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"Business as usual" in Vietnam

Rodion Ebbighausen, z.Zt. Ha Tinh23. Juni 2014

Nach anti-chinesischen Protesten in Vietnam stand die Investitionssicherheit des südostasiatischen Landes in Frage. Ein Besuch in der Region zeigt, dass die Lage wieder unter Kontrolle ist.

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Baustelle in Vung Ang, Vietnam (Foto: DW/Ebbighausen)
Bild: DW/R. Ebbighausen

So weit das Auge reicht Baustellen. Überall ragen Stahlgerüste zukünftiger Fabriken auf. Halbfertige Straßen und Kanäle bilden über Kilometer ein Netz entlang der Bucht. Rund 40.000 Arbeiter errichten in der nordvietnamesischen Provinz Ha Tinh auf einem 2000 Hektar großen Areal eines der ehrgeizigsten Wirtschaftsprojekte des Landes. Mit ausländischen Investitionen vor allem aus Taiwan, Südkorea und Japan werden in der Wirtschaftszone Vung Ang zurzeit unter anderem Kohlekraftwerke, ein modernes Stahlwerk und ein riesiger Tiefseehafen gebaut.

Die Besichtigung ist nur mit Begleitung der vietnamesischen Behörden möglich. Der Reporter der Deutschen Welle wird jederzeit von Beamten des Außenministeriums, einem Mitarbeiter der Wirtschaftszone und der Polizei begleitet. Die Regierung ist vorsichtig, denn das emsige Treiben auf der Baustelle wurde Mitte Mai (14.05.2014) von gewalttätigen Zusammenstößen jäh unterbrochen. Vietnamesische und chinesische Arbeiter waren an der Baustelle eines taiwanesischen Stahlwerks der Formosa Plastic Group aufeinander losgegangen.

Inselstreit mit Folgen

Ursache der Auseinandersetzung war die Platzierung einer chinesischen Ölbohrinsel (02.05.2014) in von Vietnam und China beanspruchten Gewässern nahe der Paracel-Inselgruppe im Südchinesischen Meer. Der Streit um die Inseln erhitzt in beiden Ländern die nationalen Gemüter. Die Situation eskalierte in Ha Tinh auf der Baustelle des Stahlwerks, wo 3.000 chinesische Wanderarbeiter mit vietnamesischen Arbeitern zusammenarbeiten. Bei dem Handgemenge wurden ein chinesischer Arbeiter getötet und 150 Menschen zumeist leicht verletzt. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam es außerdem zu Brandstiftung. Zwei Menschen starben in den Flammen.

Treffen zwischen Yang Jiechi und Pham Binh Minh in Hanoi (Foto: Reuters)
Alles nicht so gemeint? Chinas Staatsrat Yang Jiechi (l) und Vietnams Außenminister Pham Binh Minh Mitte Juni in HanoiBild: Reuters

Eine Besichtigung der Brandstätte war trotz mehrfacher Nachfrage nicht möglich. Alle Schäden seien bereits behoben, so die Auskunft. Ngo Dinh Van, stellvertretender Direktor der Wirtschaftszone, hält die gewaltsamen Zusammenstöße im Gespräch mit der Deutschen Welle für "einen bedauerlichen Unfall."

Die Gewalt, die auch in anderen Landesteilen Vietnams wie etwa der südvietnamesischen Provinz Binh Duong ausbrach, drohte den Ruf des südostasiatischen Landes als sicherem Investitionsstandort zu gefährden. Die vietnamesische Regierung reagierte schnell, um einem Imageverlust vorzubeugen. Sie weiß, wie dringend sie ausländisches Kapital als Schmierstoff für das eigene Wirtschaftswachstum benötigt. (Laut offiziellen vietnamesischen Angaben stieg der Anteil ausländischen Kapitals am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1995 und 2012 von sechs auf 18 Prozent.) Nach 48 Stunden waren die Unruhen weitgehend beendet.

Medienwirksame Evakuierungsmaßnahme

Im Zuge der Gegenmaßnahmen wurden allein in Ha Tinh 36 Vietnamesen unter anderem wegen Anstiftung, Diebstahl und Sachbeschädigung verhaftet. "Das Handgemenge hat vielleicht fünf Stunden gedauert. Nach zwei Tagen war die Situation auf der Baustelle wieder völlig normal", sagt der stellvertretende Direktor Ngo Dinh Van. Das Management habe außerdem sofort das Gespräch mit den betroffenen Investoren gesucht und Entschädigungen angeboten. Dennoch habe man China nicht davon abhalten können, die rund 3000 Wanderarbeiter, die an dem Formosa-Stahlwerk mitgebaut haben, medienwirksam abzuziehen. Fünf Journalisten des chinesischen Staatsfernsehens hatten die Evakuierung durch chinesische Schiffe dokumentiert. Hans-Georg Jonek von der Friedrich-Naumann Stiftung in Hanoi ist der Ansicht, dass "eine Evakuierung mit Schiffen aus Sicherheitsgründen nicht notwendig war. Aber es war eine Gelegenheit, Vietnam zu diskreditieren. Das wollte China sich nicht entgehen lassen."

Chinesische Ölplattform im Hintergrund und Schiff der vietnamesischen Küstenwache (Foto: Reuters)
Stein des Anstoßes - chinesische Ölplattform im Hintergrund und Schiff der vietnamesischen KüstenwacheBild: Reuters

Ngo Dinh Van ist überzeugt, dass sich die Ereignisse wie die von Mitte Mai nicht wiederholen werden. "Es ist sicher, in Vietnam zu investieren", sagt auch Jonek. Vielleicht würden sich die Rahmenbedingungen für Investitionen nach den Protesten sogar verbessern. Die Regierung hat weitere Steuervergünstigungen und schnellere Genehmigungsverfahren in Aussicht gestellt. Auch soll die Erteilung von Arbeitsvisa erleichtert werden.

Grenzen der Übermacht Chinas

Der Fall sei nur ein Beispiel von vielen dafür, dass China ökonomisch einigen Druck auf Vietnam ausüben könne, wie Jonek sagt. Allerdings nicht so viel, dass Vietnam dafür seine territorialen Interessen opfern würde. "Im Zweifel würden die Vietnamesen in den sauren Apfel beißen und auf zwei oder drei Prozent Wirtschaftswachstum verzichten." Diesen Kurs würde auch die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützen. Insgesamt ist sich Jonek sicher: "Die Zukunft Vietnams liegt im Süden, Osten oder Westen, aber nicht im Norden."

Hans Georg Jonak von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Vietnam (Foto: DW/Ebbighausen)
"Es ist sicher, in Vietnam zu investieren", sagt Hans Georg Jonak von der Friedrich-Naumann StiftungBild: DW/R. Ebbighausen

Auf der riesigen Baustelle in Vung Ang geht die Arbeit unaufhaltsam weiter. Rund um die Uhr wird gebaggert, planiert und geteert. Nächstes Jahr soll die Wirtschaftszone die Pforten öffnen und 2025 rund einer Viertelmillion Menschen Arbeit bieten.