesel

Da war diese Sache mit dem Schild über dem Platz des Busfahrers, damals 1997, als Ángel Xolocotzi Yañez zum ersten Mal in Freiburg war. Außer ihm saßen noch zwei Passagiere in diesem ganz normalen Stadtbus. Während er beim Ticketkauf aufs Wechselgeld wartete, las er den kurzen Hinweis: "Nicht mit dem Fahrer sprechen!" Dann setzte er sich. "Und es hat wirklich niemand mit dem Busfahrer geredet, sondern alle haben brav den Halteknopf gedrückt." Fast 20 Jahre später wundert Xolocotzi sich noch immer, ganz phänomenologisch: "Die Regel steht über der Situation." In Mexiko hätte jeder gebrüllt: 'Halt an', statt die Technik als Mittler zu benutzen, analysiert der Philosoph und Heidegger-Kenner. Deutschland war ein Schock - zuerst. Aber inzwischen lebt er sein mexikanisches Leben auch ein bisschen deutscher.

Philosophie mit Praxisbezug

Seine erste Annäherung an das ferne europäische Land war eher pragmatisch orientiert. "Ich bin nach Deutschland gekommen, weil das einfach notwendig ist, wenn man sich mit Gegenwartsphilosophie auseinandersetzt." Es verschlug ihn nach Freiburg, wo er bei seinem Forschungsaufenthalt von 1997 bis 2001 mit Summa cum laude promovierte. 2005 bis 2008 kam er nochmal in die Stadt am Fuße des Schwarzwaldes - mit einem Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. In der baden-württembergischen Stadt schlug ihn Martin Heidegger und dessen Denken in seinen Bann. "Ich hatte Heidegger zuvor auf Spanisch gelesen, aber das ergab wegen der seltsamen Übersetzungen keinen Sinn", erinnert sich Xolocotzi. Doch als die Sprachbarriere zwischen ihm und dem Deutschen durchbrochen war, ging ihm auf, wie sehr das - eher technikkritische -Philosophieren Heideggers zu Lateinamerika passte. Denn der Schwarzwälder Denker befasste sich mit Fragestellungen des Alltags, der Gemeinschaft, der Gefühlsregungen - Dinge, die man in Mexiko eigentlich viel besser beobachten könne. "Das hat mir Wege eröffnet, das Dasein bei uns besser zu verstehen."

Keine besonderen Vorkommnisse

Nicht mit dem Professor sprechen!

Zu dieser Einsicht in das "Seiende" hat ihm außerdem noch die Erfahrung des wissenschaftlichen und privaten Alltags in Deutschland geholfen. Der 43-jährige Xolocotzi stammt aus Mexico City. Es habe ihn ziemlich verändert, in Deutschland zu forschen. "Es ist einfach nichts los, aber alles funktioniert, und du wirst nicht gestört", sagt er. Zuhause wolle er es am liebsten auch so haben. "Naja, ich habe dann eine Sprechstunde wie meine deutschen Kollegen eingerichtet, damit die Studenten wissen, wann sie zu mir können und wann ich meine Ruhe haben will." Xolocotzi fährt sich mit der Hand über seinen dunklen Bart. "Das hat natürlich nicht geklappt." Die Studenten seien trotzdem gekommen, und dann müsse man sich eben mit ihnen auseinandersetzen. Das passiert aber nicht so genervt, wie es sich anhört: Bei seinen Studenten an der Benemérita Universidad Autónoma de Puebla, etwa 130 Kilometer von der Hauptstadt Mexico City entfernt, gilt er als offener und zugänglicher Professor.

Der mexikanische Philosoph Ángel Xolocotzi Yañez in seiner Küche (Foto: privat/Ángel Xolocotzi Yañez)
Aus Deutschland hat Ángel auch viele Kochrezepte mitgebrachtBild: Privat

Er kümmert sich auch intensiv um seine Schüler. Ángel Xolocotzi sorgt dafür, dass immer wieder Studenten aus seiner Universität nach Deutschland gehen. Damit sie auch mitbekommen, wie gut das einem Wissenschaftler tut, wenn er jeden Tag zur selben Zeit in die Bibliothek geht, forscht und mittags pünktlich isst. Die Verbindungen zu den deutschen Kollegen werden gestärkt, und in Mexiko wächst ein Netzwerk von Deutschland-Veteranen. "Wenn jemand von dort zurückkommt, hat man oft einen ganz besonderen Kontakt miteinander." Dabei geht es nicht nur um die wissenschaftliche Erfahrung, sondern auch um eine viel tiefere Veränderung im Leben. Deutschland sei schon eine ziemlich extreme und prägende Erfahrung für die meisten.

Ein leicht unmexikanischer Haushalt

Dass einen Deutschland verändert, hat auch seine Frau Sofía bemerkt. Sie ist inzwischen überzeugt, dass er nicht mehr so ganz normal ist, seitdem er in Freiburg gelebt hat. "Er will immer alles planen, und er ist der Pünktlichste von allen geworden", sagt sie, "so richtig ein Vorbild." Die junge Mexikanerin sagt das auch ein bisschen stolz. Zuhause hat sich noch mehr verändert. Ganz grundlegend: Bei Ángel und Sofía bleibt der Fernseher aus. "Wir lassen das einfach, auch wenn wir dadurch gar nicht mehr richtig mitreden können." Mit seiner Schwester hatten die beiden deswegen auch schon Streit - in Mexiko laufe einfach überall und ganz selbstverständlich das Fernsehen den Tag über mit. Eine medienkritische Haltung ecke da extrem an. Weniger problematisch sind die neuen Vorlieben des Philosophen, was die Küche angeht. Sofía zieht die Augenbrauen hoch. "Es gibt ziemlich oft Soßen und Kartoffeln."

Vanessa Sofía Xolocotzi aus Mexiko, Ehefrau von Ángel Xolocotzi Yáñez (DW/Heiner Kiesel)
Sofía bringt Verständnis für Ángels neue Vorlieben aufBild: DW/H. Kiesel