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Deutschland zentralisiert Ausländer-Daten

Luisa von Richthofen
24. Juni 2021

Die Bundesregierung will die persönlichen Daten von Ausländern zentralisieren. Das soll für mehr Effizienz der Behörden sorgen. Experten warnen vor Daten-Leaks an Verfolgerstaaten.

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Deutschland | Akten im Landessozialgericht Niedersachsen
Bild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert haben die Sensibilität für das Thema Datenschutz in Deutschland wachsen lassen. Besonders zeigt sich dies, wenn der Staat mehr Informationen sammeln möchte. Wochenlang haben viele Deutsche darüber debattiert, welche Daten in die Corona-App der Bundesregierung fließen sollten. Nur mit einem Minimalkompromiss gab man sich zufrieden. Daten: Ja. Aber alles anonym und dezentral gespeichert, bitte.

Daten von Ausländern zentral gesammelt

Umso mehr irritiert einGesetzentwurf des Innenministeriums, der diese Woche im Bundesrat eingebracht wird. Der sieht vor, Daten der in Deutschland lebenden Ausländer in einer Zentralkartei zu erfassen: darunter in manchen Fällen auch hochsensible persönliche Informationen, etwa über die politische und sexuelle Orientierung. Experten warnen davor, dass dies für Betroffene eine Gefahr darstellen könnte.

Deutschland Berlin | Vorstellung Verfassungsschutzbericht 2020 | Horst Seehofer, Bundesinnenminister
Das Bundesinnenministerium unter Führung von Horst Seehofer (CSU) sagt, es wolle mit der Ausweitung des AZR die Behörden entlastenBild: Michael Sohn/AP Photo/picture alliance

Das Ausländerzentralregister (AZR), die Datenbank, die ausgebaut werden soll, existiert bereits. Jeder Nicht-Deutsche, der sich länger als drei Monate im Land aufhält, hat darin eine Akte. Im Fall von Geflüchteten werden zusätzliche Informationen gespeichert, etwa Fingerabdrücke und Informationen über den Gesundheitszustand. Mit dem neuen Gesetz kämen unter anderem Adressen in Deutschland, die ausländische Identifizierungsnummer sowie die Asylakten und Gerichtsurteile zum Asylverfahren hinzu.

Bisher wurden diese Informationen von den rund 600 lokalen Ausländerbehörden verwaltet. Nun sollen sie in das zentrale Register wandern, wo sie dann einer langen Reihe von Behörden zur Verfügung stehen: darunter Jobcenter, Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Jugendämter. Es sind etwa 150.000 Zugriffsberechtigte, die mit wenig Aufwand die intimsten Details eines Lebens einsehen könnten.

Verhandlung über den Asylantrag einer lesbischen Frau aus Uganda
Protest gegen die Abschiebung einer lesbischen Frau aus Uganda - im Ausländerzentralregister stehen auch sensible Daten zur sexuellen OrientierungBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz sagt, es sei grundsätzlich nicht falsch, die Digitalisierung auch für Daten von Ausländern voranzubringen: Asylverfahren verzögern sich häufig, wenn Menschen umziehen. Akten werden über den Postweg zwischen Behörden ausgetauscht, gehen verloren.

Ein asylsuchender Mann aus dem Irak sagte der Deutschen Welle, auf diese Weise seien hochsensible Dokumente vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei seinem Nachmieter im Briefkasten gelandet. Auch die Doppelerfassung von Personen durch Behörden kann für Asylsuchende verheerende Konsequenzen haben. Eine zentralisierte Datenbank würde dies verhindern.

Gefahr: Daten für Verfolgerstaaten "auf dem Silbertablett"

Doch Weichert sowie zahlreiche Fachleute - Wohlfahrtsverbände, LGBTQ-Verbände, Datenschutzexperten und auch manche Verwaltungsbeamte - halten das Gesetz für unausgewogen und fehlerhaft. Selten sind sich Fachleute so einig gewesen, wie bei der Expertenanhörung am 3. Mai: Beim Entwurf sei auf den Nutzen der Behörden, wenig jedoch auf die Rechte der Betroffenen geachtet worden. Sie hätten nicht die Möglichkeit zu erfahren, was mit ihren Daten passiert und wer darauf zugreift.

"Ich gehe außerdem davon aus, dass Geheimdienste der Verfolgerstaaten ihre Mitarbeiter auch in deutschen Behörden sitzen haben", sagt Weichert der DW. Mit dem AZR würden ihnen nun "Daten von Leuten, die politisch verfolgt sind, auf dem Silbertablett geliefert". Denn eine behördliche Kontrolle darüber, wer die Daten einsieht, gibt es kaum.

Schockiert, "dass so etwas in Deutschland passieren konnte"

Das zeigen die Erfahrungen von Amin L. (Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt). Er kam als Asylsuchender nach Deutschland. In seinem Heimatland soll er auf einer Todesliste gestanden haben. Er lernte Deutsch, machte rasch Fortschritte und begann eine Ausbildung als Pflegekraft. Damit hat er gute Aussichten auf einen Aufenthaltstitel. Deshalb berichtete er in einer Facebook-Gruppe über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz als Möglichkeit, legal nach Deutschland zu kommen.

Datenschützer Thilo Weichert
Thilo Weichert ist ehemaliger Datenschutz-Beauftragter im Bundesland Schleswig-HolsteinBild: picture-alliance/dpa/C.Rehder

Kurz darauf bekam er über Facebook eine Nachricht: Der Absender forderte ihn auf, Flüchtlingen keine falschen Hoffnungen zu machen. Als Nachweis, dass er ein Beamter und damit eine Autoritätsperson sei, sandte der Absender dem Betroffenen am nächsten Tag einen Auszug aus dem AZR. Darin waren persönliche Informationen zu sehen, auch die Adresse von Amin L.

Der Altenpfleger bekam Angst, vermutete, dass nun auch der Verfolgerstaat Zugriff auf seine Daten bekäme und ihn möglicherweise auch in Deutschland im Visier habe. "Ich war schockiert", berichtet er der Deutschen Welle, "dass so etwas in Deutschland passieren konnte. Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt, bin aus meiner Wohnung raus und habe ernsthaft erwogen, das Land zu verlassen". Trotz einer Anzeige gegen den Absender der Nachrichten ermittelte die Staatsanwaltschaft nur kurze Zeit und stellte dann das Verfahren ein.

Luise Amtsberg
Für Grünen-Politikerin Luise Amtsberg stellt die Gesetzänderung eine Gefahr für geflüchtete Menschen darBild: Stefan Kaminski

ARD-Journalisten haben herausgefunden, dass es sich bei dem Täter nicht um einen Geheimdienstmann, sondern einen Mitarbeiter beim Jobcenter handelte. Dass der Mitarbeiter einer beliebigen Behörde ungehindert Zugriff auf sensible Informationen bekommt, könnte darauf deuten, dass das AZR nicht ausreichend vor Missbrauch gesichert ist.

Viel Kritik am Gesetzentwurf

Der Entwurf der Regierungsparteien stößt auch in der Politik auf Ablehnung. Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, sagt der DW: "Wir sind verantwortlich für die Menschen, die in Deutschland Schutz gesucht haben. Nun setzen wir sie einer Gefahr aus." Außerdem sei der massive Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung von Ausländern nicht gerechtfertigt.

Auch der Vize-Bundesvorsitzende der AG Migration in der SPD, Hussien Khedr, nennt den Entwurf, den seine Partei eigentlich mitträgt, diskriminierend: "Warum gibt es ein Ausländerzentralregister? Gibt es denn ein DZR? Ein Deutschen-Zentralregister?"

Trotz aller Kritik wollen die Regierungsparteien der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD das Gesetz noch vor Ende der Legislaturperiode im Herbst auch durch den Bundesrat bringen. Im Mai wurde es im Bundestag verabschiedet - mit den Stimmen aus der teils widerstrebenden SPD.

Hussien Khedr, Vize Vorsitzender der AG Migration der SPD
Hussien Khedr (SPD) sagt, es habe schon zu viele Fälle gegeben, in dem Daten aus dem AZR missbraucht wurdenBild: Hussien Khedr

Im Bundesrat sind auch Bündnis 90/Grüne und die Linke vertreten, die zusammen in elf der 16 deutschen Bundesländer mitregieren. Im Bundestag hatten beide Oppositionsparteien gegen das Gesetz gestimmt. Kritiker wie die Grüne Luise Amtsberg rechnen damit, dass das Gesetz höchstens noch einmal überarbeitet wird, den Bundesrat am Ende aber passiert.