1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona-Krise: "Wirtschaft unter Schock"

8. April 2020

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute wagen sich mit ihrem Frühjahrsgutachten an eine Prognose in Zeiten von Corona. Die Aussichten: Deutschland steht vor "einer schwerwiegenden Rezession".

https://p.dw.com/p/3acUG
Stark betroffen ist auch der Einzelhandel, da zahlreiche Geschäfte und Kaufhäuser geschlossen sind
Stark betroffen ist auch der Einzelhandel, da zahlreiche Geschäfte und Kaufhäuser geschlossen sindBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Voraussagen von Ökonomen über die Wirtschaft haben in diesen Zeiten Ähnlichkeiten mit Aussagen von Astronomen über Schwarze Löcher: keine direkte Erfahrung und wenige belastbare Daten. Eine Katastrophe wie die Corona-Krise gab es noch nie. Dennoch haben die fünf wichtigsten Institute für Wirtschaftsforschung in Deutschland die Aussichten für das Land neu berechnet. In diesem Jahr, so ihre am Mittwoch in München präsentierte Prognose, dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 4,2 Prozent schrumpfen. "Das wäre nach 2009 die tiefste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, so die Forscher. Im Jahr nach der Finanzkrise war die Wirtschaft hierzulande um 5,7 Prozent eingebrochen.   

Bereits im ersten Quartal 2020 könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorquartal geschrumpft sein, erwarten die Institute. Im zweiten Quartal bricht es dann laut Gutachten als Folge des Shutdowns um 9,8 Prozent ein. Das wäre dann der stärkste seit Beginn der Vierteljahresrechnung im Jahr 1970 je gemessene Rückgang in Deutschland. 

Die ausführliche Studie finden Sie hier 

"Deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt"

Betroffen sind abhängig Beschäftigte wie Selbstständige: In dem Gutachten heißt es, sowohl die Lohnsumme als auch die Einkommen aus selbstständiger Arbeit und Vermögen werden im laufenden Jahr zurückgehen.

"Die Rezession hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt", sagte ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. "In der Spitze wird die Arbeitslosenquote in diesem Jahr auf 5,9 Prozent und die Zahl der Kurzarbeiter auf 2,4 Millionen hochschnellen." Im Durchschnitt werden die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr um knapp eine Viertel Million auf 2,5 Millionen steigen.

Corona-Krise: Interview mit Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser

Die Folgen von steigender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit dürften aber durch eingeleitete staatliche Zahlungen gedämpft werden. Noch ein kleiner Lichtblick: Die Verbraucher dürfen mit kaum wachsenden Preisen rechnen. Ein Preisauftrieb von nur 0,6 Prozent sei vor allem durch den Absturz der Ölpreise begründet. 

Schnelle und kräftige Erholung?

Vor wenigen Tagen, Ende März, hatten die sogenannten Wirtschaftsweisen ihr Sondergutachten zur Corona-Krise vorgelegt und waren da noch zu weniger drastischen Ergebnissen gelangt. Die Berater der Bundesregierung hatten als derzeit wahrscheinlichstes Szenario einen fünfwöchigen Shutdown und eine anschließende kurze Erholungsphase angenommen. Für diesen Fall, so ihre Prognose, würde das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 2020 um 2,8 Prozent schrumpfen, um im folgenden Jahr gleich wieder um 3,7 Prozent zuzulegen.

Dagegen rechnen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mit einer etwas kräftigeren Erholung: "Deutschland bringt gute Voraussetzungen mit, den wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften und mittelfristig wieder das wirtschaftliche Niveau zu erreichen, das sich ohne die Krise ergeben hätte", sagte Ifo-Ökonom Wollmershäuser. Für das kommende Jahr sagen die Institute eine Erholung und ein Wachstum von 5,8 Prozent voraus. Die Erholung könnte dem Gutachten zufolge bereits im dritten und vierten Quartal des laufenden Jahres einsetzen - mit einem BIP-Zuwachs von 8,5 beziehungsweise 3,1 jeweils zum Vorquartal.

"Wir gehen davon aus, dass die Weltkonjunktur sich weitgehend synchron erholt", sagte Ifo-Ökonom Wollmershäuser am Mittwoch vor der Presse. Das sollte innerhalb von ein, zwei Monaten beginnen. Sein Mit-Autor Stefan Kooths vom IfW Kiel geht denn auch davon aus, "dass sich an der globalen Ausrichtung der deutschen Wirtschaft nichts ändern wird".

HHLA Container Terminal Hamburg Hafen Deutschland
Stillstand - hier im Hamburger Hafen Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Große Unwägbarkeiten

Am Frühjahrsgutachten beteiligt sind das DIW aus Berlin, das ifo Institut München, das IfW aus Kiel, IWH in Halle und RWI aus Essen. Die mit dieser Prognose verbundenen Unwägbarkeiten sind groß, auch das verschweigen die Forscher nicht. So könnte sich die Pandemie deutlich langsamer abschwächen als angenommen. Auch könnte es schwieriger werden als angenommen, die wirtschaftliche Aktivität wieder hochzufahren, sollte sich erneut eine Ansteckungswelle ausbreiten. Auch ist denkbar, dass doch weitere Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung in Kraft treten, die die Produktion länger oder in größerem Umfang stilllegen. Dann würden Verwerfungen im Finanzsystem als Folge zunehmender Unternehmensinsolvenzen wahrscheinlicher - denn in Gänze ließe sich das durch staatliche Schutzschilde nicht verhindern.

Vorsichtig äußerte sich Ifo-Ökonom Wollmershäuser zur Lebensdauer dieser Diagnosen: "Wahrscheinlich müssen wir in den nächsten Wochen unsere Prognosen häufig revidieren" - nicht zuletzt hänge das vom Verlauf der Infektionen an. Auch das angenommene Datum für das Ende des Shutdown sei alles andere als sicher. 

ar/hb (dpa, rtr - ifo)