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Christian Schmidt: Bosnien braucht Fortschritt

29. Juni 2023

Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, spricht im DW-Interview über den Reformstau in Bosnien und Herzegowina, den Konflikt mit Milorad Dodik und Kritik an seiner Amtsführung.

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Bosnien Herzegowina Christian Schmidt
Christian Schmidt, Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft für Bosnien und HerzegowinaBild: Elman Omic/AA/picture alliance

Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (OHR) mit Büro in Sarajevo, Christian Schmidt, war dieser Tage in Berlin, wo er unter anderem mit dem Außenpolitischen Ausschuss des Bundestags sprach und an einer Konferenz über die Zukunft der Reformen in Bosnien und Herzegowina teilnahm. Die DW hatte die Gelegenheit, mit Schmidt anlässlich seines Besuchs in Berlin ein Gespräch zu führen.

Der Auftritt vor dem Außenpolitischen Ausschuss wurde von Teilen der Öffentlichkeit, insbesondere in Bosnien und Herzegowina, aufgrund der Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung und seinem politischen Vorgehen als eine Art Showdown zwischen dem Deutschen Bundestag und Schmidt angekündigt. Vor allem die bosniakische Seite, aber auch einige Bundestagsabgeordnete werfen Schmidt vor, die kroatische Seite in Bosnien und Herzegowina zu begünstigen, und zwar im Wesentlichen durch Änderungen des Wahlgesetzes und der Regeln zur Bildung der Entitätsregierung.

Bosnien und Herzegowina Sarajewo | Proteste gegen Christian Schmidt
Protest im Juli 2022 in Sarajavo, weil Schmidt mit einer Wahlgesetzänderung angeblich die kroatischen Parteien in Bosnien und Herzegowina bevorzugteBild: Klix.ba

Im Exklusivinterview mit der DW erklärte Schmidt, er sei vor dem Außenpolitischen Ausschuss des Bundestags erschienen, um seine Arbeit vorzustellen und nicht, um sich zu verteidigen. "Der Ausschuss für Außenpolitik hat das Recht, über meine internationalen Aktivitäten informiert zu werden. Dabei ging es nicht um die Überprüfung meiner Arbeit, sondern um den Austausch von Informationen", sagte Schmidt, der sich gleichzeitig bei seinen Kollegen im Ausschuss für ihr "sachliches Interesse" bezüglich seiner Aktivitäten in Bosnien und Herzegowina bedankte.

Parteipolitische Interessen zurückstellen

Gleichzeitig sagte er, es sei völlig selbstverständlich, dass nicht jeder "zu 100 Prozent einer Meinung" sei. "Es gab kritische Bemerkungen zu meiner Arbeit, aber wer meint, dass es um 100 Prozent Zustimmung gehen muss, hat nicht verstanden, wie parlamentarische Demokratie funktioniert", sagt Schmidt.

Bosnien und Herzegowina, Sarajevo | Protest gegen Christian Schmidt
Proteste gegen Christian Schmidt in Sarajevo am 31.03.2023. Auf dem Plakat steht: "Christian, es reicht!"Bild: Klix.ba

Nach einer Zeit heftiger Angriffe auf seine Position, sagte Schmidt, hoffe er, dass nun die Parteiinteressen zurückgestellt werden würden und sich alle Kräfte auf die Beschleunigung des Reformprozesses richteten. Es sei notwendig, dass der nächste EU-Bericht über Bosnien und Herzegowina, das Ende vergangenen Jahres den EU-Kandidatenstatus erhalten habe, Fortschritte zum Besseren feststelle. "Ich denke, wir kommen an einen Punkt, an dem wir uns konzentrieren und parteipolitische Interessen zurückstellen müssen", so Schmidt. Für ihn gilt es nun, die Dynamik zu nutzen, die durch die Erlangung des Kandidatenstatus und die Regierungsbildung entstanden ist.

"Dodik nicht verloren"

Gleichzeitig sagte er jedoch, dass weiter an der Stabilisierung des Landes gearbeitet werden sollte, "insbesondere, wenn wir die ständigen Spannungen im Kosovo oder den Krieg in der Ukraine berücksichtigen". Schmidt kritisierte auch den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der in letzter Zeit die Angriffe auf die Funktion des Hohen Repräsentanten verstärkt hatte. Diese Woche hat das Parlament der Republika Srpska die Entscheidungen des Verfassungsgerichts für ungültig erklärt, was von der internationalen Gemeinschaft als weiterer Versuch zur Destabilisierung Bosnien und Herzegowinas verurteilt wurde.

Bosnien und Herzegowina | Proteste in Banja Luka
Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten Bosnien und HerzegowinasBild: Dragan Maksimovic/DW Bosnisch

"Ich würde nicht sagen, dass Milorad Dodik eine verlorene Sache ist. Aber er bringt seine Entität in eine schwierige Lage. Wie oft frage ich mich, was Dodik als Vorbild für die Republika Srpska im Sinn hat. Transnistrien? Er bringt seine Entität in die Isolation. Und ich denke, dass die Zeit kommen wird, in der die Bürger der RS anfangen werden, ihm Fragen zu stellen", sagt Schmidt. Er erklärte, dass er gegen Dodiks Vorgehen auf alle ihm gemäß dem Dayton-Abkommen zur Verfügung stehenden Mechanismen zurückgreifen werde. Nach Angaben des deutschen Außenministeriums hat die EU bereits Gelder für einige Infrastrukturprojekte in der Republika Srpska eingefroren.

Gegen Verherrlichung von Kriegsverbrechern

Schmidt wies gleichzeitig auch auf die Notwendigkeit eines stärkeren Kampfes gegen die Verherrlichung von Kriegsverbrechern und die Leugnung von Völkermord hin und verwies auf die jüngsten Ereignisse um den verurteilten Kriegsverbrecher Dario Kordic, einen ehemaligen Offizier der kroatisch-bosnischen Armee, der wegen eines Verbrechens im Dorf Ahmici verurteilt wurde. Dort wurden im Jahr 1993 über hundert Bewohner, hauptsächlich Bosniaken, getötet.

Kroatien | Dario Kordic
Der verurteilte Kriegsverbrecher Dario Kordic wird nach seiner Freilassung am 6.06.2014 in der kroatischen Hauptstadt Zagreb von Anhängern empfangenBild: Stipe Mayic/AA/picture alliance

Kordic hatte kürzlich gesagt, dass er seine Aktivitäten während des Krieges nicht bereue und alles noch einmal genauso machen würde. "Ich halte es für unerträglich, dass Leute wie Kordic herumlaufen und verschiedene Geschichten erzählen, und darauf sollte öffentlich hingewiesen werden", sagte Schmidt und fügte hinzu, dass der Fall Kordic auch rechtliche Konsequenzen haben könne.

Kein Amt für die Ewigkeit

Der CSU-Politiker aus Erlangen und ehemalige Landwirtschaftsminister übernahm vor zwei Jahren das Amt des Hohen Repräsentanten. Dieses Amt wurde 1995 eingeführt und hat die Aufgabe, die zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens umzusetzen.

Frankreich Paris 1995 | Unterzeichnung Abkommen von Dayton
Unterzeichnung des in Dayton ausgehandelten Friedensabkommens, das den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendete am 14.12.1995 in Paris. Vorne, von links nach rechts: Slobodan Milosevic, Franjo Tudjman und Alija IzetbegovicBild: Gerard Julien/dpa/picture alliance

Schmidt sagte, dass er nicht die Absicht habe, wie einige seiner Vorgänger jahrelang in diesem Amt zu bleiben, sondern nur so lange, wie es nötig sei. "Mein Mandat basiert auf der Formel 5+2 Jahre. Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Bosnien und Herzegowina in Richtung Unabhängigkeit geht. Ich weiß nicht genau, wann das sein wird. Aber ich denke, dass wir uns, besonders mit Blick auf die junge Generation, die das Land massenhaft verlässt, nicht ewig auf die Funktion des Hohen Repräsentanten verlassen können. Wollen wir wirklich, dass es 50 Jahre nach Dayton noch ein Land gibt, in dem die internationale Gemeinschaft das letzte Wort hat? Ich glaube nicht, dass das gesund wäre", so Schmidt.

Portrait eines Mannes mit Brille, hinter ihm sind verschwommen Gebäude zu sehen
Nenad Kreizer Journalist, Autor, Reporter