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Deutsch büffeln statt Fußball spielen

Janine Albrecht24. Juli 2013

Sie sind clever und schaffen trotzdem kaum das Abitur. Viele Migrantenkinder haben es in Deutschland schwer, wenn es um Bildung geht. Das Interkulturelle Schülerseminar der Uni Hamburg macht sie fit für die Hochschule.

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Zwei Schülerinnen schauen in einen Duden (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Wenn man in der Schule mehrmals etwas nachfragt, reagieren Lehrer oft ziemlich genervt", berichtet der 15 Jahre alte Arian aus seinem Schulalltag. Er geht auf eine Hamburger Realschule. Seit fast zwei Jahren besucht der Sohn iranischer Eltern einen Deutschkurs des Interkulturellen Schülerseminars (IKS) an der Universität Hamburg. Sein Vater hat ihn hier angemeldet, ohne dass er etwas davon gewusst hat. Seitdem kommt er zwei Mal in der Woche für 90 Minuten zum Unterricht. Heute ist er seinem Vater dankbar. "Ich habe mich in Deutsch um drei Noten verbessert, von einer Fünf auf eine Zwei", sagt er. Im Kurs könne er immer wieder fragen, wenn er etwas nicht verstanden habe.

Wortschatz sehr gering

Arian und den anderen Schülern, die im IKS zusätzlich unterrichtet werden, fehlt es nicht an Intelligenz, sondern nur an der richtigen Unterstützung. Ihre Defizite liegen vor allem in der deutschen Sprache, wie auch die Kursleiterin Lisa Misonzhnikova weiß. Der Wortschatz vieler Kinder aus Migrationsfamilien sei sehr gering. Auch mit der Grammatik hapere es ziemlich.

Im IKS wird diesen Kindern ab der vierten Klasse in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik zusätzliche Hilfe geboten, wie Professor Ursula Neumann, Leiterin des Projektes, erklärt. Die Idee sei dabei, die sprachlichen Anteile bei allen Fächern im Blick zu haben: "In der vierten Klasse besteht der Matheunterricht viel aus Textaufgaben. Der Schüler muss bestimmte Signalwörter verstehen, etwa dass mit 'mindern' das Minusrechnen gemeint ist", sagt Neumann. Doch das würde in der Schule häufig nicht gelehrt, sondern einfach vorausgesetzt. Die sprachlichen Anforderungen seien auch in der Oberstufe für Schüler mit Migrationshintergrund sehr hoch. "Aber mit einer entsprechenden Unterstützung können sie das Abitur schaffen und am Ende auch studieren, was sie wollen", so Neumann. Sie hofft, dass einige der Schüler hier auch Interesse am Lehrerberuf gewinnen. In vielen Hamburger Schulen gibt es Klassen mit 50 Prozent Migrationsanteil, Lehrer mit ausländischen Wurzeln machen dagegen weniger als fünf Prozent aus.

Ursula Neumann, Projektleiterin des Interkulturellen Schülerseminars an der Universität Hamburg (Foto: DW/Janine Albrecht)
Projektleiterin Ursula Neumann weiß, dass die sprachlichen Anforderungen an die Schüler hoch sindBild: DW/Janine Albrecht

Gemeinsame Erfahrungen verbinden

Neben den sprachlichen Defiziten fehlt es den Kindern, die ins IKS kommen, häufig auch an hiesigem Allgemeinwissen.

"Wir haben heute einen Deutschtext über den Bauhaus-Stil, die 1919 von Walter Gropius gegründete Kunstbewegung, gelesen. Deutsche Kinder wissen vielleicht, was das ist. Sie können so etwas mit den Eltern zu Hause besprechen", sagt Kursleiterin Lisa Misonzhnikova. Im Klassenzimmer führen solche Unterschiede nicht selten zu Konflikten. "In meiner Klasse war das oft so, dass die Deutschen, die so etwas schon von zu Hause wissen, dann stöhnen: Oh, sowas muss man doch wissen. Da kommen dann doofe Sprüche", berichtet Gertrude, deren Eltern aus Ghana stammen. Ihre Mutter habe sie am Anfang regelrecht gezwungen, den Kurs zu besuchen. Doch dann habe es ihr so gut gefallen, dass sie ihre Mitschülerin Sepideh mitgenommen habe. "Wir helfen uns hier alle gegenseitig", sagt die 16-Jährige über die Atmosphäre der kleinen Gruppe. Dass alle aus Familien mit Migrationshintergrund stammen, mache es leichter, pflichtet Ali ihr bei.

Schülerin Krishma und Schüler Arian im Deutschkurs am Interkulturellen Schülerseminar an der Universität Hamburg (Foto: DW/Janine Albrecht)
Arian (links) hat sich durch das Interkulturelle Seminar in der Schule verbessert - vor allem in DeutschBild: DW/Janine Albrecht

Auch für ihre Lehrerin ist Deutsch keine Muttersprache. Die 27-jährige Russin Lisa Misonzhnikova ist erst seit 2008 in Hamburg, um den Bachelor in Spanisch und Deutsch zu machen. Seit vier Jahren unterrichtet sie am IKS. Die Atmosphäre in ihrem Unterricht ist entspannt. Alle konzentrieren sich, auch wenn sie jetzt lieber draußen wären, um den Sommerabend zu genießen, wie sie grinsend zugeben. Doch stattdessen büffeln sie nach einem langen Schultag hier noch weiter Deutsch. "Was soll's, man muss auch was für seine Zukunft machen", sagt Ali, der sonst gerne Fußball spielt.

Fit für die Uni machen

Wer hier am IKS der Universität Hamburg teilnimmt, wird auch auf das Abitur vorbereitet, denn die Zukunft dieser Jugendlichen soll ein Studium sein. Das Ziel des Projektes ist es, Schüler mit Migrationshintergrund und hohem Bildungspotenzial fit für die Uni zu machen. Dafür werden sie von Lehramtsstudenten unterrichtet, von denen die meisten selbst einen Migrationshintergrund haben. Sie sollen Vorbilder sein, die es trotz ähnlicher Hindernisse geschafft haben, ihr Abitur zu machen und zu studieren.

Bis dahin müssen die Schüler von Lisa Misonzhnikova noch einige Zeit die Schulbank drücken. Die angehende Lehrerin kann sich noch zu gut daran erinnern, welche Tücken das Deutsche einst für sie selbst hatte. "Ich sollte Deutschunterricht auf Deutsch geben, das war am Anfang nicht so leicht", sagt sie. Ihr hätten schlicht die richtigen Wörter gefehlt. "Ich wusste nicht, wie die ganzen Schulsachen auf Deutsch heißen. Wir haben Goethe gelesen oder Schiller, aber solche Wörter wie 'Tintenkiller' hörte ich zum ersten Mal bei den Kindern."

Lisa Misonzhnikova, Kursleiterin des Deutschkurses am Interkulturellen Schülerseminar an der Universität Hamburg (Foto: DW/Janine Albrecht)
Bei Lisa Misonzhnikova macht der Unterricht SpaßBild: DW/Janine Albrecht

Daher musste auch sie vieles nachfragen, was für ihre deutschen Kommilitonen ganz selbstverständlich war. Genau diese Erfahrung verbindet sie mit ihren Schülern. Bei ihr bekommt kein Schüler eine dumme oder genervte Antwort, wenn er eine Frage hat.