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Chemiewaffen-Gefahr in Libyen

Alexander Drechsel6. Februar 2014

Libyen hat die Vernichtung all seiner Chemiewaffen verkündet. Das stimmt nicht ganz: Noch lagern dort Hunderte Tonnen von Chemikalien, aus denen Waffen produziert werden können.

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Symbolbild Libyen Flagge
Bild: picture alliance/AP Photo

Was in den Jahren 2011 und 2012 in der libyschen Wüste gefunden wurde, ist Stoff für Albträume: Dort lagen 517 Artilleriegranaten, acht 250-Kilogramm-Bomben und 45 Raketenaufsätze - alle verrottet und gefüllt mit gefährlichem Senfgas.

Die heimtückische Chemiewaffe greift vor allem die Haut an, aber auch Augen und Lunge. Die Symptome treten erst Stunden und Tage nach dem Kontakt auf: Es bilden sich zunächst Rötungen, die an einen Sonnenbrand erinnern, die allmählich schmerzhafter werden und sich schließlich in große Hautblasen wandeln. Das Gewebe wird so tief gehend zerstört, dass die Haut nur sehr schlecht heilt. In der Folge können leicht Krankheitskeime in den Körper eindringen und zusätzliche Infektionen bringen.

Eigentlich hätte es die mit Senfgas gefüllte Munition gar nicht mehr in Libyen geben dürfen. Denn das Land ist seit 2004 Mitglied der UN-Konvention zum Verbot von Chemiewaffen - einer der Schritte, mit denen Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi der internationalen Ächtung entkommen wollte.

Gaddafi ließ jahrelang C-Waffen produzieren

Jahrelang hatte Gaddafi in drei Anlagen chemische Waffen produzieren lassen: Insgesamt fast 25 Tonnen Senfgas, 3563 Bomben für Kampfstoffe und 1390 Tonnen chemischer Vorprodukte - so deklarierte es das Gaddafi-Regime zumindest bei der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW).

Muammar Al Gaddafi Portrait
Libyens Diktator Gaddafi ließ Giftgas produzierenBild: imago/Anan Sesa

Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Februar 2011 kam Libyen seinen Vertragsverpflichtungen nach und hatte Produktionsanlagen umgerüstet, Munition zerstört und große Teile des Senfgases und der Vorprodukte vernichtet. Doch die Kämpfe zwischen Rebellen und Regime unterbrachen den Prozess. Erst nach dem Sturz Gaddafis wurde das gefährliche Erbe weiter vernichtet - auch mit deutscher Hilfe. Mit bislang rund fünf Millionen Euro unterstützt die Bundesregierung seit 2011 die Zerstörung. Im Mai vergangenen Jahres meldete die OPCW, dass alle in Tanks gelagerten Senfgas-Bestände vernichtet seien.

Schnelle Lösung für brisanten Fund

Was noch blieb, waren die in der Wüste entdeckten Granaten, Bomben und Raketenteile. Ein brisanter Zufallsfund, der im fragilen Libyen leicht in falsche Hände fallen kann. Es musste eine schnelle und leise Lösung her. Die bestehende Vernichtungsanlage konnte jedoch nicht genutzt werden, da die gefundene Munition bereits mit Gift befüllt war.

"Zu einer günstigen Jahreszeit wurde eine andere Zerstörungsanlage installiert, in der man diese mit Senfgas befüllte Munition los wurde. Die Munition war in einem schlechten Zustand. Sie war undicht, sehr gefährlich und giftig", berichtet OPCW-Sprecher Michael Luhan der DW.

Vernichtungsanlage von Deutschland geliefert

Bezahlt wurden die neue Anlage und die Ausbildung des libyschen Personals von den USA und Deutschland. Im vergangenen Spätsommer wurden 20 Libyer in Deutschland und Schweden geschult. Die Anlage selber stammt von Dynasafe International, einer schwedisch-deutschen Firma.

In einer Email an die DW beschreibt Dynasafe die Bau- und Funktionsweise der extra für Libyen entworfenen Anlage: Kern ist ein gasdichter Verbrennungsofen, in dem die Munition gesprengt wird. Verbliebene Gase werden nach dem Verbrennen nochmals gereinigt, sodass am Ende des Prozesses mehr als 99 Prozent der Giftstoffe vernichtet sind.

Die größte Herausforderung sei gewesen, innerhalb von sieben Monaten eine mobile Anlage zu konstruieren, schreiben die Firmenmanager Holger Weigel und Thomas Stock. Herausgekommen ist eine etwa 50 Tonnen schwere Apparatur, die in vier herkömmliche Frachtcontainer installiert ist und schnell auf- sowie abgebaut werden kann.

Letzte Granate Ende Januar zerstört

Drei Monate lang vernichteten die Libyer unter Geheimhaltung die Senfgas-Munition. Am 26. Januar war es dann so weit: In Ruwagha, einer ehemaligen Produktionsstätte für Chemiewaffen mitten in der Wüste, wurde die letzte Granate in die Anlage geschoben und vernichtet. Neun Tage später ging die OPCW mit der Nachricht an die Öffentlichkeit. "Die Zerstörung dieser Munition war eine bedeutsame Unternehmung in mühsamen und technisch anspruchsvollen Umständen", sagte Ahmet Üzümcü, Generaldirektor der OPCW.

Ahmet Uzumcu Porträt Pressekonferenz chemikalische Waffen Libyen Tripolis
Üzümcü: "Zerstörung dieser Muntion war eine bedeutsame Unternehmung"Bild: picture-alliance/dpa

Gänzlich frei von potenziellen Chemiewaffen ist Libyen aber nicht. Noch immer lagern rund 850 Tonnen Vorprodukte für Kampfstoffe in der Wüste. Laut OPCW-Sprecher Luhan sind die Chemikalien sicher auf einem Militärgelände gelagert und werden von Kameras überwacht. "Es sind herkömmliche Stoffe, aus denen aber auch chemische Waffen hergestellt werden können. Deshalb müssen sie zerstört werden." Spätestens Ende 2016 soll Libyen dann wirklich frei von Chemiewaffen und deren Vorprodukten sein - vorausgesetzt im Wüstensand schlummern nicht noch mehr böse Überraschungen.