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Die Exil-Bruderschaft

Naomi Conrad16. Dezember 2013

Die führenden Mitglieder der ägyptischen Muslimbruderschaft sind geflohen oder wurden verhaftet - einige sind sogar tot. Im Exil versuchen die Brüder, Unterstützung zu finden. Mit mäßigem Erfolg.

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Ein Muslimbruder protestiert Mitte November in Kairo
Bild: Reuters

Abdul Mawgoud Dardery streckt die Hand aus. Die Begrüßung des Sprechers der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder wird von den schrillen Weihnachtsliedern übertönt, die ununterbrochen aus den Lautsprechern der Berliner Hotellobby trällern.

Dardery antwortet routiniert und flüssig: Der Parlamentarier - 100 Tage im Amt, bis das Militär im Sommer Präsident Mohammed Mursi stürzte - reist im Auftrag der Muslimbruderschaft um die Welt. Er trifft europäische Diplomaten, Studenten und Akademiker. Hinzu kommen Radio- und Fernsehinterviews, in denen er den "Staatsstreich" der Militärführung anprangert und Mursis Amtszeit verteidigt. Natürlich habe der Präsident Fehler gemacht, setzt Dardery an. "Er hätte beherzter die Polizei reformieren und das Militär aus dem politischen Prozess drängen müssen." Der Präsident aus den Reihen der Muslimbrüder hätte außerdem vermehrt gegen die Korruption vorgehen und stärker auf die Opposition zugehen sollen. "Natürlich auch auf die koptische Kirche", fügt er hinzu. Aber: "Die Polizei und Armee, die Justiz, sogar die Staatsstrukturen haben gegen Mursi gearbeitet." Unter den Umständen habe sein Präsident keine Macht ausüben können.

Demonstrant mit Mursi-Pakat (Foto: Mahmud Hamsa/Afp/Getty Images)
Demonstrant mit Mursi-Fahne (Juli 2013)Bild: Mahmud Hams/AFP/Getty Images

"De facto Untergrundorganisation"

Der frühere Dozent für englische Literatur Dardery zupft kurz an der großen gelben Anstecknadel an seinem Pullover: eine schwarze Hand. Das Zeichen erinnert an die über 600 Demonstranten, darunter viele Anhänger der Muslimbrüder, die auf dem Platz Rabaa al-Adawija in Kairo für die Wiedereinsetzung von Mursi demonstriert hatten. Am 14. August wurden viele von ihnen von Sicherheitskräften getötet. Seit sie im September verboten wurden, seien die Muslimbrüder de facto eine Untergrundorganisation, sagt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Politikwissenschaftler ist vor Kurzem aus Ägypten zurückgekehrt. Viele seiner ehemaligen Kontaktpersonen in der Muslimbruderschaft sind längst verhaftet - oder sogar tot.

Dardery ist Teil einer kleinen Gruppe von Führungskadern der Muslimbrüder, die sich rechtzeitig ins Ausland absetzen konnten. Von dort aus wollen sie die Kommunikationskanäle nach Ägypten - auch zu den inhaftierten Führungsmitgliedern - offen halten. Außerdem versuchen sie, die öffentliche Meinung im Ausland auf ihre Seite zu ziehen, sagt Roll. Insbesondere im westlichen Ausland würden die Muslimbrüder für ihre Minimalforderungen werben: Das Ende des verfassungsgebenden Prozesses unter der Militärführung und einen neuen, inklusiven politischen Prozess ohne Beteiligung der Soldaten.

"Europa scheinheilig"

Zwar würden westliche Regierungen den Kontakt zu den Muslimbrüdern suchen, doch verhielten sie sich "sehr vorsichtig, was eine Verurteilung der neuen politischen Führung angeht", so Roll. Der Politikwissenschaftler hält das für problematisch. Dardery sagt, er habe dem Auswärtigen Amt vor ein paar Tagen die Sichtweise der Muslimbrüder darstellen können. Das Treffen sei "konstruktiv" gewesen, politische Versprechen habe er aber keine bekommen. Offiziell will sich das Auswärtige Amt zu dem Treffen allerdings nicht äußern.

Stephan Roll, Ägypten-Experte
Politikwissenschaftler Roll befürchtet eine mögliche RadikalisierungBild: SWP

Vor ein paar Wochen, erzählt Dardery, habe er einen europäischen Diplomaten in Brüssel gefragt, was denn passiert wäre, wenn statt des Militärs die Muslimbrüder die Macht ergriffen und auf Demonstranten geschossen hätten. "Die Antwort war: Sanktionen und eine Herabstufung der diplomatischen Beziehungen." Dardery schüttelt empört den Kopf: Europa könne nicht einerseits für Demokratie werben, andererseits den Staatsstreich nicht verurteilen. Die europäische Zurückhaltung sei einfach "scheinheilig." Dabei könnte Europa, allen voran Deutschland, doch eine so wichtige Rolle spielen und sich für die Demokratie einsetzen. Europas Politiker hätten einfach Angst vor dem Islam, so Dardery.

Ein paar deutsche Studenten aus Hamburg unterbrechen kurz das Interview. Sie schütteln Darderys Hand und wünschen ihm Glück. Der Muslimbruder lächelt breit: Solche Sympathiebekundungen, vor allem von Europäern, würden ihm sehr viel bedeuten.

Mögliche Radikalisierung?

Doch die Muslimbrüder, sagt Roll, suchen nicht nur bei Politikern und Studenten nach Unterstützung: Sie wollten den Widerstand gegen das Militärregime und eine möglichst breite Bevölkerungsschicht sowie andere oppositionelle Akteure und Gruppierungen miteinbeziehen: "Damit die Auseinandersetzung nicht als Kampf der Muslimbrüder gegen das neue Regime gesehen wird." Allerdings mit mäßigem Erfolg: Bislang sei es noch nicht so, dass sich linke und säkulare Oppositionsgruppen klar mit dem islamistischen Lager zusammengetan hätten. Je länger der politische Prozess instabil bleibe und die massiven Wirtschaftsprobleme sich noch weiter verschärften, sei es allerdings durchaus möglich, dass es doch noch zu einer Kooperation und Koordination komme. Möglich sei auch eine Radikalisierung der Anhänger. Es gebe in der Muslimbruderschaft große Bedenken, "dass man mehr und mehr die Kontrolle über die eigenen Mitglieder und über Sympathisanten der Organisation verliert und dass das dazu führen kann, dass auf lokaler Ebene Gewalt als adäquates Mittel gesehen wird." Eine reale Gefahr, glaubt Roll.

Eine Muslimschwester in Kairo

"Wir werden nie gewalttätig werden", versichert hingegen Dardery. Er schließe aber nicht aus, dass andere Akteure - außerhalb der Muslimbruderschaft - zu gewalttätigen Mitteln greifen könnten.

Am Ende des Gesprächs lehnt sich Dardery nach vorne: "Was meinen Sie denn? Wie können wir uns besser im Ausland verkaufen?" Er könne da Tipps ganz gut gebrauchen, sagt er und holt einen Stift hervor. Aus den Lautsprechern trällert "Last Christmas", eine Schnulze, die von vergangener Liebe und Neuanfang handelt.