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PolitikIrland

Brennende Kaufhäuser in Dublin: Hat die Polizei versagt?

Birgit Maaß
25. November 2023

Rechte Demonstranten und Kriminelle haben Dublins Innenstadt verwüstet. Ausländerfeindliche Stimmung und soziale Probleme plagen schon länger die Stadt. Wo war die Polizei als die Randalierer durch die Straßen zogen?

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Polizisten in Schutzkleidung vor einem brennenden Auto in Dublin
Zu lange habe es gebraucht, bis die Polizei die Randalierer stoppte, sagen KritikerBild: Brian Lawless/PA via AP/picture alliance

Die Szenen, die sich am Donnerstagabend in Dublin abspielten, erinnerten an einen Bürgerkrieg: Brennende Kaufhäuser, zerstörte Busse, Straßenschlachten zwischen Polizisten und vermummten Demonstranten. Und das mitten in der Dubliner Innenstadt, in der die Iren dieser Tage gern ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Auslöser war eine Messerattacke auf eine Gruppe von Schulkindern am Donnerstagmittag, bei der drei Kinder und eine Erzieherin zum Teil schwer verletzt wurden.

Rechte und Kriminelle verwüsten Dublins Innenstadt

Schnell verbreitete sich über soziale Medien das Gerücht, ein Migrant stecke dahinter. Aufrufe in wie diese taten ihr Übriges, um einen offenbar radikalisierten Flashmob zusammenzutrommeln: "Um 7 Uhr treffen wir uns alle in der Stadt. Wenn Du Dein Land und dessen Kinder liebst, sei dabei", postete zum Beispiel "Aney Stokes" auf X, vormals Twitter, unter dem Hashtag #enoughisenough (deutsch: genugistgenug). Zu den aufgebrachten Demonstranten gesellten sich dann wohl auch noch kriminelle Opportunisten, die die Chance zum Plündern nutzten.

Polizei patrouillieren im Zentrum von Dublin, über der Einkaufsstraße hängt ein weihnachtliches Schild "Wilkommen in Dublin 1"
Am Freitag, nach den Randalen, patrouillieren Polizisten in einem nördlichen Stadtteil von Dublin, einem besonders multikulturellen und touristischen Teil der InnenstadtBild: Peter Morrisson/AP/picture alliance

Die Bilanz der Ausschreitungen: dreizehn ausgeraubte Läden, elf zerstörte Polizeiwagen, mehrere verletzte Polizisten. 34 Menschen nahm die Polizei im Laufe des Abends fest.

Polizei wehrt sich gegen Vorwürfe

Abgeordnete der größten Oppositionspartei Sinn Fein riefen Justizministerin Helen McEntee und den Chef der irischen Polizei Drew Harris zum Rücktritt auf, beide lehnten dies ab. Vor Journalisten verteidigte Polizeichef Harris die Einsatzkräfte. Die Polizei habe der Lage entsprechend für Nachschub gesorgt und die Situation nach einigen Stunden in den Griff bekommen. Auf die Frage, wie es so weit kommen konnte, und ob die Polizei die rechten Medien nicht besser hätte im Auge behalten müssen, verteidigte sich Harris mit der Begründung, dass es so etwas einfach noch nie gegeben habe. 

Zur Seite sprang ihm der britische Minister für Wohnen, Kommunen und lokale Selbstverwaltung Michael Gove, der sich zuvor mit Irlands Premier Leo Varadkar getroffen hatte: "Es zeichnet Irland aus, dass solche Dinge so selten geschehen", sagte er.

Irlands Polizei liegt nach Beamtenzahl im EU-Durchschnitt

Mannix Flynn, ein Mitglied des Stadtrates in Dublin, überzeugt das nicht. Die Polizei habe versagt, meint Flynn, dabei hätten die Bürger ein Recht darauf, sich von ihnen beschützt zu fühlen. Allerdings sei die Polizei auch deshalb überfordert gewesen, weil sie nicht genügend Ressourcen habe.

Tatsächlich aber hat Irland ein durchschnittlich großes Polizeikontingent. Nach Zahlen von Eurostat beschäftigte das Land zwischen 2019 und 2021 mit 355 Polizeibeamten pro 100.000 Einwohner sogar 20 mehr als im EU-Durchschnitt. Beim Spitzenreiter Zypern waren es 549. Die verhältnismäßig kleinste Polizei leistete sich Finnland mit 136 Beamten pro 100.000 Einwohner.*

Polizist in einer Straßenflucht an einer Bushaltestelle
Ist die irische Polizei unterbesetzt? 355 Beamten pro 100.000 Einwohner beschäftigt das Land - 20 mehr als alle EU-Staaten zusammen.Bild: CLODAGH KILCOYNE/REUTERS

Dennoch, meint Flynn, sei die Polizei am Donnerstag an ihre Grenzen gestoßen: Erst die Messerattacke und wenig später die Ausschreitungen - es habe einfach nicht genügend Einsatzkräfte vor Ort gegeben. Dabei habe es schon länger Gruppen von Kriminellen gegeben, die die Innenstadt unsicher machten. In einigen Außenbezirken sei es noch schlimmer: "Wir verwalten die Kriminalität nur noch, statt unsere Bürger zu schützen."

Keine politische Antwort auf rechte Gewalt

Auch die Soziologin Shana Cohen sieht Versäumnisse bei der Polizei: Es gelinge ihr einfach nicht, genug Nachwuchs zu rekrutieren. Auch sei der Kontakt zwischen Polizei und Bevölkerung gestört, es gäbe vor allem in den Problembezirken keine Begegnungen zwischen Bürgern und Polizisten jenseits von Straftaten.

Hinzu komme, dass die irische Regierung die Rechten unterschätze. Die seien in Irland, im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, nicht in einer spezifischen Partei organisiert. Daher hätten die etablierten irischen Parteien es versäumt, ihnen etwas entgegen zu setzen, ist Cohen überzeugt.

Eine ausgebrannte Straßenbahn, davor schaufeln Arbeiter Haufen von verbrannten Trümmern zusammen
Aufräumarbeiten nach den Krawallen in Dublin: Die Straßenbahnen fuhren am Freitag noch nicht wieder wie gewohntBild: Brian Lawless/picture alliance/empics

Rechte Gruppen nutzten soziale Probleme wie rasant steigende Mieten für ihre Zwecke, erklärt die Soziologin. Viele Menschen in Dublin könnten sich ein Leben in der Stadt schlicht nicht mehr leisten. Und über die sozialen Medien würden gezielt Hass und Desinformation verbreitet, um Migranten zu Sündenböcken zu machen.

Brasilianer stoppte den Messerstecher

Dabei seien Feindseligkeiten gegen Ausländer seit Monaten ein zunehmendes Problem, sagt die Soziologin. Die irische Tageszeitung "Irish Times" berichtet etwa von Lieferdiensten, die ihren neuen Fahrern, unter ihnen viele Migranten,  als erstes eine Liste der gefährlichen Stadtteile, der "No-go-Areas" vorlegten. Übergriffe und Gewalt nähmen zu, die Polizei bliebe untätig, es sei "schlimmer als in Rio de Janeiro", zitiert die "Irish Times" die Fahrer.

Ausgerechnet daher kommt eben jener brasilianische Lieferdienstfahrer, der den Messerstecher stoppte: Er habe seinen Helm abgenommen und damit dem Angreifer mit voller Wucht über den Kopf gehauen, erklärte Caio Benecio, der vor einem Jahr aus Rio de Janeiro nach Irland kam, dem irischen Fernsehsender RTE. Einen Tag nach dem Attentat wirkt er noch sichtlich mitgenommen. Er sei selbst Vater, sagt er mit einem Seufzen: "Man handelt ganz instinktiv. Alle Eltern, hätten doch dasselbe getan."

Laut Medienberichten hat die Polizei tatsächlich einen Mann algerischer Herkunft als Tatverdächtigen vernommen, der vor 20 Jahren nach Irland kam und inzwischen die irische Staatsbürgerschaft hat. Dass es deshalb zu Krawallen gegen Migranten allgemein kommt, versteht Benecio dennoch nicht: "Das ergibt keinen Sinn", zitiert ihn der französische Fernsehsender France24, "ich bin doch auch Migrant."

 

* In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir eine fehlerhafte Statistik zitiert. Dies haben wir korrigiert.